Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Tim Mälzer auf Schnitzel-Jagd: Wo kommen die kleinen Würstchen her?

| 23 Lesermeinungen

Nachdem es in der ARD-Themenwoche im vergangenen Jahr schon um das Essen aus der Tüte ging, schaut sich Tim Mälzer diesmal an, wie das Fleisch produziert wird, das die Deutschen in rauen Mengen verzehren. Die Erkenntnisse sind erwartbar unangenehm, die neue Folge von "Deutschland isst..." bleibt aber trotzdem merkwürdig unentschieden.

Von wegen freundlicher Fernsehkoch: Tief in Tim Mälzer drin schlummert doch ein Verrückter-Professor-Gen! Beim letzten Mal hat er eine Brokkolisuppe aus der Tüte nachgekocht, mit all den ekligen Zutaten, die hinten auf der Packung aufgelistet waren, vor allem aber: mit nur ganz wenig Brokkoli. Diesmal packt Mälzer sich das große Messer, schneidet sich ein paar Filets vom Schwein zurecht – und legt sie dann zur Seite. Denn das, was übrig bleibt, ist in diesem Moment viel spannender: Reste, die normalerweise als Schmorfleisch weiterverarbeitet oder als Hack im Supermarktregal landen würden. In Mälzers Versuch werden sie – ein schönes neues Filet. 

Bild zu: Tim Mälzer auf Schnitzel-Jagd: Wo kommen die kleinen Würstchen her?Dazu braucht es keine Zauberei, nur ein weißes Pulver aus einer Tüte mit rotem Aufkleber, in der sich das Enzym Transglutaminase befindet. Oder wie Mälzer sagt: Fleischkleber.

Mit dem lassen sich die Fleischreste zusammenpappen. Am anderen Morgen ist wie durch ein kleines Wunder ein neues Filetstück draus geworden (das viel teurer weiterverkauft werden könnte als die Reste, aus denen es besteht). „Das geht so einfach, dass mir jeder den größten Mist als leckeres Steak unterschieben kann“, sagt Mälzer mit entsetztem Gesichtsausdruck.

Und wenn Ihnen jetzt immer noch nicht schlecht ist, fehlt vielleicht noch die Information, dass die Fleischkleberei ein erlaubtes Verfahren der Lebensmittelindustrie ist, das für die Käufer noch nicht einmal gekennzeichnet werden muss. Den Beweis, wie und wo genau das passiert, bleibt Mälzer am Ende trotzdem schuldig: Offiziell will sich kein angefragter Hersteller zu den Panschereien bekennen. Damit gibt sich der ARD-Koch zufrieden. Und genau das ist das Problem der neuen Folge von „Deutschland isst…“, einer Mischung aus Reportage und  Verbraucheraufklärung, die Mälzer im vergangenen Jahr zur ARD-Themenwoche „Essen ist leben“ schon mal ausprobieren durfte.

Jetzt gibt es drei neue Folgen, montags um 21 Uhr im Ersten. In jeder davon ergründet Mälzer (ähnlich wie der neulich schon erwähnte WDR-„Vorkoster“), wo genau unser Essen herkommt bevor wir es in den Einkaufswagen legen. Das alleine ist schon löblich (und mehr zum Thema Supermärkte gibt’s, entschuldigen Sie die Eigenwerbung, nebenan im neuen Supermarktblog).

Doch der Auftaktfolge, in der es um Fleischproduktion geht (Vorschau ansehen), merkt man vor allem ihre Unentschiedenheit an: Dass die Deutschen viel zu viel Fleisch essen, wenig dafür bezahlen wollen und die Industrie deshalb auf Produktionsmethoden umgestellt hat, bei denen einem sich der Magen umdreht, passt Mälzer nicht in den Kram. Und das sagt er auch. Dass am Ende nach all den gruseligen Bildern aus den Tierfabriken, den Statsitiken und Forschungserkenntnissen bloß der gut gemeinte Rat an die Zuschauer übrig bleibt, vielleicht nur noch ein oder zweimal in der Woche Fleisch zu essen, ist eine Verlegenheitslösung – weil sich die zuvor gezeigten Bedingungen und Fakten dadurch kaum ändern werden.

Bild zu: Tim Mälzer auf Schnitzel-Jagd: Wo kommen die kleinen Würstchen her?Mit Leidenschaft gegen den Konsum zu wettern, bringt Mälzer aber auch nicht fertig – weil er selbst überzeugter Fleischesser ist und es kein eindeutiges Feindbild Fertigprodukt mehr gibt.

Und der neuerliche Endverbraucher-Test, bei dem zwischendurch die vermeintlichen Anstrengungen einer bayerischen Familie gezeigt werden, die es als enorme Herausforderung sieht, für ein paar Tage Tage ihre völlig fleischfixierte Ernährung umzustellen, ist diesmal leider eher peinlich geraten. „Heute war ich beim Karstadt und bin an einer Wurstabteilung vorbeigegangen. Wenn ich da den Serranoschinken sehe…“, schmachtet die Mutter einmal. Und der Vater erzählt, auf was er jetzt alles in der Kantine verzichten muss. Ja, was für eine schlimme Quälerei!

Gut möglich, dass es bei der ARD noch nicht angekommen ist, aber es soll durchaus schon Familien geben, die wissen, wie man sich auch mal einen Tag ohne Schlachter ernährt ohne dafür auf einen Orden zu spekulieren. Für diese Zielgruppe scheint die aktuelle Folge von „Deutschland isst…“ eher nicht gemacht zu sein. Wie gut, dass es noch zwei weitere Chancen gibt. Denn als Lebensmittel-Aufklärer macht Mälzer sich sonst richtig gut.

„Deutschland isst… mit Tim Mälzer“, montags um 21 Uhr im Ersten. Nachtrag, 3.5.: Folge 1 ist jetzt in der ARD-Mediathek abrufbar. Oder in der Das-Erste-Mediathek. Nein, fragen Sie nicht warum. 

Screenshots: NDR

23 Lesermeinungen

  1. 226StGB sagt:

    Vom geschlachtetet Säuen und...
    Vom geschlachtetet Säuen und Ferklen. Bei der Schlampereie gewisser Vollidiotinnen ab und zu auch aus humanen Säuglingen die in den Fleischwolf geraten.

  2. Muriel sagt:

    Mir ist bisher nicht klar...
    Mir ist bisher nicht klar geworden, was an Transglutaminase mir den Magen umdrehen sollte, oder sonst jemandem.
    Weiß das jemand hier?

  3. Uli sagt:

    "Dass am Ende nach all den...
    „Dass am Ende nach all den gruseligen Bildern aus den Tierfabriken, den Statsitiken und Forschungserkenntnissen bloß der gut gemeinte Rat an die Zuschauer übrig bleibt, vielleicht nur noch ein oder zweimal in der Woche Fleisch zu essen, ist eine Verlegenheitslösung – weil sich die zuvor gezeigten Bedingungen und Fakten dadurch kaum ändern werden.“
    Das verstehe ich jetzt nicht, warum sollte sich dadurch nicht etwas ändern lassen? Weil die Zuschauer es eh nicht machen oder weil Fleischverzicht allein nicht ausreicht? Ich bitte um Aufklärung da ich seit einigen Monaten bewusst nur noch zweimal pro Woche Fleisch esse.

  4. pschader sagt:

    @Uli: Naja, Safran Foer...
    @Uli: Naja, Safran Foer erklärt’s ja auch sehr schön: Die Industrie wird sich dadurch nicht umstellen. Im Zweifel werden halt die Margen größer. Oder meinen Sie, wenn ein paar Leute sagen, sie essen weniger Industriefleisch, dass die Konzerne sagen: dann können wir ja auch wieder tierverträglicher produzieren?
    @Muriel: Vielleicht bin ich auch allein mit der Auffassung, zusammengeklebtes Fleisch könnte ein bisschen – bäh sein?

  5. rgroth sagt:

    Abgesehen davon, daß ich...
    Abgesehen davon, daß ich „Deutschland isst…“ & Tim Mälzer nicht soo toll finde:
    „nur noch ein oder zweimal in der Woche Fleisch zu essen“, halte ich durchaus für sinnvoll und auch zielgerecht.
    Freilich mit der Zugabe, daß beim selteneren Fleischkauf durchaus auch höhere Preise gezahlt werden (können) – was den Griff zur besseren Qualität ermöglicht.

  6. Hans Wurst sagt:

    "Offiziell will sich kein...
    „Offiziell will sich kein angefragter Hersteller zu den Panschereien bekennen. Damit gibt sich der ARD-Koch zufrieden. Und genau das ist das Problem der neuen Folge …“
    Das sehe ich anders. Hätte er ein oder zwei Hersteller gefunden, bei denen diese „Panschereien“ zum Geschäftsmodell gehören, könnte man sich als Verbraucher einfach zurücklehnen und bei diesen Herstellern eben nichts mehr kaufen. Durch das Vermeiden eines Prangers wird dem fleischessenden Zuschauer eher vermittelt, wo das Problem liegt, nämlich bei ihm selbst und seinem unkontrollierten Essverhalten. Tim Mälzer hat eine sehr gute Sendung gemacht. Einem Fernsehkoch investigativen Journalismus abzuverlangen finde ich hier doch etwas übertrieben.
    .
    @Uli/Peer: Die Lebensmittelindustrie wird ihre Methoden durch einen noch so gutgemachten Beitrag im Fernsehen allerdings genausowenig ändern, wie durch das bewusstere Essverhalten von 10 % ihrer Konsumenten. Der Beitrag klärte über fragwürdige Methoden der Industrie auf und hatte in meinen Augen die Message: „Jeder kann selbst entscheiden, was er isst. Zieh daraus die Konsequenzen, die für Dich die richtigen sind.“

  7. Maddi sagt:

    Wieso ändert sich nichts,...
    Wieso ändert sich nichts, wenn die Ernährung von 7 Tagen Fleisch die Woche, auf 1-2 umgestellt wird? Klar, Tierfutterproduktion, Export – es lassen sich Argumente für unveränderte Produktion finden, aber es wurde in der Sendung empfohlen die 1-2 mal wöchentlich „ordentliches“ Fleisch zu kaufen. Mit diesem Zusatz würde sich zumindest der Binnenmarkt produktionstechnisch zwangsläufig gewaltig ändern.
    Das sollte man bei der Berichterstattung nicht unterschlagen.
    Transglutaminase darf in abgepacktem Fleisch und Fertigprodukten ungekennzeichnet verwendet werden, es darf aber nicht in „Frischthekenfleisch“ sein. Das wurde in der Sendung deutlich erklärt.
    Damit ist: „Den Beweis, wie und wo genau das passiert, bleibt Mälzer am Ende trotzdem schuldig: Offiziell will sich kein angefragter Hersteller zu den Panschereien bekennen.“ zwar inhaltlich richtig, allerdings der folgende Satz: „Damit gibt sich der ARD-Koch zufrieden.“ unzureichend dargestellt.

  8. Nama sagt:

    Als (seit Safran Foers Buch)...
    Als (seit Safran Foers Buch) überzeugte Vegetarierin kann ich auch nicht so ganz nachvollziehen, was so schwer daran ist, auf Fleisch und Wurst zu verzichten. Auch wenn ich es immer gerne gegessen habe und heute manchmal wehmütig am Bratwurststand vorbei gehe. Aber für viele Leute ist es eine große Umstellung im Essverhalten, da blenden sie aus Bequemlichkeit lieber die Gräuel der Massentierhaltung, Folgen für die Umwelt usw. aus.
    @ Uli: Nur noch zwei Mal Fleisch in der Woche ist ein guter Anfang. Wenn das Fleisch dann aus artgerechter Bio-Haltung stammt, umso besser. Aber wenn Sie langfristig was für sich, die Tiere und die Umwelt tun wollen, sollten sie Vegetarier werden. Das ist gar nicht so schlimm, wie viele denken 🙂 Ich musste mir die ersten Monate viele (teilweise verständnislose) Kommentare aus meinem Umfeld anhören. Aber jetzt haben sie’s akzeptiert und braten mir ne „Extrawurst“. Lesen Sie Safran Foer, sehen Sie „We feed the World! Danach werden Sie nicht mehr ohne schlechtes Gewissen Tiere essen können.

  9. pschader sagt:

    @Hans Wurst: Ich würd ja...
    @Hans Wurst: Ich würd ja sagen: Schauen Sie sich mal die Sendung an, in der Mälzer die Fertiggerichte sauber auseinander genommen hat, dann fällt der Unterschied zur jetzigen (wie ich ja auch finde: immer noch guten) Folge auf. Aber die von 2010 gibt’s natürlich nicht mehr in der Mediathek.
    Dafür ist die Fleisch-Folge jetzt sieben Tage online abrufbar (oben ergänzt).
    @Maddi (u.a.): Das Schwierige ist, finde ich, der Doppelschritt: Weniger essen UND mehr bezahlen als früher. Erst wenn das klappt, muss die Industrie umstellen. Zweimal in der Woche Billigfleisch reduziert zwar die Menge, ändert aber glaube ich nicht die Produktionsweise.

  10. Raoul sagt:

    Ich halte den Ansatz von Tim...
    Ich halte den Ansatz von Tim Mäkzer und der ARD für einen gelungenen Schritt, die Fleichproblematik einem größeren Publikum dazulegen. Ob sich etwas ändert entscheidet der Konsument, also auch ich. Die Industrie mag sich nicht drehen, aber wenn ich ein Kilo Schweinefleisch an der Supermarkttheke für 2,99 € kaufen kann, dann ist die Qualität auch entsprechend. Leider gibt es kaum noch Fleischer, wo man eine bessere Qualität vermuten kann. Wir geben mittlerweile mehr Geld für Fleisch aus und essen weinger, ohne uns Regeln aufzulegen.

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