Kann mir bitte jemand erklären, was da heute im „Polizeiruf“ passiert ist?
Entweder liegt es an mir – ich bin durchaus häufiger in irgendwelchen privaten oder semiberuflichen Runden derjenige, der als einziger die entscheidende Verbindung zwischen Mörder und Opfer nicht verstanden hat. Oder die Geschichte, die dieser „Polizeiruf“ aus Brandenburg erzählt hat (der erste mit Maria Simon als Hauptkommissarin Olga Lenski), war totaler Unsinn.
Fangen wir mit einem Detail an. Folgende Situation. Ein Häftling ist aus dem Freigang nicht zurückgekehrt. Werner Linsing, ein früherer Arbeitskollege von ihm, hat die Polizei alarmiert, dass er bei ihm sei. Die neue Kommissarin und der alte Krause fahren zu ihm und klingeln. Linsing macht die Tür auf, aber nur einen kleinen Spalt, so dass man nicht in die Wohnung gucken kann. Neinneinnein, sagt er, ach was, der sei schon wieder weg, der Typ, der sei auch gar nicht hochgekommen, neinnein, hat sich erledigt, undtschüß.
Jeder Zuschauer, der schon mehr als null Krimis in seinem Leben gesehen hat, weiß: Der Häftling steht neben ihm hinter der Tür und bedroht ihn. Tatsache:
Frau Lenski und Herr Krause aber sind anscheinend keine Krimigucker, merken nichts und gehen.
Nun ist es nicht so, dass Frau Lenski blind, blöd oder unaufmerksam wäre. Noch im Fahrstuhl fällt ihr ein, dass es in der Wohnung gerade nach Zigarettenqualm roch und Stunden vorher jemand in einem ganz anderen Zusammenhang nebenbei erwähnt hatte, dass Linsing gar nicht raucht. Daraus, nicht aus der eindeutigen Reaktion des Mannes in der Tür, schließt sie, dass da was nicht stimmt. Sie rennt die Treppen wieder rauf, bricht in die Wohnung ein und findet Lensing tot an seinem Schreibtisch.
So. Testfrage. Was machen Hauptkommissarin Olga Lenski und Hauptmeister Horst Krause als nächstes? Sie rennen wieder ins Treppenhaus, denn weit kann der Mörder ja nicht sein? Sie holen Verstärkung, um gemeinsam das Haus zu durchkämmen? Sie schauen aus dem Fenster, ob sie unten jemanden weglaufen sehen?
Aber nein. Sie stellen fast, dass der Mann auch wirklich tot ist und rufen entspannt die Spurensicherung.
Hallo?
Nun ist das für den Plot dieses „Polizeirufs“ eine, zugegeben, eher kleine, nicht entscheidende Delle im Ablauf. Es ist nicht die einzige. Vor allem aber ergibt sich bei der Auflösung des Falles ein Logikloch von der Größe Celles.
Ich versuche das Geschehen mal chronologisch zusammenzufassen, wie ich es verstanden habe. (Spoiler-Warnung für alle, die die Sendung nicht gesehen haben und trotz dieses Eintrags noch ansehen wollen, zum Beispiel hier in der Mediathek.) Also.
Ulrich Oppmann, der ehrgeizige Leiter eines astrophysikalischen Instituts, will ein Superfernrohr bauen, kommt aber an entscheidender Stelle nicht weiter. Den Durchbruch verdankt er einer genialen Idee seines Feinmechanikers Felix Diest. Er will aber dessen Leistung nicht anerkennen und kündigt ihm. Diest rächt sich, indem er Oppmanns kleine Tochter entführt. Er kommt dabei in eine Polizeikontrolle, gerät in Panik und überfährt einen Beamten. Bevor er dafür ins Gefängnis geht, überlässt er das entführte Kind seiner Schwester, gibt es als seines aus und sie dann als ihres.
Fünf Jahre später. Frau Oppmann macht sich immer noch täglich verrückt wegen ihrer verschwundenen Tochter, was die Ehe belastet, aber auch verhindert, dass Herr Oppmann sie für seine Sekretärin verlässt. Oppmann bekommt den Nobelpreis für die Erfindung, die er als seine ausgegeben hat. Diest nutzt einen Freigang für einen Versuch, Oppmann dazu zu bringen, ihm die Hälfte des Preisgeldes zu geben und die Wahrheit zu sagen. Er entführt das Mädchen, das immer noch bei seiner Schwester lebt, aus dem Kindergarten und zwingt seinen ehemaligen Arbeitskollegin Linsing (siehe oben), ihm Papiere zu geben, die womöglich seine Urheberschaft beweisen. Linsing stirbt an einem Herzinfarkt. Oppmanns guckt in der Mitarbeiterakte die Adresse von Diests Schwester nach und fährt hin, weil er dort sein Kind vermutet. Es kommt zu einem Showdown mit sämtlichen Beteiligten in Oppmanns Villa, wo Diest nun auch noch Oppmanns Frau als Geisel genommen hat, um Oppmann zu zwingen zuzugeben, dass die Erfindung nicht seine Idee war. Das Kind wird gefunden, Diest kommt wieder in Haft und nimmt sich dort das Leben.
Mh?
Ich kann nicht garantieren, dass diese Zusammenfassung stimmt, womöglich habe ich da Dinge durcheinandergebracht. Diverse Kollegen haben sehr anerkennend über diesen „Polizeiruf 110“ geschrieben, anscheinend ohne solche Plausibilitätsprobleme gehabt zu haben oder in ein Logikloch gestolpert zu sein. Vielleicht kann mir also jemand folgende Fragen beantworten:
— Wenn Professor Oppmann ahnte, dass es Diest war, der seine Tochter entführt hat, warum hat er das nicht der Polizei gesagt? Oder hat früher schon einmal bei Diests Schwester (deren Adresse ja in Diests Personalakte stand) nachgesehen? Etwa aus Angst, dass Diest dann verrät, dass das Superfernrohr gar nicht Oppmanns Erfindung war? Wirklich?
— Und Diests Schwester hat es einfach so hingenommen, dass Diest plötzlich ein kleines Kind hatte? Und hat das Mädchen dann einfach fünf Jahre umsorgt? Und es wollte nie irgendein Amt oder der Kindergarten irgendein Dokument sehen, dass das Mädchen identifiziert?
— Warum hat Diest das Mädchen bei seinem Freigang noch einmal entführt? Es war doch ohnehin schon bei seiner Schwester. Der musste er es doch nicht wegnehmen, um Oppmann erpressen zu können.
— Und wenn er schon das Mädchen hatte, warum brauchte er dann auch noch die Dokumente aus der Firma, um Oppmann unter Druck zu setzen? Oder hatte er gemerkt, dass Oppmann das Mädchen egal war? Aber warum hätte er es dann noch einmal entführen müssen?
— Oder ist das Mädchen gar nicht noch einmal entführt worden, sondern nur dem Igel hinterhergelaufen, der zufällig auf Diests Boot tappste, wo dann versehentlich die Tür hinter dem Kind zu und ins Schloss fiel?
Okay, die letzte Variante ist noch unwahrscheinlicher als die anderen. Aber ich kapier’s wirklich nicht.
Sachdienliche Hinweise bitte an eines unserer Aufnahmestudios oder unten in die Kommentare.
Das mit der Situation nach dem...
Das mit der Situation nach dem Herzinfarkt hat mich auch sofort gewundert.
Dass da ein Kind ohne Dokumente im Kindergarten aufgenommen wird, ist auch eher merkwürdig. Alles andere auch berechtigte Fragen.
Aber Maria Simon war gut.
Herr Niggemeier, seien Sie...
Herr Niggemeier, seien Sie ganz entspannt, Sie haben sich nur gefragt, was sich jeder, der bei Verstand ist, fragen mußte: Gibt es noch Logik, Kohärenz, Plausibilität, ja auch nur Wahrscheinlichkeit, oder kann man – auch eine Form von Demokratie – allen alles auf jede Weise erzählen?
Das ist ein typischer...
Das ist ein typischer Anfängerfehler, sich von Logikfehlerin in Fernsehkrimis verwirren zu lassen. Mir ist noch nie einer untergekommen, der nicht in irgendeiner Weise beeinträchtigt war (selbst das grandiose Forbrydelsen wird in weiten Teilen von großer Dummheit der Charaktere getragen, auch wenn sie teils gut begründet ist).
Wenn es nur rationale Charaktere gäbe, wären halt auch Morde schwer zu konstruieren…
Ich fand den Polizeiruf ganz gut, da die Charaktere und Story zumindest nicht allzu offensichtlich aus den üblichen drei Konserven stammten, was deutlich mehr ist als man erwarten durfte…
Ich weiß nicht mehr genau wie...
Ich weiß nicht mehr genau wie es mit der Krankenkassenanmeldung, aber für die Anmeldung meiner Kinder in Kindergarten und Schule habe ich keine Geburtsurkunde benötigt, sondern nur die Formulare der jeweiligen Instition ausgefüllt.
Natürlich haben Krimis bewußt Logiklöcher. Das ist ja das Spannende. Wenn man vor dem Fernseher sitzt, selber schon viel mehr weiß und sagen kann „Boah, sind die blöd, hätten die nicht…..“
Krimis immer nach dem Logikprinizip aufdröseln zu wollen, nimmt doch die Lust zu gucken und sich hineinziehen zu lassen.
Bei der Entführung habe ich...
Bei der Entführung habe ich mich auch schon verzweifelt nach Timing und Logik
gefragt, bin aber auf der Suche nach anderen Zweiflern im Web nur überall auf
dickes Lob gestoßen. Gott sei Dank bin ich doch noch fündig geworden!
Naja, zumindest haben die...
Naja, zumindest haben die Autoren auf den lange verschollenen bösen Zwillingsbruder und radioaktiven Sondermüll im Vorgarten verzichtet. Das ist doch schon mal was…
Tatort und ganz selten...
Tatort und ganz selten Polizeiruf ist das einzige was ich im Fernsehen einigermaßen regelmäßig gucke. Logisch finde ich die nie. Aber es ist gerade das unlogische was mich amüsiert.
Gott sei Dank bin ich nicht...
Gott sei Dank bin ich nicht Polizeibeamter. Sonst müsste ich mich bei fast jedem TV-Krimi darüber ärgern, wie die Kollegen als Volldeppen dargestellt werden: Sie merken nicht, wenn jemand erkennbar bedroht wird (wie im „Polizeiruf“), sie lassen Festgenommene wie blutige Anfänger entkommen, verlieren Verfolgungsjagden (motorisiert, zu Fuß, mit dem Rad), sie erkennen klare logische Zusammenhänge nicht und sind mehr mit ihren privaten und beruflichen Beziehungsproblemen beschäftigt als mit ihrer Arbeit.
Man könnte den Eindruck gewinnen, es gäbe eine Deppenschule für TV-Polizisten (also keine Schule für Deppen, sondern eine, die Deppen produziert). Nun sind reale Polizeibeamte sicher auch nicht perfekt, aber wenn Fiktion nur mit völliger Missachtung von Realität und Logik produziert wird, dann finde ich das zumindest ärgerlich und kann das ganze Produkt nicht mehr ernst nehmen.
(Satirisch angelegte Filme mit all ihren Überzeichnungen sind natürlich was ganz anderes, aber der „Polizeiruf“ war wohl nicht so gemeint.)
Und wieso tauchte die...
Und wieso tauchte die Sekretärin plötzlich auch beim Showdown am Ende auf und truf dabei ein Abendkleid?
Warum sollten sie einen...
Warum sollten sie einen Mörder Linsings suchen, wo der doch an einem Herzinfarkt gestorben ist? Woher die Kommissare das wussten? Es stand im Drehbuch.