Von wegen freundlicher Fernsehkoch: Tief in Tim Mälzer drin schlummert doch ein Verrückter-Professor-Gen! Beim letzten Mal hat er eine Brokkolisuppe aus der Tüte nachgekocht, mit all den ekligen Zutaten, die hinten auf der Packung aufgelistet waren, vor allem aber: mit nur ganz wenig Brokkoli. Diesmal packt Mälzer sich das große Messer, schneidet sich ein paar Filets vom Schwein zurecht – und legt sie dann zur Seite. Denn das, was übrig bleibt, ist in diesem Moment viel spannender: Reste, die normalerweise als Schmorfleisch weiterverarbeitet oder als Hack im Supermarktregal landen würden. In Mälzers Versuch werden sie – ein schönes neues Filet.
Mit dem lassen sich die Fleischreste zusammenpappen. Am anderen Morgen ist wie durch ein kleines Wunder ein neues Filetstück draus geworden (das viel teurer weiterverkauft werden könnte als die Reste, aus denen es besteht). „Das geht so einfach, dass mir jeder den größten Mist als leckeres Steak unterschieben kann“, sagt Mälzer mit entsetztem Gesichtsausdruck.
Und wenn Ihnen jetzt immer noch nicht schlecht ist, fehlt vielleicht noch die Information, dass die Fleischkleberei ein erlaubtes Verfahren der Lebensmittelindustrie ist, das für die Käufer noch nicht einmal gekennzeichnet werden muss. Den Beweis, wie und wo genau das passiert, bleibt Mälzer am Ende trotzdem schuldig: Offiziell will sich kein angefragter Hersteller zu den Panschereien bekennen. Damit gibt sich der ARD-Koch zufrieden. Und genau das ist das Problem der neuen Folge von „Deutschland isst…“, einer Mischung aus Reportage und Verbraucheraufklärung, die Mälzer im vergangenen Jahr zur ARD-Themenwoche „Essen ist leben“ schon mal ausprobieren durfte.
Jetzt gibt es drei neue Folgen, montags um 21 Uhr im Ersten. In jeder davon ergründet Mälzer (ähnlich wie der neulich schon erwähnte WDR-„Vorkoster“), wo genau unser Essen herkommt bevor wir es in den Einkaufswagen legen. Das alleine ist schon löblich (und mehr zum Thema Supermärkte gibt’s, entschuldigen Sie die Eigenwerbung, nebenan im neuen Supermarktblog).
Doch der Auftaktfolge, in der es um Fleischproduktion geht (Vorschau ansehen), merkt man vor allem ihre Unentschiedenheit an: Dass die Deutschen viel zu viel Fleisch essen, wenig dafür bezahlen wollen und die Industrie deshalb auf Produktionsmethoden umgestellt hat, bei denen einem sich der Magen umdreht, passt Mälzer nicht in den Kram. Und das sagt er auch. Dass am Ende nach all den gruseligen Bildern aus den Tierfabriken, den Statsitiken und Forschungserkenntnissen bloß der gut gemeinte Rat an die Zuschauer übrig bleibt, vielleicht nur noch ein oder zweimal in der Woche Fleisch zu essen, ist eine Verlegenheitslösung – weil sich die zuvor gezeigten Bedingungen und Fakten dadurch kaum ändern werden.
Und der neuerliche Endverbraucher-Test, bei dem zwischendurch die vermeintlichen Anstrengungen einer bayerischen Familie gezeigt werden, die es als enorme Herausforderung sieht, für ein paar Tage Tage ihre völlig fleischfixierte Ernährung umzustellen, ist diesmal leider eher peinlich geraten. „Heute war ich beim Karstadt und bin an einer Wurstabteilung vorbeigegangen. Wenn ich da den Serranoschinken sehe…“, schmachtet die Mutter einmal. Und der Vater erzählt, auf was er jetzt alles in der Kantine verzichten muss. Ja, was für eine schlimme Quälerei!
Gut möglich, dass es bei der ARD noch nicht angekommen ist, aber es soll durchaus schon Familien geben, die wissen, wie man sich auch mal einen Tag ohne Schlachter ernährt ohne dafür auf einen Orden zu spekulieren. Für diese Zielgruppe scheint die aktuelle Folge von „Deutschland isst…“ eher nicht gemacht zu sein. Wie gut, dass es noch zwei weitere Chancen gibt. Denn als Lebensmittel-Aufklärer macht Mälzer sich sonst richtig gut.
„Deutschland isst… mit Tim Mälzer“, montags um 21 Uhr im Ersten. Nachtrag, 3.5.: Folge 1 ist jetzt in der ARD-Mediathek abrufbar. Oder in der Das-Erste-Mediathek. Nein, fragen Sie nicht warum.