Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene Eigenröstgefahr

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Kabel 1 animiert Vorabend-Köche zur Alufolienverschwendung; der WDR widmet sich der Tomatenforschung; im ZDF werden für ein Aberglaube-Erklärstück acht Experten verschlissen; RTL 2 zeigt mehrere Leute, die "Höllische Schönheits-OPs" überstanden haben – und eine, die nicht. Was diese Woche im Fernsehen los war.

Die Sendungen
  • Kochen mit Knall Kabel 1
  • Der Vorkoster WDR
  • Dracula lebt ZDF
  • Höllische Schönheits-OPs RTL 2
  • Exklusiv – Die Reportage RTL 2

Sind Sie auch schon mal mitten in der Nacht aus dem Schlaf geschreckt, weil Ihnen diese eine Frage durch den Kopf geisterte? Die Frage, ob man mit einer Autobatterie Würstchen grillen kann. „Finger weg, das ist ja lebensgefährlich“, sagt Stefan Marquard dazu, der neue Kabel-1-Essensexperimentefachmann. Und der weiß, wovon er redet, weil er das, wovon er abrät, vorher nämlich ausführlich im Fernsehen getestet hat. Schön langsam zum Mitschreiben.

Das Problem ist: Wenn Sie die Kabel direkt an die Wurst klemmen, verbrennt das Fleisch von innen. Und ein Schneebesen als Grillhülle sorgt vor allem davor, dass die Eigenröstgefahr des Kabelhalters dramatisch steigt.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene EigenröstgefahrSelbstverständlich hat Marquard mit seinem Kochkollegen Frank Buchholz zum Auftakt der neuen Vorabend-Reihe „Kochen mit Knall“ (Folge 1 bei kabeleins.de ansehen) auch noch was Sinnvolles getestet. Ob man Fisch im Motorraum eines Autos mit Betriebstemperatur grillen kann, Gemüse im Fußraum des Beifahrers erhitzen und um den Auspuff gehüllte Rösti backen. Und Sie werden’s nicht glauben: Es geht! Wenn man vorher sehr, sehr viel Alufolie um alles wickelt, eine Stunde sinnlos durch die Gegend fährt und nachher etwas essen will, das so aussieht.

„Der Aufwand lohnt definitiv nicht“, sagt Marquard. Wer hätte das gedacht.

„Mal schräg, mal extrem, mal unglaublich – aber immer überraschend“, hat Kabel 1 die Sendung seinen Zuschauern vorher schmackhaft gemacht – obwohl das Versprechen natürlich nur für die gilt, die vor einem Jahr nicht schon bei Dmax gesehen haben, wie Marquard in ähnlich sinnbefreiten Versuchen Waschmaschine und Betonmischer zu Kochgeräten umgerüstet hat. „Kochen mit Knall“ mag zwar die Alptraumsendung aller Mütter sein, die ihren Kindern vorher beigebracht haben, dass sie nicht mit dem Essen spielen sollen (vor allem nicht, wenn eine 12-Volt-Batterie involviert ist), aber zur Hirndurchlüftung am Vorabend ist sie im Grunde empfehlenswert.

Das ist insbesondere dem unermüdlichen Einsatz von Marquard und Buchholz zu verdanken, die sich als eine Art Siegfried und Roy der deutschen Kochshowszene permanent selbst necken, ganz hervorragend aneinander vorbeireden und sich trotzdem blind verstehen.

Der eine so: „Ich mach dazu ’ne Zwiebelmasse.“ Der andere: „Und woraus besteht die?“ Er wieder: „Aus Zwiebeln hauptsächlich.“ Und der andere zufrieden: „Ach so.“ Wenn Kochen nur immer so einfach wäre.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene EigenröstgefahrIst es natürlich nicht, und viele Menschen scheitern schon daran, die richtigen Zutaten einzukaufen. Deshalb hat sich der WDR aus dem schier unerschöpflichen Vorrat deutscher Sterneköche Björn Freitag herausgefischt – oder weniger diplomatisch formuliert: aus den Fängen von Kabel 1 befreit. Als seriöser „Vorkoster“ passt er ganz gut ins öffentlich-rechtliche Profil: Freitag erklärt, wo unser Essen herkommt. Sehr ausführlich und sehr unaufgeregt.

Zum Auftakt der zweiten Staffel ging es schlicht und einfach um: Tomaten (ganze Folge bei wdr.de).

Ich zum Beispiel weiß jetzt, dass die leckeren Strauchtomaten, die ich immer im Supermarkt kaufe, zwar völlig überteuert und kein Bio sind, aber trotzdem ungespritzt, und dass der lustige Gärtner, der auf der Verpackung abgebildet ist, wirklich existiert. Auch wenn er keine Felder mit Tomatenpflanzen jätet, sondern auf Schienenwagen durch ein 75.000 Quadratmeter großes holländisches Gewächshaus fährt, um die Ernte einzuholen. Aber deshalb schmecken ja die Tomaten nicht schlechter.

Lebensmittelsauereien deckt der „Vorkoster“ keine auf, aber er schärft den Verstand für den täglichen Einkauf (was ist noch mal der Unterschied zwischen Bio und Nicht-Bio?), räumt mit gängigen Vorurteilen auf (holländische Tomaten schmecken gar nicht immer wässrig!) und haut Sternekoch-Kollegen in die Pfanne, die ihr Konterfei auf Suppenprodukte in Pulverform drucken lassen („Find ich ja auch lustig“, sagt Freitag und hält gut sichtbar die Verpackung mit Alfons Schuhbeck in die Kamera).

Manche „Vorkoster“-Elemente sind Quatsch – so wie der Test mit der Hausfrau, die eine Woche Tomatenprodukte essen muss und nachher vom WDR-Arzt bescheinigt bekommt, deshalb kurzfristig mehr gesundes Lycopin im Blut zu haben. Aber wer ein bisschen mehr über Lebensmittel erfahren möchte als auf der Verpackung steht und sich dabei sanft zur Fertigproduktvermeidung ermahnen lassen, für den hat der WDR genau die richtige Sendung im Programm.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene EigenröstgefahrNur von den roten Tomaten nun eine Überleitung zur ZDF-Blutsaugerdoku „Dracula lebt“ zu finden, ist jetzt kein leichtes Unterfangen. Tja. Mal überlegen. Nee. Dann muss es eben ohne gehen.

Und mal abgesehen davon, dass das Thema für den ZDF-Dienstagsdokusendeplatz eher ungewöhnlich gewählt war, hätte es dem Film von Marvin Entholt ganz gut getan, wenn er sich nicht gleichzeitig die Lebensgeschichte des „Dracula“-Autors Bram Stoker, die Entstehung seines Romans, die Deutung des „Twilight“-Vampirasaga-Erfolgs bei Teenager-Mädchen und die Herkunft des Totenwiederkehrer-Aberglaubens bei der rumänischen Landbevölkerung in einem Film vorgenommen hätte. Weil so nämlich in gerade mal 45 Minuten ein Anthropologe, ein Historiker, ein Kriminalbiologe, eine Stoker-Biografin, ein Literaturwissenschaftler, eine Volkskundlerin, eine abergläubische Witwe und eine Psychologin als Zitatgeber verschlissen wurden (in der Mediathek ansehen).

Wobei vor allem der Teil, in dem die Entstehung des Vampirmythos nachvollziehbar erklärt wird, durchaus interessant ist. Eher jedenfalls als die Versuche, die Zahnspangenschwärmereien für den blass geschminkten Robert Pattinson in dessen Rolle als freundlich-abstinenter Unsterblicher aufzuklären.

„Einen Partner, der immer da ist. Danach sehnen sich viele Menschen in einer Zeit, in der Beziehungen oft befristet sind“, lautete die Erkenntnis – aber das ist natürlich das Privileg der Psychologen: Jeden Unsinn behaupten zu können und dafür als Experte anerkannt zu werden. (Fast wie Journalisten.)

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene EigenröstgefahrDamit Sie jetzt nicht glauben, es hätten diesmal bloß empfehlenswerte Sendungen in die Kolumne geschafft, komplettiert die neueste RTL-2-Errungenschaft „Höllische Schönheits-OPs“ diesen Überblick – verbunden mit dem Hinweis, sie lieber nicht beim Abendessen anzusehen. (Wobei: Streichen Sie die Worte „beim Abendessen“.) Das gilt freilich nicht für Zuschauer, die schon immer mal viele bedrohlich rot eingefärbte Archivaufnahmen aufgeschnittener Brüste, angenähter Drüsen und notdürftig zugetackerter Bauchdecken sehen wollten, während Ex-„Big Brother“-Kandidatin Annina von den „Höllenqualen“ ihrer zahlreichen vermasselten Operationen erzählt, René-Weller-Freundin Maria Dörk erklärt, wie sie von einem Sprungseil an die frisch aufgespritzte Oberlippe getroffen wurde, und weshalb ein Barbie-Model während seiner ärztlichen Zurichtung auf die Intensivstation kam.

Am Ende sagt die eine Frau: „Ich bereue nichts!“ Die mit dem Muppetgrinsen meint, sie habe „das Glückliche im Gesicht wiederbekommen“. Und die dritte findet’s ok, dass die Ärzte ihr die Brüste zusammengenäht haben, damit das Silikongewicht in Doppel-G hält.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Dramatisch gestiegene EigenröstgefahrRTL 2 hütete sich, auch nur ansatzweise die Motive seiner OP-Zeugen in Frage zu stellen. Und zeigte im Anschluss lieber „Exklusiv – die Reportage“ mit dem Titel „Ein viel zu kurzes Leben“, in der zwei Stunden über Porno-Darstellerin Sexy Cora berichtet wurde, die 2010 noch bei „Big Brother“ Kandidatin war, bevor sie sich kürzlich zum sechsten Mal die Brüste operieren lassen wollte und dabei verstarb. Coras Geschäfts- und Lebenspartner will, so sagt er, „ihr Lebenswerk aufrecht erhalten“ und ist deshalb nach der Beerdigung voll in die Vermarktung des neuesten Videos eingestiegen, das seine Freundin vor ihrem Tod noch fertig stellen konnte.

Und RTL 2 hat zur Schilderung ihres Ablebens, den Notarzt-Archivbildern und den verpixelten Aufnahmen der verantwortlichen Hamburger Privatklinik noch einmal die schönsten Nacktfotos der Verstorbenen gezeigt („Die nachfolgende Sendung ist für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet“). Im Sinne des Lebenswerks, versteht sich.

Zuviel Soviel für diese Woche.

Screenshots: Kabel 1, WDR, ZDF, RTL 2

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6 Lesermeinungen

  1. Jeeves sagt:

    Ich hab mir noch nie solch...
    Ich hab mir noch nie solch Sendungen angeschaut und werde es auch nun nicht tun. Gibt es tatsächlich jemand, der Lebenszeit für so einen Quatsch opfert? Da ist zum Beispiel die elftmalige Lektüre vom „Kampf der Häuptlinge“ sinnvoller.

  2. BloodyFox sagt:

    Lieber Peer,

    Wenn ich das...
    Lieber Peer,
    Wenn ich das alles so lese, stellt sich mir eine Frage: Du hast doch Kontakte im Business, ne? Mich würde ja mal wirklich ein Interview mit Thomas „Jumbo“ Schreiner interessieren.
    Ich habe die letzten beiden Wochen zufällig bei einem Freund mein Leben XXL im Abendprogramm von Kabel1 gesehen; also nicht, dass mir Jumbo ein Novum im Deutschen Fernsehen wäre, wie er sich (sprichwörtlich) durch alle Programme der ProSieben-Gruppe frisst, aber meine Freunde und ich haben die Sendung dann doch mit einer Mischung aus Faszination und Ekel verfolgt.
    Da kam letztens nämlich eine Folge, in der er das – du wirst es vermutet haben – größte Wienerschnitzel der Welt gesucht hat. Was darin endete, dass er in der Schweiz eine 130kg Chimäre aus breitgeklopften Schnitzeln und Blöcken von Käse kreiert hat, die dann in einem Backofen einer Bäckerei gebacken wurde (Ob danach je wieder ein Brot darin gebacken wurde, wurde leider nicht aufgeklärt).
    Wie dem auch sei – um auf meinen ursprünglichen Punkt zurückzukommen: Mich würde doch wirklich mal Jumbos Sicht der Dinge interessieren. Ich meine, der Mann ist nicht dumm; laut Wikipedia hat der mit Rick Cavanian eine erfolgreiche humoristische Bühnenshow produziert. Aber ich erwarte ehrlich, dass irgendwann einmal eine Live-Sendung kommt, in der er sich vor halb Deutschland wirklich in den Tod frisst. Kann der Mann wirklich glücklich sein damit, dass alles, was er noch im Fernsehen machen darf, fressen ist? Also wirklich nur FRESSEN? Hier gehts ja nicht um kulinarische Vielfalt oder Experimentierfreudigkeit. Sondern um Lebensmittelverschwendung, hauptsache XXL steht vor dem Namen des Gerichts.
    Wahrscheinlich war die Beobachtung des Freundes, bei dem ich geschaut habe, gar nicht mal so arg ab vom Schuss: Wahrscheinlich weint sich dieser große Mann jeden Abend in den Schlaf, weil er nichts mehr anderes machen darf.
    Gerade deshalb würde mich mal interessieren, was er zu dieser Thematik sagt.

  3. hobbitfreund sagt:

    "Kochen mit Knall" fand ich...
    „Kochen mit Knall“ fand ich eigentlich ganz unterhaltsam. Vor allem, weil allen außer den Mitwirkenden der Sendung schon vorher klar war, dass bei den Versuchen nichts appetitlich Aussehendes herauskommen würde.
    „Der Vorkoster“ braucht eigentlich keiner, denn der WDR hat doch dafür Yvonne Willicks mit dem Haushaltscheck (was ich viel unterhaltsamer finde als Tomaten).
    Und dass die ZDF- Doku schlecht war, wusste ich schon vorher. Schließlich ist das beim ZDF so üblich: eine umstrittene Theorie zu einem Thema (aus Geschichte, Biologie etc.), einige von der Theorie überzeugte „Experten“, ein bisschen Musik und Kuddelmuddel; fertig ist das, was das Zweite uns als Dokus verkauft. Und da beim Zweiten natürlich keiner Ahnung von Twilight hat (die Zielgruppe dürfte sich für Anderes interessieren), war diese Doku natürlich nicht viel besser als diverse TerraX oder ZDF- History- Dokus.
    Zu RTL II sag ich jetzt mal lieber nichts, nicht, dass ich noch richtig schlimme Wörter benutze ;-).
    Ansonsten wie immer Top- Artikel!!!
    Ach und ich weiß nicht, ob das vielleicht unter den Falschen Artikel kommt, aber Donnerstag haben sie bei Kerner wieder Recycling betrieben: ein Beitrag über eine Reporterin, die sich als Spargelstecherin verdingt. Lief schon mind. zweimal auf Sat.1 oder einem Schwestersender. Traurig, aber wahr.

  4. trillian sagt:

    Ich finde "Kochen mit Knall"...
    Ich finde „Kochen mit Knall“ als „Die Sendung mit dem Sprachfehler“. Alles in allem nicht sonderlich unterhaltsam, sondern eher ekelig. Und die Verschwendung von Lebensmitteln kann ich nicht wirklich lustig finden.
    Björn Freitag hingegen mag ich sehr. Und im WDR ist er schon länger Stammgast – auch als er noch Fastfoodduellierte. Denn er war mindestens einmal in der Woche im Nachmittagsprogramm bei „daheim und unterwegs“ dabei. (jetzt wollte ich gerade „drüber und drunter“ schreiben, aber das ist was anderes https://www.drueberunddrunter.de/ ) Der Vorkoster ist im typischen WDR Reportage-Stil gehalten. Genau wie die anderen Verbrauchersendungen, die dort ausgestrahlt werden.

  5. Stefan sagt:

    "Einen Partner, der immer da...
    „Einen Partner, der immer da ist. Danach sehen sich viele Menschen in einer Zeit, in der Beziehungen oft befristet sind“ Ich schätze mal da fehlt ein „n“ damit aus „sehen“ „sehnen“ wird.

  6. pschader sagt:

    @Stefan: Ok. Danke....
    @Stefan: Ok. Danke.

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