Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem Glanz

| 10 Lesermeinungen

Zur Eröffnung der Bundesgartenschau ist dem SWR ganz blumig zumute; das ZDF verzettelt sich mit einem gut gemeinten Jugendkrimi; für die nächsten Einsätze müsste RTL seinen "Undercover Boss" mal überarbeiten; RTL 2 lässt einen Mentalmogler auf trauernde Familienangehörige los; und bei N24 moderieren jetzt auch Apotheker. Was diese Woche im Fernsehen los war.

Die Sendungen
  • Feste feiern:
    Buga 2011
    SWR
  • Ein Medium sucht Spuren RTL 2
  • Undercover Boss RTL
  • Wer rettet
    Dina Foxx?
    ZDF
  • Deutschland akut N24

Hach, ist das schön da draußen. Alles blüht, die Sonne scheint, und in der Luft liegt der süße Duft blinder Begeisterung. Zumindest in und um Koblenz, wo am vergangenen Wochenende die Bundesgartenschau eröffnet wurde, auch wenn man angesichts der Berichterstattung des SWR hätte denken können, die Stadt sei zur Metropole eines neuen Kaiserreichs ausgerufen worden.

In einer Spezialausgabe der Schwärm- und Jubelsendung „Feste feiern“ präsentierte Moderatorin Judith Kauffmann (deren Haarfarbe beinahe nahtlos in die ihres Hosenanzugs überging) nicht nur die schönsten Blumenarrangements in der Stadt sowie dem Festungsgelände auf der anderen Rheinseite.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem GlanzNein, sie nahm sich auch den Oberbürgermeister zur Brust, quetschte investigativ aus ihm heraus, dass er sich die Buga zwar sehr schön, aber „nicht so schön vorgestellt“ habe, wie sie jetzt gelungen sei, und fragte: „Sie haben die noch beweglichen Hundertjährigen der Stadt eingeladen – wie war das?“ Woraufhin der OB antwortete: „Viele von denen sind, meistens mit Rollis, über die Seilbahn auf die Festung rauf.“

Der Buga-Geschäftsführer musste sich nach der offiziellen Buga-„Hymne“ („Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem Glanz“) nicht ganz so kritische Fragen gefallen lassen, weil Kauffmann beim Interview in der neu gebauten Seilbahn erstmal „Gänsehaut“ bekam und ihren Gesprächspartner dann aufforderte: „Stellen Sie Ihr Licht doch nicht so unter den Scheffel!“, wonach der Mann („so ein Macher!“) sich endlich traute, die „guten Eintrittspreise“ zu loben.

Am härtesten ist man beim SWR aber natürlich im Umgang mit dem eigenen Haus, das in der Sendung reichlich berücksichtigt wurde, zum Beispiel in Form des unbedingt sehenswerten SWR-Pavillons auf dem Buga-Gelände, dem tollen SWR-Medienschiff auf dem Rhein und der sympathischen SWR-Landessenderdirektorin Simone Sanftenberg. „Wie geht’s Ihnen?“, fragte die Journalistin (Foto oben). Sanftenberg aber behielt die Ruhe und konterte: „Ich hab mir schon gedacht, dass Sie so was fragen!“ Nachher zog Kauffmann die Schrauben noch einmal an: „Wir sind der Sender, der ganz Deutschland mit diesen schönen Bildern versorgt. Das ist eine Verantwortung. Ist es auch eine Last?“ 

Nun verlangt ja niemand vom SWR, die Eröffnungsfestivität einer Gartenausstellung nicht auch mit schönen Bildern zu schmücken und stattdessen ein Politmagazin draus zu machen.

Wenn sich ein Sender allerdings als Außenstelle der Touristikzentrale mit Zuständigkeit Bewegtbildpropaganda versteht, ohne auch nur am Rande darauf zu verweisen, dass die Ausstellung samt sündhaft teurer Seilbahn in der Stadt höchst umstritten war, ist das exakt die Art Rentnerfernsehen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein massives Glaubwürdigkeitsproblem beschert.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem GlanzFür die Glaubwürdigkeit beim jungen Publikum kämpft derweil das ZDF mit seinem Projekt „Wer rettet Dina Foxx?“, das in dieser Woche als Auftakt einer Internetschnitzeljagd zum Thema Datenschutz als Solitär ins ZDF-Programm geschossen wurde. Der Inhalt: Eine junge Frau gerät ins Visier von Identitätsdieben und muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, ihren Freund ermordet zu haben.

So aufklärerisch gut gemeint das Anliegen aber sein mag – der Film, der die Zuschauer in die Geschichte reinziehen soll, ist viel zu vollgestopft mit Charakteren, Ereignissen und Referenzen, noch dazu wirr geschnitten und mit peinlichen Momenten gespickt (in der ZDF-Mediathek ansehen).

„Sie können sich ja noch richtig ereifern!“, sagt der Anwalt im grau-blau eingefärbten Knast, worauf seine Mandantin erwidert: „Ja, weil ich noch ein Herz hab.“ Und in einem Rückblick regt sich einer von Dinas Freunden beim gemeinsamen Abendessen von null auf hundert auf, verflucht die Gastgeberin als „Industrienutte“ und beginnt den interessanten Dialog: „Leck mich!“ – „Leck du mich!“ – „Jesus!“

Vielleicht lohnt sich’s, in den kommenden zweieinhalb Wochen online nachzusehen, ob sich alle wieder ein bisschen abgeregt haben

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem GlanzAm Montag ist die erste Staffel „Undercover Boss“ zu Ende gegangen. Und abgesehen davon, dass die Idee, einen Geschäftsführer inkognito zum Arbeiten zurück an die Basis zu schicken, äußerst mehrheitsfähig ist, muss RTL noch mal am Gesamtkonzept der Dokusoap schrauben. Weil sich längst nicht jede Firma für ein solches Experiment eignet, vor allem wenn in einem Unternehmen überall dieselben Handgriffe getätigt werden. 

In dieser Woche wurde der Chef eines Franchise-Pizzalieferservices zum Teigkneten, Pizzabelegen, Fahrerbegleiten und Spülen verdonnert (Folge bei rtlnow.de ansehen) – das hat aber nicht gereicht, um  dem Publikum glaubhaft zu machen, der Entscheider hätte nachher wirklich etwas dazu gelernt. 

Die größte Schwachstelle ist, dass die Sendung viel zu mechanisch funktioniert. Die Teilnehmer aus den Chefetagen müssen in jeder Folge dieselben Sprüche aufsagen („Es geht nicht darum, die Mitarbeiter zu kontrollieren“). Und am Ende werden die durch die Verkleidung ihres Chefs getäuschten Mitarbeiter in die Firmenzentrale eingeladen, aufgeklärt und kurios beschenkt. Vielen Geschäftsführern scheint es weniger um die Verbesserungsvorschläge zu gehen, die sich aus dem Rollentausch tatsächlich herausdestillieren ließen, sondern bloß um Publicity mit Wohlfühlende.

Der Pizzachef hat minimale Verbesserungen am Bestellsystem angekündigt und eine intensivere Schulung der Angestellten beim Teigrollen. (Obwohl nur er selbst damit Probleme hatte.) Wie schade: RTL opfert damit die schöne Chance gesellschaftlicher Relevanz simpler Firmen-PR. 

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem GlanzGut, das ist immer noch besser als Woche für Woche soviel Leergut ins Programm zu kippen, dass es im deutschen Fernsehen eigentlich nur so von Flaschensammlern wimmeln müsste.

Die Flaschen von RTL 2 sind aber alle noch da und haben den „medialen Profiler“ Martin Zoller für „Ein Medium sucht Spuren“ in Vermisstenfällen herumschnüffeln lassen, die Jahre zurückliegen (Sendung ab 20 Uhr bei rtl2.de ansehen). Einer Mutter, deren Tochter vermutlich Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, sagte Zoller, ihre Tochter würde irgendwo tot in der Kanalisation liegen, das habe er an ihrer Aura auf dem Foto und beim Handauflegen einer Landkarte erkannt – nur: „Leider steht das jetzt nicht mehr in meinen Möglichkeiten, da weiterzumachen.“ Einer Frau, deren Mann nicht mehr nachhause kam, erzählte der Schweizer, der Schlingel sei mit einer Anderen abgehauen, wahrscheinlich nach „Ungarn, Tschechien oder östliches Österreich“.

„Dann kann ich ja jetzt wütend sein“, meinte die Verlassene, die damit endgültig sicher war, dass ihrem Mann nichts zugestoßen war.

Das Absurde an dem billigen Hokuspokus ist: Zoller hilft den Betroffenen tatsächlich. Aber nur, in dem er wortreich ausschmückt und wiederholt, was die Angehörigen vorher schon erzählt haben. „Das hat mir bestätigt, was ich selber schon im Kopf hatte“, sagt die Ehefrau. Viel mehr hat der Mentalmogler auch gar nicht gewollt. Armseligeres Fernsehen kann man eigentlich kaum machen.

Und weil sich Fernsehkritiker sonst so gerne darüber beschweren, dass in politischen Talkshows soviel unnütz gestritten wird, hat sich N24 für „Deutschland akut“ etwas Besonderes ausgedacht (bei n24.de ansehen). Einen hauptberuflichen Apotheker als Moderator, der gar keine Fragen stellt, sondern bloß drannimmt – und Gäste, die schon zu Beginn der Sendung alle einer Meinung sind. Zum Thema Kernkraft hatte Friedemann Schmidt die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn, einen Greenpeace-Experten und einen Vertreter der Polizeigewerkschaft eingeladen.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Koblenz, du Koblenz, erblüh in vollem GlanzWeil keiner der drei Gegenwind zu erwartenhatte, geriet das Konsensgespräch schnell zum Paniktalk, in dem morgen die Welt explodiert und Höhn unwidersprochen behaupten durfte,  „dass der Frankfurter Flughafen direkt neben einem Atomkraftwerk liegt“.

Es ist die lahmste aller Talkshows, die N24 jemals im Programm hatte, ohne Konfrontation, ohne Skepsis, dafür aber mit reichlich Apothekenassoziationen, wie Schmidt im N24-Vorgespräch darlegte (achten Sie bitte auch auf den völlig hilflosen Nachrichtenvorleser, der sich überhaupt nicht vorbereitet hat). „Wir sind uns jetzt alle einig, hier am Tisch sowieso, und draußen in Deutschland“, sagte der „Deutschland akut“-Gastgeber mitten in der Auftaktsendung, obwohl noch soviel Restsendezeit übrig war, in der man auch das mit dem Weltfrieden noch schnell hätte klären können. Aber so bleibt wenigstens noch was für die nächste Ausgabe.

Soviel für diese Woche.

Screenshots: SWR, ZDF, RTL, RTL 2, N24

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10 Lesermeinungen

  1. Robert sagt:

    Zum ZDF-Internetfilm sollte...
    Zum ZDF-Internetfilm sollte man vielleicht noch sagen, dass der Server der ZDF-Seite noch in der Ausstrahlungsnacht zusammengebrochen ist, viele Daten sind wohl veroren gegangen. Und ein paar Tage später wurde die Seite gehackt. Ziemlich peinliche Sache.

  2. BloodyFox sagt:

    Ach, bei Undercoverboss hab...
    Ach, bei Undercoverboss hab ich schon nach den ersten 10 Minuten gemerkt, was für eine heillose PR-Sendung das für die Unternehmen ist und dass da aufgrund der „Erkenntnisse“ keine großen Veränderungen im Umgang mit dem eigenen Personal gemacht werden würden. Das ist das ja, wenn RTL nicht noch einmal in einer Sonderausgabe zurückkommt, merkt der Zuschauer doch gar nicht, ob Versprechungen, wenn überhaupt welche gemacht werden, eingehalten wurden bzw. wenn RTL dann für so eine Sendung anfragt, kann man ja immer noch „Nein“ sagen.

  3. Jeeves sagt:

    "deren Haarfarbe beinahe...
    „deren Haarfarbe beinahe nahtlos in die ihres Hosenanzugs überging“
    Das klingt wie einer der unterirdischen Witze aus den Sendungen, über die man hier meist liest.
    (sagt man noch „unterirdisch“?).
    Färbt das ab oder ist es doch eher ein Zeichen dafür, dass man sich versteht? …dass man eigentlich den gleichen biederen Geschmack hat?

  4. pschader sagt:

    @BloodyFox: "Extra" hat das...
    @BloodyFox: „Extra“ hat das gemacht.

  5. BloodyFox sagt:

    @Peer: Inwiefern? Die sind...
    @Peer: Inwiefern? Die sind dann in ein Unternehmen zurück? Selbst undercover dann oder mit Erlaubnis, wie zumindest zu vermuten ist? Bei einem investigativen Format wie „Extra“ kann ja nur ersteres der Fall sein.

  6. pschader sagt:

    <p>@BloodyFox: Nein,...
    @BloodyFox: Nein, natürlich menschelt’s dann vor allem. Und ist gut für den Audience Flow.
    @Jeeves: Wahrscheinlich beides. Schlimm, oder?

  7. hobbitfreund sagt:

    Hm, der SWR hat einen Pavillon...
    Hm, der SWR hat einen Pavillon und ein Medienschiff und Interviewpartner und ganz offensichtlich Sendezeit übrig- Was für eine Gebührenverschwendung! Ein, zwei Kamerateams hätten wohl nicht gereicht. Und dann hat man am Outfit der Reporterin gespart (bzw. am Stylisten). Und die ganzen Blumen sehen sicher schön aus, rechtfertigen aber keine solche unkritische Berichterstattung. Ich nenn das gern öff.- rechtl. Idyllisierung: da wird etwas, das in der Realität nicht immer idyllisch ist (z. B. BUGA, ein Krankenhaus> die Sachsenklinik aus „In aller Freundschaft“, Cornwall etc.) zu einem rentnerfreundlichen Paradies hochstilisiert, damit, damit? Der Zweck des Ganzen hat sich mir noch nicht erschlossen.

  8. Unbekannt sagt:

    @ "Wer rettet Dina...
    @ „Wer rettet Dina Foxx?“
    Folgendes Experiment wäre spannend: ein paar Mitarbeiter der Führungsetage des zdf werden vor einen PC gesetzt und dabei gefilmt, wie sie die zugehörige website freidaten.org besuchen …
    Zu besichtigen gäbe es mit 99%iger Sicherheit verlegenes Mäuseschubsen, wahlloses Anclicken von Inhalten und spätestens nach 2min ein verlegenes „naja, ich hab auch nicht die Sendung gesehen!“ …
    Einen solchen, mit ‚Gebühren‘ durchfinanzierten Schmarrn hab ich lange nicht gesehen.
    Aber schön, die ‚Macher‘ sind von der Straße und haben was fürs Mäppchen.

  9. Markus sagt:

    Der SWR ist doch nach eigenen...
    Der SWR ist doch nach eigenen Angaben so etwas wie „Medienpartner“ der BUGA in Koblenz. Was soll man da an objektiver Berichterstattung erwarten?
    Für einen öffentlich-rechtlichen Sender finde ich das sehr bedenklich.

  10. Michael S. sagt:

    Ich wusste gar nicht, dass...
    Ich wusste gar nicht, dass „Uns“ Judith der Unterschenkel amputiert wurde 🙂
    Ihr solltet sie mal bei den stundenlangen Faschingsumzügen in Ludwigshafen im SWR3 erleben…das is Geseier und Textbaustein mit eingelegtem Honig-ums-Maul-Streichen der Beteiligten in HOchkultur, eine wahre Pracht.

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