Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über’n Tisch ziehen

| 12 Lesermeinungen

Der NDR hat recherchiert, wie das "Lügenfernsehen" der Privaten funktioniert und sich dabei von einem Produzenten bequatschen lassen; Vox testet mit einem Fake-Millionär, was sich aus der Scripted Reality noch rausholen lässt; und Sonja Zietlow versaut sich bei "Big Brother" die Karriere. Was diese Woche im Fernsehen los war.

Die Sendungen
  • Panorama – Die Reporter NDR
  • Plötzlich reich Vox
  • Big Brother – Der Start RTL 2

Über das „Lügenfernsehen“ werde „Panorama – die Reporter“ in seiner aktuellen Ausgabe berichten, meldete der NDR am Dienstagnachmittag – und meinte damit natürlich ausschließlich „das Privatfernsehen“, in dem „immer schriller die angebliche Wirklichkeit“ abgebildet, „getrickst“, „inszeniert“ und „gefälscht“ werde. Nun sind die Macher des NDR-Politmagazins sonst selbst nicht gerade zimperlich, wenn es ums Dramatisieren geht. Diesmal ist in der Redaktion aber glücklicherweise jemandem aufgefallen, dass es nicht ganz so seriös wäre, die Irreführungen der Konkurrenz zu thematisieren und gleichzeitig die eigene Manipulationsmaschine anzuwerfen.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über'n Tisch ziehenAlso hat Reporterin Anja Reschke von ihrer „Spuren-suche im Treibsand der neuen Fernsehlandschaft“ beinahe ausgeruht-zurückhaltende 30 Minuten mitgebracht, die anhand vieler Beispiele erklärt, wie Fernsehen heute gemacht wird (Sendung bei ndr.de ansehen).

Die Familie, deren Haus in der RTL-Sendung „Unterm Hammer“ nur zum Schein versteigert wurde, hat Reschke erzählt, wie sie sich bei den Dreharbeiten dachte: „RTL tut dich ja nicht über’n Tisch ziehen.“ Mutter und Tochter, die als Laiendarsteller in der Nachmittagssoap „Mitten im Leben“ eine zerstrittene Hartz-IV-Familie spielten, verstehen sich eigentlich prima und reflektieren vor der NDR-Kamera: „Normales Leben will der Zuschauer garantiert nicht sehen.“

Und der „stern tv“-Fälscher Michael Born, den Reschke in Griechenland besucht hat, sagt den schönen Satz: „Ich weiß gar nicht mehr, warum ich damals eigentlich verurteilt wurde“ – heute werde im Fernsehen doch sowieso alles nachgestellt.

Dass es nur in einer Randbemerkung um die Öffentlich-Rechtlichen geht, ist ein bisschen enttäuschend. Und als Reschke einmal zwischen dem „falschen“ Privatfernsehen und „echten Sachen, wie das, was wir gerade machen“ unterscheidet, schimmert wieder die Selbstgefälligkeit der Politjournalisten durch (die ja auch nichts anderes wollen als „Geschichten“ erzählen).

Bild zu: Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über'n Tisch ziehenDoch das ändert nichts daran, dass „Panorama – die Reporter“ sonst anständig seine Pflicht erfüllt: im Gespräch mit den Landesmedienanstalten, die mal wieder erklären, keinen Handlungsspielraum zu haben; und mit RTL, wo man sich ein paar Sätze über Verantwortungsbewusstsein zurechtgelegt hat.

Richtig was Neues hat Reschke nicht rausgefunden, sich aber ausführlich bei dem bedient, was die Medienkritik vorher alles aufgeschrieben hat. Und dass die beim Straßencasting begleitete Agenturfrau Imke Arntjen sowas wie die Kronzeugin hiesiger Castingkritiker ist, weil sie sehr genau weiß, welche Sätze sie formulieren muss, um selbst in die Medien zu kommen (und Pressemitteilungen dazu herauszugeben), hätte man ruhig mal dazusagen können. Aber all das ginge in Ordnung, wäre da nicht das Gespräch mit Karl-Heinz Angsten, Entwicklungsleiter der Produktionsfirma Good Times, der die Produzenten unwidersprochen als unschuldige Opfer der Sender darstellen darf: „Der Druck ist enorm!“ Dass das ausgerechnet von Good Times kommt, einem der aktiveren Verursacher von Kollateralschäden im Reality-Fernsehen (unter anderem mit der „Mädchen-Gang“), ist frech.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über'n Tisch ziehenWährend der NDR sich um die Konsequenzen des Genres sorgt, testete Vox wenige Tage zuvor, welche neuen Spielformen die Scripted Reality noch so verträgt.

Bei „mieten, kaufen, wohnen“ und „Schneller als die Polizei erlaubt“ arbeitet der Sender schon seit vergangenem Jahr mit geskripteten Fällen. Bei „Plötzlich reich“ erzählte Vox nun den Fall einer Familie, die Millionen im Lotto gewinnt, sich den neuen Reichtum zu Kopf steigen lässt und daran zugrunde geht (komplette Folge bei voxnow.de).

Die Geschichte „beruht auf einer wahren Begebenheit, alle handelnden Personen sind frei erfunden“, erklärte der Off-Sprecher zu Beginn, bevor sich eine Handvoll Laienschauspieler zwei Stunden in den vermeintlichen Geldsegen hineinsteigern durfte. Als Kronzeugen ließ Vox einen echten Lottogewinner, der den kompletten Gewinn verprasste, die Ereignisse kommentieren. Dazu erklärte der ehemalige Pressesprecher einer Lottogesellschaft „die Klassiker unter den Fehlern“, wie sie jeder Millionengewinner schon mal gemacht hat.

Weil es davon in Deutschland womöglich doch nicht so arg viele gibt, war die Quote der Dokusoap mit 7,6 Prozent Marktanteil bei den jungen Zuschauern eher mau – wobei die Vox-Mischung aus Ratgeber und Scripted-Prollereien doch eher zu den harmloseren Varianten des Genres gehören dürfte und eine Fortsetzung vermutlich auch nicht das Abendland untergehen ließe.

Gleiches gilt inzwischen anerkanntermaßen auch für „Big Brother“, das RTL 2 seit Montag mal wieder den Quotenschnitt retten muss, und in der elften Staffel mit „The Secret“ untertitelt ist, weil sämtliche Kandidaten ein Geheimnis – pardon: „ein ausgewachsenes Schlagzeilengeheimnis“ hüten, das die Kontrahenten aufdecken sollen.

Wollen Sie wissen, welche? Sicher?

Bild zu: Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über'n Tisch ziehenNa gut: Valencia saß mal im Jugendknast, David war ein dickes Kind, Cosimo ist Briefmarkensammler, Jordan hat Angst vor Spinnen, René war mal Mister Sachsen 2005, Ingrid hat Angst im Dunkeln, Rayo zieht mit seinem Schutzengel ein, Hedia ist noch Jungfrau, Jasmin betet vorm Schlafengehen, Lisa muss alles dreimal machen, Daggy war mal Biermodel, Fabienne ist mit Timmy verheiratet und der andere Tim hat gar keine so hohe Stimme. Das sind natürlich echte Brenzligkeiten, die RTL 2 seinem Publikum da zumutet. Aber immerhin wohnt im Haus diesmal nicht wie im vergangenen Jahr die halbe deutsche Pornobranche. (Stattdessen werden Ex-„DSDS“-Bewerber dem TV-Recycling zugeführt.)

Es ist nicht nur das Problem der Einzugsshow, sondern des ganzen Formats, dass es so furchtbar langatmig ist, dass der Sender irgendwann den Streit der Kandidaten befeuern und sie mit albernen Schikanespielchen ablenken muss, nachdem die Zuschauer bis zur völligen Weichbirnigkeit mit Superlativen zugelötet wurden.

Die „größte Realityshow der Welt“ gehe wieder los, hieß es am Montag, „das Sommer-Event 2011“, die „spektakulärste Staffel aller Zeiten“, „die einzigartige Herausforderung, die ‚Big Brother‘ heißt“ bzw. „das Abenteuer, das sich Leben nennt“, mit Kandidaten, „die Geschichte schreiben, die unsterblich werden“. Hm.

Bild zu: Die Woche im Fernsehen – Reality-Spezial: RTL tut dich ja nicht über'n Tisch ziehenSicher, RTL 2 hat nicht viel zu verlieren. Aber warum sich Sonja Zietlow als Moderationsvertretung mit diesem Brechdurchfallgetexte die weitere Karriere versauen lässt, ist ein Rätsel, zumal in solchen Produktionen auffällt, wie sehr ihr Talent offensichtlich von der Qualität der Autorentexte abhängt, die sie bei „Ich bin ein Star! Holt mich hier raus“ glänzen lassen – und bei „Big Brother“ völlig abstürzen.

„Im Haus können böse Worte fallen, Menschen sich in die Arme fallen oder aus allen Wolken, aber die wichtigen Entscheidungen fallen in der Mysteryzone“, faselte Zietlow zum Auftakt. Und erklärte, warum Aleks Bechtel nicht da sein kann: „Sie hat ein Kind bekommen. Den zweiten Jungen. Somit hat sie auch privat zuhause ihren eigenen ‚Big Brother‘.“ Und kurz darauf, gegen das Geschrei des völlig überdrehten Publikums: „Wir sind gerade nicht im Stillen, aber waren beim Stillen und in der Staffel hat jeder im Stillen sein Geheimnis.“

Ungefähr so muss es sich anfühlen, lebendig begraben zu sein.

Soviel für diese Woche.

Screenshots: NDR, Vox, RTL 2

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12 Lesermeinungen

  1. Raoul sagt:

    Es ist für mich immer...
    Es ist für mich immer interessant zu hören, was auch im Freundes -und Bekanntenkreis über die eine oder andere Sendung gesagt wird. Das das alles Fake ist wird gar nicht wahrgenommen. Ich habe vor Jahren mal den Selbstversuch gestartet und mich über eine Agentur bei Castings beworben und bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen. Lettendlich habe ich keines der Anegbote angenommen, aber dieser kleine Einblick hat mir gereicht. Solange diese Formate aber gesehen werden werden die Sender keinen Anlass haben dies zu ändern, zumal die Produktionen dann vergleichsweise billig sind, inhaltlich und monetär.

  2. BloodyFox sagt:

    Der Typ von den LMA im...
    Der Typ von den LMA im Panorama-Beitrag ging ja mal überhaupt nicht. Wie er die ganze Zeit dasaß in Mr.-Burns-Manier.
    Und ich bitte dich, Peer: Inwiefern soll den Big Brother bitte schön der Zietlow die Kariere verbauen? Die hat doch schon in den „10 besten“ Jahren der letzten 10 Jahre nur Müll moderiert und hat dann doch deine so hoch gelobte „Rolle“ im Dschungelcamp bekommen.

  3. der captain sagt:

    Ich wette dass wenn die Frau...
    Ich wette dass wenn die Frau Reschke nicht an den Fleischtöpfen der GEZ sitzen würde sie die ganze Sache anders sähe. Es ist eben im Fernsehen wie überall wo der freie Markt regiert (Phrasendrescherei, ich weis): was sich verkauft wird produziert- und damit kann ich besser leben als mit einem Zwangsabgabesystem, das im Endeffekt vor allem eine Kaste überbezahlter Fernsehbeamter durchfüttert. Dass die NDR-Sendung dann noch a la „knallhart recherchiert und die Misstände aufgedeckt“ rüberkommen soll ist doch lächerlich, das Thema ist ausgelutscht und die wirklich schmerzhaften Fragen werden wieder nicht gestellt (Eigenverantwortung der „Darsteller“, voyeuristische Interessen der breiten Masse der Fernsehzuschauer die durch solche Sendungen letztlich bedient werden).
    Traut euch doch mal ein wirklich heißes Eisen anzufassen um einen gesellschaftlichen Diskurs anzuregen.

  4. Wenn bei der FAZ auf etwas...
    Wenn bei der FAZ auf etwas verlass ist, dann der reflexartige Hass auf alles öffentlich-rechtliche. Man könnte meinen, es befände sich ein Kohl-Kirch-Altärlein in der Abteilung Medien, an dem jeden morgen, wenn nicht onaniert, dann doch wenigstens gebetet würde.

  5. pschader sagt:

    @Robert wallmacher: Das ist...
    @Robert wallmacher: Das ist wirklich grober Unfug, schauen Sie sich doch in diesem Blog noch mal um.

  6. So desillusioniert möchte ich...
    So desillusioniert möchte ich aber bitte nicht werden… sonst könnte ich um diese Zeit auch was netteres machen als hier und anderswo zu argumentieren. Die Hoffnung auf ein besseres Ergebnis eines Tages möchte ich behalten! Einiges kann ich nicht so richtig nachvollziehen hier in diesem Artikel, da ich mich noch nicht so lange mit den Medien beschäftige. Was ist das mit dieser Castingkritikerin und was mit dem Leiter der Produktionsfirma? Genau das ist es auch – wenn dieser Panorama-Beitrag langjährige Medienschaffende etwas unbefriedigt hinterläßt, mag das durchaus verständlich sein. Aber das betrifft nicht die Leute, die die Sendung sehen! Die hören so etwas vielleicht zum ersten Mal. Und es ist wichtig für sie, dass sie mal auf diese Perspektive aufmerksam gemacht werden, oder nicht?
    Wenn man in den Blog dazu geht, sieht man, dass und wie sich die Bürger dazu äußern – ist das nichts? Dass sie die Möglichkeit haben, ihre Meinung auszudrücken und zu belegen, was sie sich als Zuschauer wünschen? Darauf kann man dann die Programmverantwortlichen verweisen und komplett überhören können sie das nicht. Auch, wenn es Tendenzen in den eigenen Sendern gibt.
    Und noch etwas: wer ist bloß Mr.Burns??

  7. Stefan sagt:

    "Und als Reschke einmal...
    „Und als Reschke einmal zwischen dem „falschen“ Privatfernsehen und „echten Sachen, wie das, was wir gerade machen“ unterscheidet, schimmert wieder die Selbstgefälligkeit der Politjournalisten durch (die ja auch nichts anderes wollen als „Geschichten“ erzählen).“
    Ich glaube sie unterscheidet zwischen „falschen“ scripted reality Sendungen und „echten“ wie z.B. dieser Sendung.
    Das ist doch völlig in Ordnung.
    Und darüber hinaus finde ich eine Unterscheidung zwischen Politjournalismus (eher hochwertig) und Reality-TV (eher minderwertig) richtig. Das kann man doch nicht so wie Sie das machen mit „die erzählen auch nur Geschichten“ über einen Kamm scheren.
    Oder?

  8. pschader sagt:

    @Stefan: Ich will Ihnen diesen...
    @Stefan: Ich will Ihnen diesen grundguten Glauben an den ehrlichen Politjournalismus nicht nehmen, wenn Sie sich dagegen sträuben.

  9. Stefan sagt:

    @Peer Schrader: Ihre Antwort...
    @Peer Schrader: Ihre Antwort ist aber frech:
    Das hat doch mit grundgutem Glauben nichts zu tun. Und bedeutet auch nicht, dass ich naiv an das gute im Politikjournalismus glaube.
    Aber wollen sie ernsthaft behaupten es gäbe keinen Qualitätsunterschied zwischen sagen wir mal Panorama und Mitten im Leben? Meinen sie im Ernst die erzählen beide nur „Geschichten“ und fertig?

  10. pschader sagt:

    @Stefan: Das hab ich nicht...
    @Stefan: Das hab ich nicht behauptet. Ich glaube (und weiß) aber wohl, dass „Panorama“ sich zum Teil ebenso inszenatorischer Mittel bedient, um seine Geschichten zu erzählen. (Schauen Sie sich doch bloß mal die Künstlichkeit der Spielform „Die Reporter“ an.) Das liegt zum Teil am Medium Fernsehen. Eine Gut-Böse-Einteilung, wie Sie sie vornehmen, wäre mir auf jeden Fall zu einfach.

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