Das Fernsehblog

Die Woche im Fernsehen – Nachwuchs-Spezial: Lassmer die Sau mal vor sich hinsafteln

Die Sendungen:
1Live Talk mit Frau Heinrich Einsfestival
Wasch-Gang BR
Die allerbeste Sebastian Winkler Show Einsfestival
H wie Hartwich RTL

Huch! Seit wann trägt Anne Will denn Jeans und Angela-Merkel-Blazer? Und waren die Sessel bei ihr im Studio schon immer rot? Nee, optische Täuschung: Das sieht bloß alles so aus wie eine der Talkrunden, für deren Überangebot sich die ARD gerade täglich von den Fernsehkritikern vierteilen lassen muss. Das WDR-Digitalprogramm Einsfestival antwortet auf die Schelte nämlich mit der größtmöglichen Konsequenz: und zeigt noch einen Talk, natürlich. Zur Abwechslung aber mal einen, bei dem Rotwein getrunken werden darf, während die wirklich wichtigen Themen unserer Gesellschaft verhandelt werden.

Was hast du für einen Stromtarif? Gibt es bei dir Nackttage? Und, ach ja, was hat sich auf dem neuen Album eigentlich musikalisch verändert? Fragt Sabine Heinrich im „1Live-Talk mit Frau Heinrich“ ihre Gäste, die sie selbstverständlich nicht in den Tiefebenen deutscher Politik rekrutiert, sondern in der ihrer Radioheimat näher stehenden Popkultur (ganze Sendung ansehen).

Und: juchhu! Selbst wenn die Sesselrunde erstmal aussieht wie eine Stellprobe bei „Anne Will“, funktioniert das fröhlich-oberflächliche Durcheinander-Geplapper (in das sich Heinrichs musikalischer Sidekick Tony Mono als Helmut Zerlett der Digitalsendergeneration ständig einmischt) ganz gut. Zumindest steht Heinrich diese Art Auftritt deutlich besser als die – zuletzt etwas verunglückten – Moderationen beim Song-Contest-Vorentscheid.

Im Vorspann radelt sie fröhlich mit dem Fahrrad durchs Büro an den Schreibtisch, plaudert für einen superkurzen Einspielfilm mit Xavier Naidoo im 1Live-Großraumbüro über Atomkraft und stellt ihren Gästen im Studio nachher Fragen, die eigentlich bloß das gemeinsame Gespräch ein bisschen in eine neue Richtung drehen sollen.

Ex-Revolverheld-Sänger Johannes Strate muss eine Country-Version seines größten Hits spielen und zum Schluss gehen sich die Frontfrau einer mittelbekannten Popband und „Stromberg“-Ulf-Darsteller Oliver Wnuk fast an die Gurgel, weil sie ihm erst akute Hobbithaftigkeit bescheinigt und er dann meint: „Du siehst aus wie die junge Hillary Clinton.“ Das hat gesessen. Bevor es zum Krawall kommt, ist die Kamera leider wieder aus. Wenn Heinrich den Blazer beim nächsten Mal im Schrank lässt und ein bisschen achtgibt, dass sie nicht zu arg verinamüllert, könnten das noch ein paar hübsche Sendungen werden.

Es folgt: eine wichtige Nachricht vom Bayerischen Rundfunk. Gesucht wird ein Simultanübersetzer, der alle Zuschauer, die nicht im Hauptsendegebiet wohnen, zeitnah darüber in Kenntnis setzt, was die aus dem Jugendprogrammnirwana „on 3-südwild“ ins Dritte geholten Woidboyz auf ihrer Bayern-Reise so mit den Ureinwohnern reden.

Denn das ist, bis auf wenige Ausnahmen, völlig unverständlich. Womöglich ließe sich eine Art „Telekolleg Bayrisch“ draus machen – erste Lektion: Lebensabschnittspartnerin heißt „Schneckerl“. Und „Lassmer die Sau mal vor sich hinsafteln“ ist eine interessante Umschreibung fürs Spanferkelgrillen.

Der thematischen Vielfalt in „Wasch-Gang“ sind, wie Sie sehen, kaum Grenzen gesetzt (Sendung in der Katastrophen-Mediathek des BR nicht direkt verlinkbar). Das liegt vor allem an der hübschen Idee, die BR-Jungs mit einem Zuber voll schmutziger Wäsche irgendwo im Freistaat auszusetzen, damit sie sich von wildfremden Menschen die Klamotten waschen lassen und sie während dieser Zeit über ihr Leben ausfragen.

Auf eine halbe Stunde ausgewalzt ist das leider nicht mehr ganz so aufregend, selbst wenn das Vater-Sohn-Gespann aus der Auftaktsendung eine ganze Menge zu erzählen hat. Schicksalsschläge werden etwas schmierig mit Gitarrenmusik unterlegt, und kurz vor der Whirlpool-Besteigung ahnt der kritische Zuschauer, dass die Wäsche nicht nur schon seit Stunden fertig sein muss, sondern womöglich auch vorher abgesprochen wurde, bei welcher plauderbegabten Familie die Jungs ach so zufällig landen. Schade drum.

Beim zweiten Showsatelliten, den Einsfestival gerade (in Zusammenarbeit mit dem BR) ins Programm geschossen hat, wäre die Begeisterung ebenfalls ausbaufähig. Jedenfalls ist zu hoffen, dass die erste „Allerbeste Sebastian Winkler Show“ noch nicht wirklich die allerbeste war. Weil das Gespräch mit einer Studentin, die in Clubs Automaten mit Ballerinaschuhen für High-Heel-geplagte Tänzerinnen aufstellt, nur schwer eine komplette Sendung trägt (Video ansehen).

Gut, Radiomann Winkler braucht halt Gäste, die er ständig unterbrechen kann, um vorbereitete Filmchen und Spielchen dazwischen zu streuen. Aber sowohl die Flirtsprüche, mit denen er leicht angeschickerte Münchner Club-Besucher beschenkt als auch das Nachspielen bekannter Fernsehshows im Mini-Format („Was bin ich?“) kippeln ein bisschen ins Fade.

Jetzt, da der echte Benjamin von Stuckrad-Barre wieder das macht, was er am besten kann (böse über Medienmenschen schreiben), hat Winkler mit seiner Stuckrad-Barre-Anzugverkleidung und der dazu passenden Aufgekratztheit immerhin die Chance, sich als Ersatz zu etablieren. Er muss vorher nur noch das „Quotenmeter“ entsorgen, das anzeigen soll, welche Aktionen die Zuschauerzahl in die Höhe treibt (und einer der ältesten Gags in der TV-Unterhaltung ist). „Wenn was floppt, ändern wir sofort das Programm“, verspricht Winkler. Kann er ja gleich damit anfangen.

Das letzte Nachwuchstalent moderiert unter erschwerten Bedingungen, nämlich bei RTL, wo die Verantwortlichen immer gleich grün anlaufen, wenn nicht mindestens zehn Millionen Leute eingeschaltet haben. Auf jeden Fall ist es Daniel Hartwich zu gönnen, dass er jetzt wieder ein Studio für sich alleine hat, in dem ihm nicht dauernd Marco Schreyl oder Sylvie van der Vaart dazwischen plappern.

Und wenn es noch einen finalen Beweis dafür gebraucht hat, dass die Menschen auch die dümmsten Aktionen mitmachen, sobald das Fernsehen sich bei ihnen in die Wohnung drängelt oder sie in der Fußgängerzone überfällt, dann hat ihn „H wie Hartwich“ jetzt ein für allemal erbracht.

Als vermeintlicher „Verzeih mir“-Onkel piesackt Hartwich unvorsichtige Türöffnerinnen, indem er sie im Garten Entschuldigungsszenen mit Praktikanten nachstellen lässt und bei der Umarmungsszene fordert: „Wenn Sie dazu bitte ‚One Moment in Time‘ singen könnten!“ Für eine erfundene Tierschutz-Aktion lässt er eine ältere Dame vor ihrer Schrankwand tausendmal denselben Satz aufsagen, um sich dabei als genervter TV-Regisseur daneben zu benehmen. Es sind sehr einfache Opfer, die Hartwich sich da ausgesucht hat, auch wenn er sie als Dankeschön fürs Mitmachen nachher ins Studio einlädt (Sendung ansehen).

Wenn er sie auch aufs Sofa bäte anstatt ihnen Blumensträuße ins Publikum zu reichen, hätte das fast etwas kerkelinghaft-Charmantes und „H wie Hartwich“ würde massiv dadurch gewinnen.

Jedenfalls wenn die ältere Dame aus dem Tierschutz-Ulk wiederkommen darf, die irgednwann entgeistert das Kamerateam fragt: „Ist der immer so? Ich mein‘, im Fernsehen kommt der ja schon schräg rüber!“

Soviel für diese Woche.

Screenshots: Einsfestival, BR, RTL

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