Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Börsenturbulenzen: Geht jetzt die Welt unter? Oder doch nur der ARD-"Brennpunkt"?

| 37 Lesermeinungen

Mit einer Sondersendung wollte die ARD den Zuschauern gestern erklären, was die Kurseinbrüche an den Börsen für Ursachen und Folgen haben. Leider schaffte es der offenbar einzige Mann, der das konnte, nicht rechtzeitig ins Studio.

Man kann nur hoffen, dass die Berichterstattung über die Apokalypse bei der ARD nicht in die Zuständigkeit des Hessischen Rundfunks fällt. Allein der Gedanke, dass Chefredakteur Alois Theisen es sich natürlich nicht nehmen lassen würde, die Welt persönlich armerudernd abzumoderieren, sich dabei vollständig auf die Kompetenz eines einzigen Reiter-Experten verlassen müsste, der dann aber aufgrund anderweitiger Verpflichtungen doch nicht ins Studio käme, so dass der entsprechende „Brennpunkt“ ohne jede Gewissheit endete, ob sich der Kauf eines Apfelbäumchens lohnt oder ein Paar Gummistiefel reicht…

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Am Montag sind, wie erwartet, die Kurse an den Börsen eingebrochen. Die ARD nahm deshalb nach der „Tagesschau“ einen viertelstündigen „Brennpunkt“ mit dem Titel „Turbulenzen an den Finanzmärkten“ ins Programm, der damit endete, dass Alois Theisen noch einmal konkret zusammenfasste, welche Fragen von dieser Sondersendung nicht beantwortet wurden:

„Wie wirkt sich das auf die Betriebe aus, der Kurssturz?

Was bedeutet das für unsere Arbeitsplätze?

Kommt jetzt die ganz große Krise der Weltwirtschaft?

Bricht vielleicht am Ende das Weltwirtschaftssystem zusammen?“

Die Antworten, sagte Theisen und entschuldigte sich dafür, musste sein „Brennpunkt“ den Zuschauern schuldig bleiben.

Die einzige Frage, die die Sendung tatsächlich beantwortete, lautete: Kommt Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der von der Redaktion offenbar mangels eigener Fachkenntnisse auserkoren war, all diese Fragen zu beantworten, noch im Laufe der Sendung zu Theisen ins Studio?

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Die Antwort: Er kam nicht.

Der „Brennpunkt“ hatte mit einem Filmbericht begonnen, in dem ein Frankfurter Börsenmakler die Kurve des Dax in verschiedene Metaphern übersetzte. „Ich bin seit heute Anhänger von Sebastian Kneipp „, begann er, „Wechselbäder kalt und warm.“ (Lacher, Beifall oder ein närrisches Tätää wurden nicht eingespielt.) Der Mann fügte hinzu: „Es begann sehr positiv, weiß, dann wird es etwas schwieriger in den Märkten, grau, und zum Schluss muss man sagen, ist es dann doch noch ein schwarzer Montag geworden.“ Schön, dass einem endlich mal jemand diese komplexe Farbenmetaphorik erklärt hat.

Der Bericht endete mit einer Art Entwarnung. Der Sprecher sagte: „Es gilt die alte Börsenweisheit: Der Bulle schlägt den Bär – auf lange Sicht geht’s wieder nach oben.“

Im Anschluss setzte sich Alois Theisen ans Steuer des auf Hochtouren laufenden mobilen Bildergenerators: „Die Krise kam nicht mit einem großen Knall. Sie schleicht auf leisen Sohlen.“ Dann erklärte er, dass die negative Kursentwicklung eigentlich gar nicht der Lage der brummenden deutschen Wirtschaft und insbesondere der Automobilindustrie entspreche  („Die Auftragsbücher sind voll“).

Es hätte ein Film darüber folgen sollen. Aber er kam nicht. Nach einigen Sekunden sagte Theisen:

„So, und der Beitrag liegt noch nicht vor. Es ist heute ganz hektisch. Unser Gesprächspartner, den wir hier im Studio haben wollten, den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, ist auch noch nicht eingetroffen. Das ist Wahrscheinlich den Aufgeregtheiten, Nervositäten des Tages geschuldet. Wir hoffen noch.“

Zum Glück saß in New York schon die Korrespondentin Anja Bröker im ARD-Studio bereit, die Theisen körpersprachlich engagiert fragte, ob der Dow Jones immer noch weiter nach unten rutsche oder es ein Halten gebe. Sie hatte keinelei Hoffnung.

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Nun wieder Theisen:

„Ja, und äh, was sagen denn die Fachleute an der New Yorker Börser, ist jetzt sozusagen die Schuldenkrise der Staaten, ist die jetzt in der realen Wirtschaft angekommen? Hat sich die Wirtschaft mit dem Bazillus infiziert?“

Das ist mal ein originelles Bild, das vielleicht ein klitzekleines Bisschen darunter leidet, dass die die, äh, Erkältung der Staaten nicht zuletzt daher rührt, dass sie so aufopferungsvoll alles dafür getan haben, die schwer verkühlte Wirtschaft dick einzupacken, und dafür die eigenen Mäntel und Schals opferte.  

(Frau Bröker wies Herrn Theisen geduldig darauf hin, dass es der amerikanischen Wirtschaft sehr schlecht geht und sie sich nur extrem langsam erholt.)

In der Zwischenzeit war offenbar der Beitrag über die deutsche Wirtschaft fertiggeworden, und Theisen unterstrich deren „Brummen“ noch einmal mit einer Beckerschen Doppelfaust. Wort- und zahlenreich beschrieb der Film, wie unfassbar blendend es der deutschen Autoindustrie gehe und wie ungerecht es angesichts dessen sei, dass gerade deren Unternehmen besonders stark an der Börse verlören.

Zurück zu Alois Theisen:

„Ja, ist das alls nur Panik? Hat es mir der Wirklichkeit nichts mehr zu tun? Das würde ich jetzt gerne fragen Thomas Mayer, den Chefvolkswirt der deutschen Bank, der eigentlich zugesagt hatte, heute Abend hier bei uns zu sein. Noch ist er nicht eingetroffen. Vielleicht es ein Stau. Wir hoffen noch.“ 

Stattdessen erinnerte er die Zuschauer an den Beginn der Krise, den „verschleierten Bankrott“ Griechenlandes und die Politiker, die durch „Zaudern, Zögern und einen wirren Zickzack-Kurs“ in den Augen vieler Menschen zu „Versagern“ geworden seien. Immerhin habe sich die Krise um den Euro und die Staatsanleihen der hochverschuldeten europäischen Länder dank des Einschreitens der Europäischen Zentralbank nicht weiter verschärft, sagte Theisen, ein „kleiner Lichtblick an einem trüben Tag“ – und eine weitere Metapher im Bild:

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„Sind es nur Kratzer an der Oberfläche? Oder ist der Euro auch in seinem Kern beschädigt?“

Zurück zu Theisen:

„Ja, ist das heute die Trendwende in der Schuldenkrise oder nur eine Atempause? (…) Die Märkte haben trotz des Lichtblicks bei den Staatsanleihen die Aktien weiter auf Talfahrt geschickt. Glauben sie den Politikern nicht mehr?“ 

Thomas Mayer, der all das hätte beantworten sollen, war immer noch nicht im Studio aufgetaucht, aber irgendjemand hatte nun offensichtlich entschieden, dass er es vermutlich in den restlichen fünf Minuten Sendezeit auch nicht mehr tun würde, und so zeigte der „Brennpunkt“ zwei Sätze, die Mayer vorher schon zum Thema in die Kameras des HR gesagt hatte. 

Darauf Theisen: 

„Ja, leider müssen wir ihnen weitere Antworten von Thomas Mayer schuldig bleiben. Er ist weiter nicht eingetroffen neben mir.“ 

Und so musste Frau Bröker in New York nochmal ran und wurde von Theisen einfach nochmal dasselbe gefragt: 

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„Was sagen denn die Experten an der Börse? Rutscht es heute noch weiter ab? Oder kann man davon sagen, die Börse in New York hat sich gefangen? Die Kurse geben nicht weiter nach? Haben wir am Ende des Tages vielleicht einen kleinen Lichtblick?“

Frau Bröker hatte auch jetzt keine aufmunterndere Antwort als fünf Minuten zuvor. Und so verabschiedete sich Theisen mit der oben zitierten Aufzählung sämtlicher Fragen, die dieser „Brennpunkt“ offen lassen musste, weil der einige Mensch auf der Welt, der sie nach Ansicht des Hessischen Rundfunks hätte beantworten können, nicht ins Studio gekommen war. Und fast möchte man diese Art von Journalismus loben, der nicht vorgibt, Antworten zu kennen. Aber es wäre doch schön gewesen, sich wenigstens mit den Fragen beschäftigt zu haben.

Den „Brennpunkt“ in der ARD-Mediathek ansehen.


37 Lesermeinungen

  1. Mythmaker sagt:

    @ Peterman Tomaszek: Naja, ich...
    @ Peterman Tomaszek: Naja, ich erwarte von einem Blog über das Fernsehen keine Erklärungen zur Finanzkrise. Dafür gibt es andere Möglichkeiten.
    Ich habe die Sendung gestern aus Lust an der wieder einmal eintretenden Apokalypse gesehen (Hagen Rether würde vermutlich sagen: „Das haben wir doch schon vor 20 Jahren in Erdkunde gelernt.“) und irgendwann gedacht, ich wäre in der Comedy-Abteilung gelandet. Unglaublich schlechter Journalismus gepaart mit der Frage an mich selbst, warum so ein (journalistisch) ahnungsloser Mensch mit meinen GEZ-Geldern reichlich beglückt wird. Wenn ich zum Fremdschämen neigen würde, gestern wäre es soweit gewesen. Es hat dann nur zur Erheiterung gereicht. Die Gestik des Herrn Chefredakteur kann man dabei natürlich nicht genug erwähnen. Noch nie war die Apokalypse so lustig…

  2. TigreRayado sagt:

    Am Ende geht jetzt die Welt...
    Am Ende geht jetzt die Welt unter nur weil Thomas Mayer einen Taxifahrer erwischt hat der den Weg zum hr nicht kannte… sowas passiert schnell in Frankfurt, oft mit ungeahnten Konsequenzen.

  3. @mythmaker. Dann habe ich...
    @mythmaker. Dann habe ich einen falschen Eindruck erweckt. Wirtschaft lasse ich mir lieber von anderen erklären, Strobl z.B.. Das hier ist ja Metajournalismus. Deshalb thematisiert er zurecht Metaphorik und Gestik des Herrn Theisen.
    Meine Kritik lautet nun, dass Herr Niggemeier sich bloß über diese Gestik und Metaphorik lustig macht, statt sie zu analysieren. Ich bin ein Fan von Herrn Niggemeiers kundigen Analysen (bspw. zuletzt „Das Eigentor der ARD“ in seinem Blog). Und ich glaube, dass der Eindruck, der vergangene Brennpunkt sei in die Hose gegangen, kein Zufall ist, sondern auf eine systematische Krise des Fernsehjournalismus verweist: Mit seinen Mitteln (Aktualität, Kürze uvm.) sind die wichtigsten Themen dieser Zeit nicht mehr ohne Weiteres erklärbar, und das kann man sehen: Am Pathos, an fehllaufenden Metaphorisierungen uvm.
    Aber vielleicht haben Sie dennoch recht, insofern ich auch mit diesem Anspruch an der falschen Adresse bin…

  4. Torsten sagt:

    Wer wissen will, ob die Welt...
    Wer wissen will, ob die Welt untergeht, sollte regelmäßig N24 sehen, da laufen ständig irgendwelche pseudowissenschaftlichen Dokus über das Ende der Welt, basierend auf hanebüchenen, angeblichen Prophezeihungen und Spekulationen.

  5. Twipsy sagt:

    Mensch, da hatte ich doch grad...
    Mensch, da hatte ich doch grad ein dejà-vu:
    https://faz-community.faz.net/search/SearchResults.aspx?q=theisen&s=52

  6. @Twipsy: Das wäre aber...
    @Twipsy: Das wäre aber einfacher über den Linkkasten oben, zirka in der Mitte, „Zum Thema“ gegangen.

  7. Uli sagt:

    Vielleicht passend zum...
    Vielleicht passend zum Thema:
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=10377
    Allein die Vorstellung so ein Thema in 15 Minuten abzuhandeln ist lachhaft. Ich würde aber gerne mal einen Themenabend zur völlig aus dem Ruder gelaufenen Finanzindustrie sehen, dafür kann man auch eine Woche lang alle Talkshows streichen.

  8. GEZeichneter sagt:

    Wieso hat der HR nicht auf das...
    Wieso hat der HR nicht auf das hauseigene „Börse im Ersten“-Team zurückgegriffen?

  9. krawumm sagt:

    "[...]Gestalten, die auf der...
    „[…]Gestalten, die auf der ewig enttäuschten Illusion des Wartens beharren oder in tragikomischer Hilflosigkeit die Gewissheit ihres Verfalls überspielen[…].“(Aus dem Wikipediaartikel zu „Warten auf Godot“)
    Absurdes Theater zur besten Sendezeit- da beschwere sich noch einer über kulturelle Verarmung im ÖR.

  10. BlueKO sagt:

    Das ist aber auch ein verdammt...
    Das ist aber auch ein verdammt weiter Weg von der Innenstadt an den Dornbusch…
    Und nicht einmal die Straßenbahn fährt direkt bis vor die Tür.

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