Es sind wieder AIDA-Festwochen im NDR-Fernsehen.
Die Rostocker Reederei hat am vergangenen Wochenende in Kiel mit dem üblichen Tamtam ein neues Kreuzfahrtschiff taufen lassen, und für den Haus- und Werbesender der Flotte ist das natürlich Pflicht zu flächendeckender Berichterstattung.
Der NDR-Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz hatte zwar im vergangenen Jahr gegenüber diesem Blog gesagt: „Wir zeigen nicht jedes neue Schiff“. Aber entweder meinte er das nicht so. Oder zu den „besonderen Kriterien“, die nach seinen Worten erfüllt sein müssen, damit der NDR berichtet („wenn es etwa das größte ist, das bisher gebaut wurde, wenn es um eine völlig neue Präsentation geht oder es für ein bestimmtes Klientel gemacht ist“) gehört auch der Superlativ, den die neue AIDAsol erfüllt: Sie hat angeblich den größten Wellnessbereich aller Kreuzfahrtschiffe an Bord. Sagt die AIDA. Und der NDR.
Dass das achte AIDA-Schiff, das im übrigen baugleich mit dem siebten ist, in Kiel getauft wurde, war ganz praktisch für den Vier-Länder-Sender NDR. Das Landesfunkhaus Niedersachsen kann immer schon die Ems-Überführungen der Schiffe von der Meyer-Werft in Papenburg begleiten, die Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern sind schon wegen des Sitzes der Reederei in Rostock zuständig, und die Hamburger NDR-Leute durften im vergangenen Jahr groß über die Taufe der AIDAblu berichten. Das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein hatte, so gesehen, deutlichen Nachholbedarf in Sachen öffentlicher AIDA-Begeisterung.
Alle Screenshots: NDR
Entsprechend früh begann es seine Aufholjagd. Schon am 3. April, fast eine Woche vor der Taufe, berichtete das „Schleswig-Holstein Magazin“ darüber, dass sich „die nagelneue AIDAsol“ bereits mit den ersten Passagieren gefüllt habe, die in Betten schliefen, in denen noch nie zuvor ein Mensch geschlafen habe.
Am nächsten Tag besuchte das Magazin „Schleswig-Holstein 18:00 Uhr“ das Schiff und ließ sich mal ausführlich erklären, wie toll das Ding ist. Die Reporter begleiteten den Club-Direktor bei seiner Arbeit, fragten den Kapitän, ob eigentlich oft Kinder auf die Brücke wollen, und interviewten den Mann, der im bordeigenen Brauhaus Bier herstellen darf. Und der Moderator sagte, nachdem er eine Gesprächspartnerin als „Spa-Supervisor“ vorstellte: „Aber gespart wurde auf dem Schiff auch nicht im Wellness-Bereich.“
Am Tag der Taufe schaltete das „Schleswig-Holstein Magazin“ dann live zu einer Reporterin vor Ort, zeigte Aufnahmen von den Proben und sprach mit Besuchern, die Sätze sagten wie: „Das Wetter ist einmalig. Direkt für die AIDA bestimmt.“ Eine Frau war eigens 500 Kilometer vom Niederrhein angereist. Die Taufpatin hat sich in Hamburg ein tolles Abendkleid gekauft für den Anlass. Und Stargast Kim Wilde sagt, sie sei noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff mitgefahren, sie habe ein bisschen Angst, aber bei diesem Exemplar hier könne sie glatt in Versuchung kommen, „denn es sieht wunderschön aus“.
Am Tag danach informierte das NDR-Mischmagazin „DAS!“ dann die überregionale Öffentlichkeit über den Rekord mit dem größten Wellnessbereich. Der Filmbericht begann mit Aufnahmen, wie jemand das Schiff fotografiert, und dem Satz: „So einen properen Täufling fotografiert man doch gern.“ Im Anschluss schwelgte aber natürlich auch das „Schleswig-Holstein Magazin“ noch einmal ausführlich von der Show, die nach Veranstalter- und NDR-Angaben 50.000 Besucher anlockte.
Chefredakteur Cichowicz hatte vergangenes Jahr noch gesagt, er sei sich des Problems bewusst, dass durch die Berichte, die der Sender mit jedem neuen Schiff vom Stapel lässt, „werbliche Effekte“ entstehen können. Er hätte sich aber mit mit den verantwortlichen Kameraleuten und Regisseuren abgesprochen „und festgelegt, wie man Einstellungen so aufnimmt, dass werbliche Effekte möglichst vermieden werden. Seitdem achten wir in dem Bereich, den ich für die Programmdirektion Fernsehen verantworte, darauf besonders.“
Die Tauffeierlichkeiten wurden praktischerweise vom Landesfunkhaus Schleswig-Holstein verantwortet.
Ob bereits ein NDR-Kamerateam an Bord ist für die obligatorische dreiviertelstündige Werbereportage, ist dem Fernsehblog nicht bekannt.
Als Lübecker halte ich die...
Als Lübecker halte ich die Berichterstattung über die Aida-Schiffe für angebracht. Zum einen, weil für einen Sender mit maritimen Umfeld dazugehört un dzum anderen ist das für ein vergleichsweise nachrichtenarmes Bundesland wie SH eine große Sache. Über den geschilderten Umfang kann man sicherlich debattieren und er ist auch für mich zu viel des Guten.
@Medea und @Lupe: Der NDR kann...
@Medea und @Lupe: Der NDR kann eigentlich auch anders, wenn er nur will. Siehe: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/markt/recht_verbraucher/kaffee189.html
Warum er bei AIDA nicht will, kann ich nur vermuten.
Jaja, die 3 für 2 Aktion bei...
Jaja, die 3 für 2 Aktion bei Crossi.. 😀
was mich an den ndr berichten...
was mich an den ndr berichten stört ist daß niemals über die subventionen berichtet wird . wer zahlt das emssperrwerk? wie tot ist die ems jetzt schon? wer zahlt den brücken ab.- und wiederaufbau? u.s.w.
immer nur wie schön- wie toll…
„und festgelegt, wie man Einstellungen so aufnimmt, dass werbliche Effekte möglichst vermieden werden.“
ja, wie macht man das denn???????????festgelegt???
@Hannes: Für die...
@Hannes: Für die Landbevölkerung ist es in der Tat ein Ereignis. 3 bis 4 x im Jahr diese unseligen Überführungen.
Früher Tausende, mittlerweile eher Hunderte latschen über nicht freigegebene Deiche, zerstören die Grasnarbe (erheblich relevant für den sicheren Stand des Deiches) und hinterlassen überall Ihren Müll und weitere Hinterlassenschaften, deren präzise Beschreibung ich mal weglasse.
Massives Verkehrsaufkommen, Behinderung von Rettungskräften…kurz: Die Schiffsgaffer führen sich auf wie Sau! Die örtliche Polizei ist schwerst genervt, die Gaffer sind unbelehrbar, „wie in einem Wahn“, wie ein Einsatzleiter mal treffend formulierte.
Who the fuck cares?...
Who the fuck cares?
@Sven:
Wir sind mitunter...
@Sven:
Wir sind mitunter über 60.000 Leute und die berichten jedesmal darüber, weil es für so ein Groß-Spektakel untypisch ruhig abläuft (von der Musik mal abgesehen):
Keine Prügeleien oder Schwerverletzte (wie in Roskilde), keine Pöbeleien (wie bei Punks z.Bsp. üblich) etc.
Ich persönlich vermute allerdings, daß die Medienmeute auf genau so etwas wartet:
Wie kann man besser über eine Katastrophe berichten, als wenn man schon vor Ort ist?
Man muß den Medien immer auf die Finger gucken, sich immer aus mehreren „Töpfen“ bedienen, sich auch anderswo informieren.
Wie sagte Schröder so schön:
„zum regieren brauch ich nur BILD BamS und Glotze“
Warum sollte der NDR da anders funktionieren als RTL ?
"Traumschiffe beflügeln die...
„Traumschiffe beflügeln die Phantasie – das gilt auch ein bisschen für Ihren blog-Artikel. Die Zitate, die Sie von mir verwenden, bezogen sich auf die Live-Übertragung einer Schiffstaufe bzw. einer halbstündigen Zusammenfassung. Im Fall der AIDAsol hat es weder eine Live-Sendung noch eine längere Programmstrecke im NDR Fernsehen gegeben. Daran, dass ich besonders darauf achte, dass werbliche Effekte möglichst vermieden werden, hat sich nichts geändert. Ebenso wenig geändert hat sich auch an der Tatsache, dass ich ausschließlich die Sendungen der Zentrale in Hamburg verantworte, die Landesmagazine aber in der Verantwortung der jeweiligen Fernsehchefs in den entsprechenden Landesfunkhäusern stehen. Für das Schleswig-Holstein-Magazin ist dies Norbert Lorentzen in Kiel.
Im Norden erfreuen wir uns an Kreuzfahrtschiffen. Sie sind nicht nur schön anzuschauen, sie sind auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor an der Küste, insbesondere für die Landeshauptstadt Kiel. 300.000 Menschen aus aller Welt kommen auf diese Weise in jedem Jahr nach Schleswig-Holstein. Eine Zahl, die sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt hat. Mit 14 Mio. € profitiert das Land von dieser Entwicklung. Auch das war Gegenstand und Anlass für unsere Regionalberichterstattung. Wenn mehrere zehntausend Besucher zu einer Schiffstaufe kommen, dafür zum Teil lange Anfahrtswege in Kauf nehmen und vollauf begeistert sind, dann können wir ein solches Ereignis nicht schlichtweg ignorieren. Wir haben deshalb über die Taufe der AIDAsol angemessen, professionell und in großer Unabhängigkeit berichtet – und zwar aus der Perspektive der Besucher, nicht aus der des Veranstalters.
Wie heißt es dazu in einem der Kommentare Ihres Blogs: ‚Also rein vom Journalistischen her kann man dem NDR da keinen Strick draus drehen.‘
Den Vorwurf der Schleichwerbung, wie er im Blog vereinzelt geäußert wird, und andere Unterstellungen weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Und im Übrigen ist Ihre Behauptung, dass nicht bekannt ist, ob ein NDR Kamerateam für eine Reportage an Bord ist, falsch. Eine solche Sendung ist nicht geplant. Hätten Sie gründlich recherchiert und uns gefragt, wäre es auch Ihnen bekannt gewesen.
Und im Übrigen: Dass auf der faznet-Seite u.a. auch ein Artikel über Traumyachten, tollen Luxus und die Nobiskrug-Werft in Rendsburg (Schleswig-Holstein), die diesen Luxus produziert, zu finden ist, zeigt, dass wir mit unserer Berichterstattung im NDR fernsehen über maritime Themen nicht völlig falsch liegen …
Andreas Cichowicz, Chefredakteur Fernsehen / Norbert Lorentzen, Fernsehchef Kiel“
Danke Herr Hannes!
"Für...
Danke Herr Hannes!
„Für mich ist der Bau eines neuen, großen Kreuzfahrtschiffs – und insbesondere die Fertigstellung – in einer heimischen Werft eine durchaus sendenwerte Nachricht.
Wenn für einen hohen dreistelligen Millionenbetrag eine neue Chipfabrik bei Frankfurt gebaut werden würde, würde dies völlig zurecht nicht nur in der lokalen Presse, sondern überregional Beachtung finden und auch mit Hintergrundberichterstattung bedacht werden.
Der NDR bedient auch die immer noch vorhandene norddeutsche Identifikation und Faszination für Maritimes und für die lokale Bevölkerung ist das auch durchaus ein Ereignis. Man kann zwar über Umfang und Stil streiten, aber sorry: ich halte die Kritik für überzogen und den Vorwurf der „Werbung für die Kreuzfahrtindustrie“ für völlig daneben.“
Dem kann man zustimmen.
<p>@Andreas Cichowicz: Danke...
@Andreas Cichowicz: Danke für die Reaktion. Und auch wenn es nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt: Mich würde noch sehr interessieren, ob eine Reportage wie die an dieser Stelle bereits ausführlich beschriebene Reportage „Vom Dock auf’s Meer“, in der nachweislich AIDA-Werbeformulierungen übernommen wurden, für Sie journalistisch ebenfalls in Ordnung ist bzw. ob es eine Abstimmung mit den Landesfunkhäusern über die von Ihnen angestoßenen Regeln gibt. Zumindest würde ich davon ausgehen, dass es einen NDR-Chefredakteur durchaus kümmert, wie sein Sender als Ganzes wahrgenommen wird.