Neulich war wieder Ostern, und da passte es ganz gut, dass der Bundespräsident ein paar Tage zuvor beim Besuch einer Veranstaltung in Wiesbaden mit rohen Eiern beworfen wurde. Ei, Ostern – Sie verstehen schon. Also hat Benjamin von Stuckrad-Barre sich in seiner Sendung auf die Bühne gestellt, von zwei als Polizisten verkleideten Mitarbeitern mit Schutzschildern abschirmen lassen und die bekanntesten Eierwurfszenen der deutschen Politikhistorie nachgestellt, um sie vom Publikum im Saal erraten zu lassen.
Irgendwann traten die Schutzschildhalter beiseite und Stuckrad-Barre ließ sich weiter bewerfen, bis er völlig versaut in seinem Anzug dastand, aber wohl noch nicht versaut genug. Also zerschlug er sich für den Rest der Sendung ein Ei nach dem nächsten selbst über dem Kopf. Bis endlich der Abspann lief.
Es war gleichzeitig absurd und traurig, mitansehen zu müssen, wie eine schon vorher nur bedingt lustige Aktion völlig aus dem Ruder lief. Am liebsten wäre man eingeschritten, hätte dem Gastgeber die restlichen Vorräte aus der Hand gerissen, weil es ja sonst keiner tat, und ihn anschließend zu einem längeren Kuraufenthalt an die Ostsee geschickt. Aber das ging ja nicht.
Und trotzdem bleibt die Frage: Wie geht es eigentlich Benjamin von Stuckrad-Barre – nach seinem Popliteratenruhm in den 90ern, dem Drogenabsturz, der Rehabilitierung als Kolumnist, der sich in einen seltsamen Exklusiv-Deal mit den Zeitungen des Axel-Springer-Verlags verirrt hat?
Seit er bei ZDFneo seine eigene wöchentliche Talkshow hat, ist das nämlich nicht so ganz klar.
An diesem Mittwoch wird im Neuköllner Ballhaus Rixdorf die vorerst letzte Show aufgezeichnet, die dann morgen um 22.30 Uhr im Programm läuft. Ob es eine Fortsetzung gibt, kann ZDFneo-Redaktionsleiterin Simone Emmelius noch nicht sagen: „Wir werden erst einmal durchatmen und mit ein bisschen Abstand gemeinsam die Stärken und Schwächen bewerten. Auf dieser Grundlage wollen wir im Laufe des Sommers entscheiden, ob wir in eine zweite Runde gehen werden.“ *)
Sicher ist nur: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.
Vor allem, weil sich Stuckrad-Barre in seiner eigenen Sendung nicht so richtig wohlzufühlen scheint. In den ersten Ausgaben zu Beginn des Jahres war ihm die Aufregung deutlich anzumerken, und dass das auch vermeintlichen Medienprofis wie ihm passiert, war – sagen wir: sympathisch. Nur hat die Aufregung nicht nachgelassen. Schlimmer noch, Stuckrad-Barre versucht sie Woche für Woche mit einer Mischung aus Hektik, Aufgekratztheit und Zwangsironie zu überspielen.
Jedes Mal steht er im Anzug auf der Bühne, mit Krawatte, weißen Sneakers und pinker Mädchenarmbanduhr. Er turnt wie ein Fünfjähriger durch die Sendung, der den ersten Koffeinschock seines Lebens hat; sitzt an seinem kleinen Schreibtisch, verknotet die Arme umständlich um den Körper und redet über die eigenen Neurosen; trinkt soviel Wasser als käme er gerade vom Hochleistungssport; und ist neuerdings schon zu Beginn der knapp 40 Minuten Sendung komplett durchgeschwitzt: „Hier ist so warm.“
Den Stand-up-Teil zu Beginn vermasselt er zuverlässig, was damit zusammenhängen mag, dass er einfach kein guter Witzeerzähler ist, aber auch ganz wesentlich damit zu tun hat, dass die Witze schlecht sind und vielleicht mal ein paar Autoren ran müssten, die ihre Qualifikation nicht durch das Betreiben einer Christian-Ulmen-Fanseite erworben haben.
In der Ostersendung hat Stuckrad-Barre gescherzt, niemand wisse, wo China den „Oster-Weiwei“ versteckt habe. Und dass ja die Auferstehung des Heilands gefeiert werde, also Karl-Theodor zu Guttenbergs. Und dass es gefährlich sei, wenn in Deutschland die AKW abgeschaltet würden, weil der Osterhase sich dann am Windrad die Ohren abschneide und ein „Keinohrhase“ werde.
Ähm.
Das größte Problem von „Stuckrad Late Night“ ist, dass die Sendung so aussieht als sei sie ein Stündchen vor Aufzeichnungsbeginn beim Bier ausgedacht worden.
Das halbe Publikum besteht immer aus Schülern auf Klassenfahrt, die mindestens die Hälfte der Politikanspielungen des Gastgebers nicht verstehen. Und oben auf dem Rang sitzen zwar Hajo Schumacher und Jörg Schöhnbohm als Sidekicks parat, aber vermutlich nur, weil von außen jemand die Tür abgeschlossen hat. Richtig gestänkert oder mitten in die Show reingequatscht wird nur selten. (Dabei ist das, immer wenn es zufällig mal passiert, ganz lustig.)
Und Stuckrad-Barre fehlt oft völlig die Kontrolle über die Sendung. Im Februar quasselte er während einer Aufzeichnung so lange über die Sendezeit, dass die Regie nervös wurde, was man in der letzten Zuschauerreihe ganz gut mitverfolgen kann, weil sie unmittelbar dahinter platziert ist, vom Publikum nur getrennt durch einen roten Vorhang. Als dann auch noch das Mikro versagte und Stuckrad-Barre leicht panisch in die Runde fragte: „Wie lange denn schon?“, flüsterte Regisseur Christian Ulmen seinem Regiekollegen hinterm Vorhang zu: „Sag ihm: noch nicht so lange!“
Das alles ist deshalb so schade, weil sowohl der Moderator als auch seine Sendung durchaus das Zeug dazu hätten, etwas Schwung in den lahmen Late-Night-Betrieb des deutschen Fernsehens zu bringen.
Die Idee, ausschließlich Politiker als Gesprächspartner einzuladen, ist gut – weil man die sonst nur in den üblichen Will-Illner-Plasberg-Talkrunden sieht, wo sie ihre Floskeln abwerfen und wieder verschwinden. Stuckrad-Barre hingegen kann alles fragen, was man sonst nie erfährt: was sie in ihrem Job antreibt, wie sie mit dem Druck umgehen, was sie über die ständige Begleitung ihrer Arbeit durch die Medien denken. Er macht es nur viel zu selten.
In seinen Zeitungskolumnen (die nachher als Buch erscheinen) ist Stuckrad-Barre ein kluger, böser Beobachter des Politbetriebs. Bei ZDFneo ist er der Onkel, der seine Gäste zum Spielen zwingt.
Dietmar Bartsch musste mit ihm symbolische PDS-Altlasten im Hausmüll versenken. Mit Franz Münteferings Frau Michelle hat er den SPD-Aktionsleitfaden für Infostände in Fußgängerzonen durchgespielt. Hans-Christian Ströbele musste eine Hanf-Demo mitorganisieren. Und die Ex-NRW-Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn bekam ein Huhn im Käfig auf die Bühne gestellt. Am Ende wird gerne gesungen. Halbwegs spannende Gespräche sind in der Sendung selten vorgesehen. Warum eigentlich nicht?
Eine passende Hinleitung gibt es doch schon: Jeder, der zu „Stuckrad Late Night“ kommt, beantwortet zuerst die „Fragen im Stehen“, ein schneller Frage-Antwort-Schlagabtausch, den der Gastgeber hervorragend beherrscht. Im einen Moment erkundigt er sich nach großem Quatsch, fragt plötzlich aber durchaus ernsthaft in die Biografie seines Gegenübers hinein.
„Froh, mal wieder im Fernsehen zu sein?“, wollte er von Andrea Ypsilanti wissen. Bartsch sollte sagen: „Spricht Oskar Lafontaine wieder mit Ihnen?“ – „Echt wahr, dass Ihnen Lächeln körperliche Schmerzen bereitet“, hat er SPD-Mann Ralf Stegner gefragt. Und Hans Christian-Ströbele: „Ihre ganz persönliche Erinnerung an Andreas Baader?“ – Ach ja, Herr Gysi: „Macht das eigentlich dumm, wenn man in Talkshows immer Recht hat?“ Am Ende steht jedes Mal der Satz: „Wollen wir uns setzen?“
Dieses Intro funktioniert ganz fantastisch, das merkt man schon an den Reaktionen aus dem Publikum. Weil dabei in den meisten Fällen wirklich witzige Momente entstehen, die sich vorher niemals planen ließen, und weil die Politiker auftauen und tolle Geschichten erzählen, an die es sich anzuknüpfen lohnen würde.
Wie dumm, dass das im Ablauf nicht mehr vorgesehen ist.
(Dass es sehr wohl geht, hat gerade Stuckrad-Barres Gespräch mit einem irritierend gut gelaunten Erwin Huber gezeigt, der sich bereitwillig über seine Fehde mit Horst Seehofer, sein Scheitern als CSU-Parteivorsitzender und seine Verspanntheiten ausfragen ließ.)
Ein weiteres schönes Ritual ist, dass jeder Gast eine Woche vor dem Auftritt eine Einwegkamera mit Spontanbildern vollfotografiert und nachher in der Sendung die interessantesten Fotos kommentiert. Damit rücken die Zuschauer dem Politiker – im besten Fall – tatsächlich ein Stückchen näher, ganz ohne den peinlichen Effekt einer Homestory in der „Bunten“. Leider geht das unter, wenn die meiste Zeit sonst für öde Ratespielchen mit dem Publikum und kindische Verkleidungsrituale draufgeht.
Die coole Lässigkeit, mit der Stuckrad-Barre im Vorspann von „Stuckrad Late Night“ durch Berlin schlendert – das wäre genau die richtige Haltung für seine Sendung: nicht so aufgedreht, sehr wohl witzig und böse, aber noch viel neugieriger. Dazu braucht es keine unlustigen Einspielfilme mit dem Fake-Reporter Gero Schorch, keine Harald-Schmidt-Gestenimitationen und erst recht nicht die Kurzkommentare von Christian Ulmens überstrapazierter Kunstfigur Uwe Wöllner (die zuletzt glücklicherweise schon rausgefallen sind).
Es braucht lediglich den Ehrgeiz, eine Late-Night-Show zu machen, die ein bisschen mehr auf das Talent ihres Gastgebers zugeschnitten ist.
Und vorher natürlich ein paar ruhige Wochen an der Ostsee.
Screenshots: ZDFneo
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*) Außerdem sagt Emmelius: „Wir hatten mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Ulmen, dem Produzenten, schon vor Beginn der ersten Staffel vereinbart, dass dies eine Test-und Entwicklungsstaffel wird. Unsere Bilanz fällt positiv aus. Uns war bewusst, das Late Night Talk nicht nur, aber besonders in Deutschland ein schwieriges Genre ist. Und ich finde, es ist uns gelungen, ein unterhaltendes politisches Format zu entwickeln, dass das gängige Polittalk-Muster augenzwinkernd bricht und Politiker aus ungewohnter Perspektive zeigt. Das gab es bisher nicht. Unsere Zuschauer haben das mit wechselndem Erfolg angenommen.“ Wie höflich. Aber Fortsetzung klingt anders. (zurück)
Das trifft's genau, und zwar...
Das trifft’s genau, und zwar für alles, was der Herr bisher tat:
„…wie ein Fünfjähriger…, der den ersten Koffeinschock seines Lebens hat“
.
Schaut auf dieses Gesicht, denn:
„Das Gesicht ist ein Abbild der Seele.“ Cicero.
ich fand die show gar nicht...
ich fand die show gar nicht schlecht. klar, etwas mehr struktur wäre schon möglich, aber das teilweise ins chaotische gehende gefiel mir auch. es gibt, wenn ich meinen – nicht nachgefragten – senf dazu gebe, sicher einige andere talkshows, die eine geringe existenzberechtigung vorweisen können.
<p>Ich hab die Sendung nicht...
Ich hab die Sendung nicht so verfolgt, aber wenn ich sie gesehen habe, hatte ich ähnliche Eindrücke. Und bei dem Satz musste ich gerade kurz innehalten:
„Es braucht lediglich den Ehrgeiz, eine Late-Night-Show zu machen, die ein bisschen mehr auf das Talent ihres Gastgebers zugeschnitten ist.“
Weil man ähnliches auch über die kurzlebige Late Night von Anke Engelke auf Sat1 sagen kann. Natürlich lag viel von der Schuld für diese Tragödie bei den Chefs von Sat1, die Engelke nicht halb so viel Bewährungszeit eingeräumt haben wie Schmidt seinerzeit – aber ich hatte vor allem den Eindruck, dass auf Biegen und Brechen versucht wurde, statt einer echten Ange-Engelke-Show eine Harald-Schmidt-Show-mit-Anke zu machen – mit Dingen, die ihr nicht lagen (Schmidts Stand-Up-Witze waren noch nicht mal bei ihm selbst witzig, noch viel weniger bei jemand ganz anderem) und viel zu ähnlicher Aufmachung.
Und das macht doch bei den amerikanischen Shows auch keiner – die gleiche Show für alle Moderatoren.
Bei der ersten Sendung war ich...
Bei der ersten Sendung war ich frohen Mutes: Das ist die Aufregung, das braucht einfach noch ein bisschen Übung, dafür gibts schließlich Spartensender. Aber tatsächlich wurde Stuckrad-Barre nicht viel lockerer.
Ich bewundere dennoch die kreativen Momente: Durch den Vogelkäfig legte Bärbel Höhn richtig los. Und zu meinen Highlights zählt auch Schönbohm und Wagenknecht auf der Therapeutencouch.
Wenn man Gero Schorch und Christian Ulmen noch aus der Sendung nimmt, die Sprechtexte verfeienert und einen Ventilator auf die Bühne stellt, dann seh ich eine erfolgreiche Zukunft.
Klingt ja ganz interessant und...
Klingt ja ganz interessant und so, als würde es vielleicht auch die Event-gewohnten und jüngeren Zuschauer anziehen können. Muß ich mir mal angucken…
Und Ostsee wär für viele gut. Es könnte auch Bad Kissingen sein…
Schönbohm, nicht Schöhnbohm!...
Schönbohm, nicht Schöhnbohm!
Wenn Harald Schmidt solche...
Wenn Harald Schmidt solche Scherze machen würde, würde er vom Feuilleton gefeiert. Aber bei BSB isses natürlich Kinderkram.
Läuft gerade... das ist ja...
Läuft gerade… das ist ja witzig! Die Zigaretten… undogmatische Grüne gibt es. Werde ich jetzt öfter gucken, leider wohl immer nur nebenbei. Hab es schon angestrichen. Eine Pause ab nächster Woche?! Wiederholen bitte, die bisherigen Folgen! Hat mir bis jetzt niemand davon erzählt. Wo kann ich mit meinem Kabelanschluß eigentlich dieses neue ZDF Kultur empfangen, oder nur per Internet, habe keine Zeit, mir so was erst rauszusuchen. Dieser Herr Barre ist jedenfalls elegant und angenehm anzuschauen und wirkt sympathisch und man ist neugierig auf seinen nächsten Satz. Das ist was heutzutage.
Also ich finde es gut. Gerade...
Also ich finde es gut. Gerade dieses Fragen-Bombardement auf die Gäste.
Und die Einwegkamera-Geschichte gab es übrigens schon bei „Kuttner“.
Hier ist ein sehr geistreicher...
Hier ist ein sehr geistreicher Kerl albern, spontan und oft erstaunlich treffsicher, bringt die Politiker dazu, sich in Humor zu versuchen und sofort verlangen alle Struktur und Sinnhaftigkeit, die sie doch schon in anderen Latenights aufs ödeste geboten bekommen. Mich erinnert das ein bißchen an diese Screwballkomödien, wo 3 Gags danebengehen und der vierte genial ist. Stuckrad überrascht mich mehr als Schmidt, der’s einfach drauf hat, für den das aber keine Herausforderung mehr ist. Wäre traurig, wenn das jetzt vorbei wäre. Junge, komm bald wieder!