Bevor er die Geschäftsführung von Sat.1 an seinen Stellvertreter abgab, hat der bisherige Senderchef Andreas Bartl vor zwei Wochen im F.A.Z.-Interview ein bisschen über Reality-Fernsehen und Scripted Reality geredet. Das sei immer „eine Geschmacksfrage“, aber:
„Die Zuschauer interessiert es, und sie stören sich auch nicht daran, dass es nicht Realität ist. Es zählt die Unterhaltung. Sie können sich dem Genre nicht entziehen.“
Angesprochen auf Unterschiede zum Reality-Vorreiter RTL erklärte Bartl außerdem: „Wir haben bei Sat.1 immer Wert darauf gelegt, auch eine Qualitätsalternative zu RTL darzustellen.“ Das ist eine hochkreative Auslegung der momentanen Senderstrategie, die daraus besteht, RTL Moderatoren wegzukaufen, um sie dann bei Sat.1 fast dieselben Sendungen moderieren zu lassen. Zumindest orientieren sich viele der angekündigten (oder bereits ausgestrahlten) Sat.1-Neuerungen bis zur Machart hin sehr an dem, was der Marktführer macht – inklusive der nicht gerade zimperlichen Bloßstellung von Kandidaten wie bei „Schwer verliebt“, das in der Auftaktsendung kaum von der RTL-Variante „Schwiegertochter gesucht“ zu unterscheiden war und praktischerweise eine Woche nach dem Ende der aktuellen „Schwiegertochter“ fortgesetzt wird. Auf demselben Sendeplatz wie das Vorbild, natürlich.
Während Kabel 1 seine Eigenproduktionen auf einen Tag in der Woche eingedampft hat, schielt Sat.1 also wie ein verzweifelter Schüler, der sich nicht auf die Klassenarbeit vorbereitet hat, rüber zum Nebenmann RTL.
Das ist auch deshalb so traurig, weil gar nicht klar ist, ob Sat.1 nicht doch mit Sendungen erfolgreich sein könnte, die für das stehen, was der Sender doch immer gerne sein würde: ein Programm für die ganze Familie.
Das Landmagazin „Ins Grüne…“ (siehe auch Fernsehblog) ist im vergangenen Jahr, vermutlich auch wegen der direkten Konkurrenz zu „Schwiegertochter gesucht“, zwaruntergegangen, aber auch ruckzuck wieder beendet worden anstatt daran zu arbeiten und es auf einem anderen Platz zu versuchen. Die vor anderthalb Jahren angekündigte Sendung mit dem Arbeitstitel „Die Insider“, in der das Ex-„Clever“-Team Barbara Eligmann und Wigald Boning in Miniaturform durch den menschlichen Körper reisen sollte, hat es (als eine von vielen Bartl-Ankündigungen) gar nicht erst ins Programm geschafft. Dabei klang schon das Konzept spannender als alles, was Sat.1 derzeit zu bieten hat. Mut geht jedenfalls anders.
Ob das wohl im Privatfernsehen überhaupt noch machbar ist: Fernsehunterhaltung zu produzieren, die ihren Reiz nicht daraus bezieht, andere Menschen bloßzustellen (wie RTL das perfektioniert hat)?
Ja, ist es! Den Beweis hat gerade ausgerechnet die RTL-Schwester Vox geliefert, und zwar mit der kleinen, aber feinen Show „Cover my Song“. In der besucht ein junger Rapper einen alten Schlagerstar zuhause, sie lernen sich kennen und jeder spielt dem anderen seinen bisher größten Hit vor. Innerhalb einer Woche soll jeder der beiden ein Cover des anderen Songs schreiben – und ist dabei völlig frei in seiner musikalischen Interpretation.
Die Sendung ist schon deshalb besonders, weil es keine Jury gibt, die zum Schluss bewertet, welches das bessere Lied ist. Und weil kein Geld da ist, das für einen guten Zweck gespendet werden müsste. Am Ende wird nicht mal ein Gewinner festgelegt. Es geht einzig und allein um das Experiment und die Menschen, die sich dabei kennenlernen.
Dabei zuzusehen macht ungeheuer gute Laune, vor allem, weil die beiden Seiten sich nicht nur mit großem Respekt aneinander herantasten, sondern in einigen Fällen sogar merken, dass sie einen ganz ähnlichen Zugang zur Musik haben: über ihre Motivation, die Erfahrungen, die Arbeitsweise. Dass die Ergebnisse sich fundamental unterscheiden, ist in diesem Moment völlig egal. Nach dem Kennenlernen mit dem Rapper Motrip war „Du kannst nicht immer 17 sein“-Sänger Chris Roberts voller Verständnis für die völlig andere Ausdrucksweise seines Gegenübers:
„Der eine schreibt in lieblichen Worten über die verlorene Liebe, und der Rapper sagt halt: Scheiße, die Alte ist weg.“
Und vor drei Wochen zerfloss Ingrid Peters fast vor Aufregung, als Dr. Knarf ihr seine Version von „Komm doch mal rüber“ zum ersten Mal live vorsang. Vorher hatte sie sich schon furchtbar beschwert, dass sie als Schlagerstar niemals solche Texte wie Dr. Knarf schreiben könnte, der in einem Song über den Verlust des Vaters rappt. „Liebeskummer geht gerade noch so – aber nur mit ‚happy music‘ dazu. Der Konfilkt macht mich krank.“
Am Ende haben nicht nur Rapper und Schlagerstars ihre Vorurteile über die andere Seite verworfen, sondern auch die Zuschauer.
Dass Vox „Cover my Song“ direkt im Anschluss an seine Vorzeigeshow „X Factor“ programmiert hat, zeigt, wie groß das Vertrauen in diese völlig andere Art der Unterhaltung beim Sender ist. Die Zuschauer haben’s leider nicht belohnt, die Quoten waren jedenfalls überschaubar. Wenn „Cover my Song“ weiterginge, wäre das trotzdem ein gutes Zeichen. Damit sich das Publikum wieder daran gewöhnen kann, dass Unterhaltung auch ohne Grenzverletzungen auskommen kann.
Vielleicht lässt Vox dann auch Konstellationen zu, bei denen Interpreten ganz anderer Musikstile aufeinander treffen. Und hat den Mut, auch klar zuzugeben, wenn ein Experiment gescheitert ist (wie in der Vorwoche mit Gunther Gabriel und Fard). Am Dienstag läuft aber erstmal die vorerst letzte Folge von „Cover my Song“ im Programm.
„Cover my Song“ kann in voller Länge bei voxnow.de angesehen werden, leider ist nur die aktuelle Folge kostenlos.
Screenshots: Vox
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Der wichtigste Satz: "Die...
Der wichtigste Satz: „Die Zuschauer haben’s leider nicht belohnt.“
Solange Medien auch ein Geschäft sind, wird man sich nach der Nachfrage richten. Und selbst falls sich alle einig wären, es nicht mehr so zu machen, es gäbe immer noch einen, der es trotzdem machen würde.
Was ist jetzt schlimmer: Angebot oder Nachfrage, unter der Maßgabe, dass es nicht um Geschmack sondern um Geschäft geht?
x-factor habe ich oft genug...
x-factor habe ich oft genug verpasst und dann immer zu cover my song wieder reingezappt! Ich wurde bisher nicht enttäuscht. Als dann Sindy (von Sindy und Bert) das Heulen anfing, weil sie das Leben von Rapper „Favorite“ so bewegent fand, wurde ich vollends warm. Außerdem gab es für „Host“ Denyo noch ein wunderschönen „Candle Light Döner“, weil er doch hoffte, dass Sindy und Bert noch ein paar wären… Herrlichst…
Das Konzept zu "Cover my Song"...
Das Konzept zu „Cover my Song“ liest sich wirklich interessant. Leider habe ich hier davon überhaupt zum ersten Mal gehört. Da ich Castingshows ganz grundsätzlich nicht ansehe konnte ich auch nicht rüber in diese Sendung gezogen werden.
Ob das auf den ersten Blick passende Vorprogramm („irgendwas mit Musik“) tatsächlich auch das richtige Vorprogramm für eine Sendung ist kann man so einfach nicht sagen. Im Umfeld anderer Vox-Sendungen hätte mich „Cover my Song“ eher erreicht.
Ich habe seit der...
Ich habe seit der ‚versehentlich‘ entdeckten ersten Sendung alle Folgen von „Cover My Song“ geschaut – ein wunderbar unaufgeregtes Programm mit einem weitaus kreativerem Ansatz als alle Casting-Shows der letzten Jahre zusammen. Zudem hat man das Gefühl, die Macher ‚haben auch Ahnung‘ von dem, womit die Sendung sich beschäftigt. Ich hoffe, „Cover My Song“ wird eine zweite Staffel nicht verwehrt.
Dass man Rapper und...
Dass man Rapper und Schlagersänger, gar abgehalfterete, plötzlich „gut“ findet, ist erschreckend. Liegt’s daran, dass das Färnseh in der Regel so grundschlecht ist, dass man sich schon freut, wenn man sich einmal nicht sofort ekelt?
Abhilfe: All diese Sender nicht schauen. Nie und nimmer. Auf keinen Fall. Auch nicht drüber berichten. Wenn überhaupt, dann nur noch über GUTE Sendungen schreiben. Vielleicht kann man auf diese Art zumindest ETWAS dazu beitragen, dass der ganze Mist peu à peu verschwindet. Einer muss ja mal anfangen, und ein TV-Blog wär‘ ja die richtige Stelle.
ich erinner mich an H.Hesse. Ja, ich weiß, der ist momentan nicht in Mode. Na und? Die Mode von heute ist der Quatsch von morgen. Also, Hesse hat viele Literaturkritiken geschrieben und veröffentlicht. Keine einzige war negativ. Seine Regel: Wenn mir etwas nicht gefällt, schreib ich erst gar nicht drüber.
Um den Vergleich zum Müll-TV der Privaten zu ziehen: was die Groschenheftchen im Gedruckten sind, ist SAT1,RTL,Vox,Pro7 (etc.) auf den Bildschirmen. Man kann lächelnd den Kopf darüber schütteln, aber doch nicht ernsthaft in der FAZ besprechen.
Abgehalfterte Schlagersänger und andere Deppen… man glaubt’s kaum.
@Jeeves: Lieber Herr Müller,...
@Jeeves: Lieber Herr Müller, aber Sie können doch höchstselbst damit anfangen! In Ihrem Blog! Und ich mach hier einfach weiter das, was seit drei Jahren in der Blogbeschreibung steht, ok?
Es ist schon so etwas wie ein...
Es ist schon so etwas wie ein Ritual, dass meine Frau abends X-Faktor schaut und ich später für Cover my Song hinzu stoße. Seit langem endlich mal wieder eine Sendung die Spaß macht.
Fand die Serie auch klasse....
Fand die Serie auch klasse. Vorallem mit welchem Respekt sowohl die Rapper den Schlagerstars begegnen als auch andersrum. Echt mal wieder was anderes neben dem ganzen Trash Tv!
Das Grundkonzept von „Cover...
Das Grundkonzept von „Cover my Song“ finde ich großartig. Leider war ich nach ein paar Sendungen etwas enttäuscht, dass der Begriff von „Cover“ seeeehr weit gesteckt ist. Sowohl die Rapper als auch die Schlagersänger ignorierten Text und Melodie und entfernten sich vom Original soweit, dass es nicht mehr erkennbar war. Unter „Cover my Song“ hatte ich mir etwas völlig anderes vorgestellt.
Trotzdem ist die Sendung weitaus besser als andere Reality-Formate.
Dafür entsprechen die Trailer miesestem RTL-Niveau. Dort wird nämlich der Eindruck erweckt, die „Gegner“ würden sich gegenseitig übereinander lustig machen. Dort ist von Respekt und Verständnis keine Spur.
Also Cover my Song ist echt...
Also Cover my Song ist echt die beste Show, die in Deutschland grade läuft, die Rap-Cover sind auch (fast) alle Lieblingslieder von mir geworden, dank Youtube 🙂 Also nehme grade mal die letzte Folge auf und hoffe, dass Denyo weiter macht – oder anderer Musikstil(e)?