Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Rückblog 2011: Überdosis Castingshow – und was dieses Jahr im Fernsehen sonst noch wichtig war

| 29 Lesermeinungen

Nachdem die Jahresrückblicksaison seit Sonntag als eröffnet gelten darf, beteiligt sich auch das Fernsehblog am allgemeinen Rückblicksrausch! Los geht's mit den unzähligen Castingshows, die in diesem Jahr bei den Privatsendern gelaufen sind. Und mit der Frage, was der Erfolg von "The Voice of Germany" dem Genre bringt.

Nachdem die Jahresrückblicksaison seit Sonntagabend als eröffnet gelten darf, braucht die gute Nachricht ja nicht länger geheim gehalten zu werden: In diesem Jahr beteiligt sich – endlich! – auch das Fernsehblog am allgemeinen Rückblicksrausch! Völlig ziellos und ohne Plan geht es im Laufe des Monats an dieser Stelle also um Programmtrends, die 2011 im und für das Fernsehen wichtig waren. Wenn Ihnen auch noch einer einfällt: nur her damit! (Am besten unten in die Kommentare.)

Und wir starten natürlich – mit: Castingshows.

Bild zu: Rückblog 2011: Überdosis Castingshow – und was dieses Jahr im Fernsehen sonst noch wichtig war

Kann das wirklich sein? Dass die Leute noch mehr Shows sehen wollen, in denen ganz normale Menschen ihr vermeintliches Talent präsentieren, um sich gegen sämtliche Konkurrenten durchzusetzen und anschließend mit einem Titel geschmückt werden, der erst einmal nicht mehr bedeutet als – vorübergehende Bekanntheit.

Ganz offensichtlich: ja. Zumindest sprechen fast fünf Millionen Menschen dafür, die am vergangenen Freitag bei Sat.1 die vierte Folge der neuen Castingshow „The Voice of Germany“ gesehen haben.

Wie nachhaltig dieser Erfolg wirklich ist, wird sich spätestens im Januar herausstellen, wenn die Castingphase abgeschlossen ist und „The Voice of Germany“ in die Liveshows startet. Aber eines haben Pro Sieben und Sat.1 schon mal geschafft: zu beweisen, dass in dem Genre, in dem bisher vor allem RTL den Ton angegeben hat, doch noch erhebliches Potenzial steckt. Es scheint tatsächlich Zuschauer zu geben, die sich Castingshows ansehen wollen, in denen es nicht vorrangig darum geht, die eine Hälfte der Bewerber möglichst kreativ hinauszubeleidigen und mit der anderen Skandalgeschichten aus ihrem Privatleben zu drechseln.

Dass die Juroren bei „The Voice of Germany“ die Bewerber zunächst nicht sehen und nur anhand ihrer Stimme beurteilen müssen, scheint ein ungeheuer wichtiges Element zu sein. (Vermutlich ist die Mainstream-Lastigkeit der Jury, in der Nena und Xavier Naidoo sitzen, auch nicht ganz unwichtig.)

Denn die Show an sich ist alles andere als eine Revolution. „The Voice of Germany“ bedient sich vieler Elemente, die auch die „Deutschland sucht den Superstar“ groß gemacht haben. Dazu gehört das Versprechen, dem Sieger stünde eine „phänomenale Karriere“ bevor, was zumindest in Deutschland bisher noch von keinem anderen Format eingelöst werden konnte; und natürlich die konsequente Überhöhung des Geschehens. Auch „TVoG“-Teilnehmer kämpfen „um Sieg oder Niederlage“, müssen sich gegen „absolute Topfavoriten“ durchsetzen; sollen einen „exklusiven Plattenvertrag“ kriegen und „Deutschlands neue Stars“ werden.

Dass es in der Sendung einzig und allein um die Stimme geht, ist eine Illusion. Auf die Auswahlprodzedur in den momentan laifenden „Live Auditions“ bezogen, mag das noch zutreffen. Aber auch die Macher von „TVoG“ wissen, wie wichtig es ist, Protagonisten anhand ihrer Geschichten zu erzählen.

Es gibt den Kandidaten, der vor dem Auftritt über den Krebstod der Mutter redet; die junge Frau, deren Vater die Familie im Stich gelassen hat, und die ihm jetzt übers Fernsehen ihre Eigenständigkeit beweisen will; und unheimlich viele Leute, die mit ihrer Erstkarriere gescheitert sind, aber noch einmal einen neuen Anlauf wagen wollen.

Dieses Geschichtenerzählen hat „Deutschland sucht den Superstar“ in den vergangenen Jahren konsequent weiterentwickelt – und so stark übertrieben, dass es die ursprüngliche Idee des Talentwettbewerbs längst überstrahlt. Kein Mensch schaltet „DSDS“ mehr ein, um die Kandidaten singen zu sehen, der Krawall ist längst wichtiger. (Insofern hat RTL quasi mitgeholfen, den Erfolg von „The Voice of Germany“ vorzubereiten.)

Einen Automatismus, dass Castingshows per se erfolgreich sind, gibt es allerdings nicht. Das hat RTL 2 in diesem Jahr mit „My Name is“ (siehe Fernsehblog) erfahren müssen. Nach einem relativ starken Start stieß das Finale des Doppelgänger-Castings Anfang Juli nur noch auf mittelmäßiges Interesse beim Publikum. „X Factor“ bei Vox geht es derzeit ganz ähnlich. Die Quoten für die hochprofessionell gemachte Show liegen zwar über dem Senderschnitt, aber für den Aufwand, der mit der Inszenierung getrieben wird, ist das Publikum zu klein. Das ist besonders deshalb ärgerlich, weil „X Factor“ als erste Castingshow im Privatfernsehen den Mut hatte, tatsächlich das musikalische Können der Teilnehmer in den Mittelpunkt zu rücken und damit einen Kontrast zum Kuriositätenkabinett von RTL zu setzen. Falls Vox die Show im kommenden Jahr fortsetzt, wird es schwierig, aus dem Konzept noch mehr herauszuholen. Vor allem, wenn das Publikum sich gerade an „The Voice of Germany“ als Alternative gewöhnt.

Hochinteressant wird auch, wie sich im Januar „Unser Star für Baku“ schlägt – weil die Sendung, nachdem sie in diesem Jahr den offiziellen Lena-Festspielen geopfert wurde, dann im Ernsthaftigkeitswettbewerb der TV-Castings nicht mehr alleine dasteht.

Um gleich einen neuen Fairnesstrend fürs Castingfernsehen auszurufen, ist es aber vermutlich noch ein bisschen früh: Im Januar geht „DSDS“ in die nächste Runde, und „Das Supertalent“ läuft trotz kleiner Rückschläge für RTL immer noch überragend. (Wobei die Show kaum noch dem Genre Casting zuzurechnen ist: sie bedient sich zwar dessen Stilmitteln, entscheidend ist aber der durchinszenierte Jahrmarktcharakter.)

Und auch wenn Pro-Sieben-Sat.1-Chef Andreas Bartl sein Programm gerade für die „Qualität“ und den „anderen Zugang zum Genre Casting“ lobt: die nächste „Popstars“-Staffel mit dem schreienden Tanzlehrer ist schon angekündigt und dreht das „The Voice of Germany“-Prinzip vermutlich wieder komplett auf links, ebenso wie Heidi Klum bei „Germany’s Next Topmodel“, wo weiterhin angehende Laufstegprinzessinnen zum Kuschelmobbing antreten. Und dann will sich ja auch noch Vox mit „Das perfekte Model“ enimischen.

Eines immerhin hat sich im Laufe der vergangenen Monate im deutschen Castingfernsehen verändert: Die Chance, ernst genommen zu werden, ist inzwischen fast genauso hoch wie als totaler Trottel dazustehen.

Zumindest, wenn man sich für die richtige Sendung entscheidet und bereit ist, seine Privatheit eine Zeitlang ans Fernsehen abzutreten.

Der Rückblog zu den Programmtrends 2011 geht weiter. Bald an dieser Stelle. Vorschläge?

Screenshots: Sat.1, RTL, Vox, Pro Sieben

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29 Lesermeinungen

  1. pschader sagt:

    Danke für die Vorschläge,...
    Danke für die Vorschläge, gerne mehr davon. Ich sammele. Wenn genug zusammenkommt, ließe sich vielleicht ein Leser-Special schreiben.

  2. TOPCTEH sagt:

    Sehr ausgeprägt ist der...
    Sehr ausgeprägt ist der Trend, Jahresrückblicke immer schon Anfang Dezember zu senden (das gilt auch für Jahresrückblick-Blogeinträge *mit Zaunpfahl wink*). Eigentlich erwarte ich Jahresrückblicke Anfang Januar und nicht früher.
    Dann gibt es noch das völlige zu-Tode-Senden von Preisverleihungen mit lustlosen Moderatoren/Preisträgern/Publikum.
    Auch 2011 wieder festzustellen war die Diskrepanz zwischen im Voraus hochgelobten TV-Krimis (Tatort/Polizeiruf/whatever) und den tatsächlich Gesendeten, das sich dann doch wieder nur als das übliche Sozialpädagogen-Hörspiel entpuppte.
    Der allerneueste Trend ist dann das Senden von Erstausstrahlungen nachts ab 1:00 Uhr.

  3. SvenR sagt:

    Das Zeigen, besser,...
    Das Zeigen, besser, Verramschen von hervorragen amerikanischen Serien auf Spartenkanälen und zur Unzeit, z. B. Breaking-Bad-Doppel- und Trippelfolgen auf Arte dienstags Abend ist mein bedausernswerter Trend 2011.

  4. doriscully sagt:

    Nachdem ganz Deutschland über...
    Nachdem ganz Deutschland über die Privatsender einmal aus- und wieder zurückgewandert ist, ist ein neuer, trauriger Trend das zunehmende Ausstrahlen von Dauerwerbesendungs-Formaten – hin und wieder erlebt man sogar, dass Jamba-Klingeltonabende oder Galoppstars.de-Rennen von Filmen/Serien/“Dokumentationen“ unterbrochen werden

  5. "X Factor" hatte als erste...
    „X Factor“ hatte als erste Sendung im Privatfernsehen den Mut, die Musik in den Mittelpunkt zu stellen? Und gleich danach geht es um „Unser Star für Baku“, dessen Vorläufer vor fast zwei Jahren eine seeeehr auf Musik bezogene (sogar selbst geschriebene Titel!) Show war? Das finde ich etwas vermurkst.
    Mir ist „X Factor“ in der zweiten Staffel auch zu sehr ins Privatleben der Kandidaten getaucht und allgemein ist die Sendung viel zu aufgeblasen, dauert ja länger als das Original …

  6. pschader sagt:

    @Marcel Pohlig: "Unser...
    @Marcel Pohlig: „Unser Star…“ gab’s aber nur wegen der Zusammenarbeit mit der ARD. Alleine hat sich Pro Sieben damals sowas als Primetime-Show noch nicht getraut. Insofern: nö, finde ich nachvollziehbar, so wie’s da steht.

  7. Gernot sagt:

    Fernsehköche, Peer,...
    Fernsehköche, Peer, Fernsehköche!!!
    Nimmt denn ausser mir niemand war, dass man nun schon seit Jahren nicht mehr durch die Programme schalten kann, ohne dass man in der (gefühlten) Hälfte davon auf diese immer gleichen weiss oder schwarz bedressten Nervensägen trifft? In Kochshows, Talkshows, allein oder auch im ganzen Rudel.
    Ich versuche manchmal, mich daran zu erinnern, was so im Fernsehen lief, als
    diese Menschen noch in ihrem Restaurant standen, um da vielleicht den einen oder anderen Menschen glücklich zu machen. Ich weiss es nicht mehr.

  8. Uli sagt:

    "Der Rückgang des Erfolges...
    „Der Rückgang des Erfolges der US-Serien im Privatfernsehen ist mein Trend 2011“
    Stimmt, bzw. die Verdrängung in’s Pay TV, auf Spartensender oder gleich in’s Nachtprogramm. Beispiele:
    – True Blood (Nachtprogramm RTL2)
    – The Walking Dead (Pay TV)
    – Game of Thrones (Pay TV)
    – Dexter (Nachtprogramm RTL2)
    – Mad Men (Pay TV und ZDFneo)
    – Breaking Bad (Pay TV und Arte)
    – Good Wife (erst Pro7, dann Kabel Eins)
    – Royal Pains (RTL 22 Uhr, tat sich schwer)
    – White Collar (RTL 22 Uhr, tut sich schwer)
    Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen mit guten, teils preisgekrönten Serien, die in Deutschland aber keinen Fuß (mehr) auf den Boden bekommen. Die Sender tragen dazu natürlich bei, indem sie beispielsweise den Dienstag 22 Uhr Sendeplatz mit überhohen Erwartungen angehen. Werden die von einer neuen Serie nicht erfüllt, zeigt man lieber Wiederholungen alter Serien.

  9. Christian A. sagt:

    Meine Themen des Fernsehjahres...
    Meine Themen des Fernsehjahres 2011:
    – Talkshowflut im Ersten / Wie ist die Bilanz der ersten Wochen des neuen Programmschemas? / Diskutieren alle über dieselben Themen?
    – Harald Schmidt: Neuer Arbeitgeber, neuer Elan? / Die Late-Night-Wüste Deutschland
    – EinsFestival / ZDFneo: Zwischenbilanz – weiter auf der Suche nach jungen
    Zuschauern? Wie solls weitergehen? Wo bleiben weitere neue Formate? Junges Ghetto der ÖR, weil Modernisierung der Hauptprogramme hoffnungslos?
    – Wiederholungsrate von Filmen und Serien: ProSiebenSAT.1 und die immer effizientere Nutzung des Programmvermögens (wie oft läuft jetzt auf den P7S1-Sendern die Sendung „Two and a half men“)? / Immer mehr Serien mit Doppel- und Vierfachfolgen am Stück (auch bei RTL2 und Co.)
    – Retrokult: Neuauflage von alten Formaten wie „Dalli dalli“ / im Kontrast dazu: ZDFneo und ZDF.Kultur wiederholen alte Serien + Shows (auch das Original von „Dalli Dalli“) – aber warum meist tagsüber und warum auch oft mit mehrere-Folgen-am-Stück-Programmierungen? Geht man so mit Klassikern um?)
    – Wie geht´s weiter mit deutschen Serien? Die „Schmunzelkrimis“ im ARD-Vorabendprogramm / Nur noch Krimis im ZDF?
    – ARD und ZDF verheizen ihre wenigen US-Lizenzen oft in Randstunden oder nur auf Digitalkanälen
    – ARD/ZDF auf großer Einkaufstour (ARD: Jauch, Opdenhövel,… – ZDF: Champions League,…)
    – Die ewige Abschiedstour von „Wetten dass…?“ (letzte reguläre Show, letzte Sommerausgabe, Rückblickausgaben)
    – Das Ende von 9live
    – Das Phänomen „Das Vierte“ (wie fülle ich mit wenig Programm einen ganzen Kanal?)
    – Der Serienwettbewerb der Odeon-Film (www.serienwettbewerb.de): Gute Idee, was ist daraus geworden? Könnte dieser Wettbewerb ein Vorbild für die Zukunft sein?

  10. T.H. sagt:

    Mein Thema 2011 (wie auch...
    Mein Thema 2011 (wie auch 2010/2009/2008 und 2007): Die IQ-Ödnis des Vorabends. Ich komme von der Arbeit zurück wünsche mir über die wichtigen Ereignisse informiert zu werden und pralle auf die geballte Sinn- und Zwecklosigkeit des Vorabends. Ein wenig Kurzberichterstattung gibt’s dann und der Rest? „Boulevard“-Magazine (Bildzeitungs TV) gerne auch zeitgleich auf allen Dritten der ARD und der ZDF (tät’s da nicht eins für alle?) und billige Krimis in allen Formen und Farben. Ich ertappe mich regelmässig dabei wie ich als erwachsener Mann bei den Simpsons lande, weil dort noch die meisten Gehirnzellen in Anspruch genommen werden.
    Mein Trend für 2011: Die Vernachlässigung einer ganz kleinen Minderheit: Durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligente Menschen mit durchschnittlicher bis überdurchschnittlicher Bildung im Alter zwischen 16 und 75 mit geregelter Arbeit. Für die gibt’s nämlich wirklich recht wenig im deutschen Fernsehen und wenn’s etwas gibt, muss man es sich an den unerreichbarsten Stellen (sowohl was Sender als auch Sendezeit angeht) mühsam zusammensuchen.

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