Vielleicht ist’s die Gewöhnung, aber kann es sein, dass „The Voice of Germany“ ein bisschen an Fahrt gewinnt? (Also: nicht nur was die sowieso schon gute Quote angeht.) Kulisse und Trailer sind immer noch – sagen wir: problematisch. Weil eine riesige Silbermetallic-Hand, die aus dem Bühnenboden wächst und im Vorspann mit geriatrischer Verzögerung zwei Finger zum Victory-Zeichen erhebt, eher nach Zombiefilmparodie aussieht als nach Castingshow.
Doch die Jury hat ganz eindeutig Spaß an dem, was sie da macht – vor allem daran, sich gegenseitig die besten Bewerber wegzuschnappen und im Erfolgsfall den unterlegenen Kontrahenten damit aufzuziehen, ihm mit deinem Jubelsprung auf den Schoß zu hopsen oder sich eifersüchtig anraufen zu lassen.
In jedem Fall sind Nena, Xavier Naidoo, Rea Garvey und The Boss Hoss das exakte Gegenteil ihrer Kollegen von „Deutschland sucht den Superstar“: gleichberechtigt. Für Naidoo ist die Show sogar die Gelegenheit, endlich mal zu zeigen, was außer kitschigen Soulsongs noch in ihm steckt. Humor zum Beispiel. Diese Woche himmelte ihn eine Kandidatin an: „Ich hab dein erstes Album!“ Und Naidoo entgegnete: „Du hast es!“
Aber auch die Bewerber, die zum offiziellen Vorsingen zugelassen wurden, sind interessant. Weil so ungeheuer viele Leute dabei sind, die schon ihre Erfahrungen mit dem Musikbusiness gemacht haben, dass „The Voice of Germany“ genauso gut „Die zweite Chance“ heißen könnte. Die meisten Erfahrungen waren nicht so gut.
Umso erstaunlicher ist es, dass all die von der Industrie Fallengelassenen nun ausgerechnet in einer Castingshow darum kämpfen wollen, seriös zu werden oder noch einmal von vorn anzufangen. Weil das Fernsehen doch längst ein wesentlicher Teil der Maschinerie geworden ist, die ständig neue „Stars“ produziert, sie an die Plattenfirmen weiterreicht – und halb verdaut wieder ausspuckt.
Trotzdem sind sie alle gekommen (oder geholt worden): der Typ, der schon einen Plattenvertrag hatte, aber keine ausreichend gute Chartsplatzierung; das ehemalige Girlband-Mitglied, das sich endlich alleine beweisen will; ein Hamburger, der vor Jahren schon mal bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest aufgetreten ist; eine Holländerin, die mit 15 Jahren in ihrer Heimat bei „So You Wanna Be a Popstar“ Zweite wurde; eine Österreicherin, die schon mal One-Hit-Wonder sein durfte und ihren Freund mitgebracht hat, dessen Boyband aufgelöst wurde; die ehemalige Culture-Beat-Sängerin, deren Soloprojekt gefloppt ist; die Captian-Jack-Sängerin, die genug vom Plastikpop hat und davon, dass auf Promotionfotos ihre Brüste größer gephotoshoppt werden.
Wahrscheinlich sind die meisten, die ernsthaft von einer Musikkarriere träumen, längst darauf eingestellt, dass ihr Weg sie inzwischen durch mehrere Fernsehshows führt, weil sich nur durch die eine gewisse Bekanntheit erreichen lässt.
Andererseits garantiert diese Bekanntheit natürlich noch lange keine Nachhaltigkeit.
Und doch ist es irgendwie irritierend, wenn – wie in der fünften Show von bei „The Voice of Germany“ am Donnerstagabend – plötzlich der frühere Gewinner einer „Popstars“-Staffel erzählt, wie ätzend die Zeit nach dem Finale war, weil er ausschließlich Playbackkonzerte für kreischende Teenager geben sollte und sein vorgegebenes Image entsprechend bedienen. Diese indirekte Selbstkritik gibt es im Fernsehen zumindest nicht alle Tage. Was ja einerseits toll ist, und andererseits verlogen, weil Pro Sieben (vermutlich) auf diesem Sendeplatz nächstes Jahr wieder neue „Popstars“ suchen will.
Dass „The Voice of Germany“ sich all diesen Talenten als Forum anbietet, geht ja in Ordnung. Womöglich ist der Vorrat an unentdeckten deutschen Stimmwundern auch langsam erschöpft. Dadurch ergibt sich für die Macher aber auch eine besondere Pflicht. Nicht nur die, fair mit den Kandidaten umzugehen. Sondern auch die Pflicht, den Gewinner nachher nicht genauso auszubeuten wie alle anderen Shows davor und ihn mit irgendwelchen Verträgen dazu zu zwingen, fertig in der Schublade liegende Quatschplatten herauszubringen. Sonst würde die Show augenblicklich die Glaubwürdigkeit verspielen, von der sie gerade lebt.
Und, nächste Frage: Was ist, wenn das mit dem Erfolg nicht klappt?
Stehen dann im kommenden Jahr bei der zweiten Staffel dieselben Leute wieder vor der Tür und sagen: Hat nicht funktioniert mit dem Plattenvertrag, hat auch nicht funktioniert mit „The Voice of Germany“ – aber aller guten Dinge sind drei?
Foto: Pro Sieben/Sat.1
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Was in diesem Zusammenhang...
Was in diesem Zusammenhang auffällt:
Der Musikindustrie muß es verteufelt gut gehen, wenn sie solche Talente einfach ignorieren kann.
Die sollten doch, wenn sie so gebeutelt sind wie sie behaupten, jeden Tag mindesten 30 Talentscouts losschicken und genau solche Sänger(innen) (und vielleicht auch einige talentierte Instrumentalist(inn)en) suchen und mit denen gemeinsam spannende und gute Musikkonzepte erarbeiten. Die dürfen ja auch ruhig kommerziell sein.
Viele von denen die wir da in den letzten Wochen gehört haben, werden doch sicher nicht nur Karaoke singen können, sondern auch eigene Ideen haben, was sie tun wollen.
Das werden dann nicht alles Treffer sein, aber evtl. wäre ja der nächste Robbie Williams oder die nächste Amy MacDonald dabei.
Weiß jemand, der hier mitliest warum es seitens der Labels da offenbar sowenig Initiative gibt oder bekomme ich als geneigter Hörer einfach nichts davon mit?
Man kann immer alles schlecht...
Man kann immer alles schlecht finden. Auch das zeichnet Journalisten aus. Bin selber einer 😉
Also es gibt viele Künstler,...
Also es gibt viele Künstler, die sich selbst vermarkten (Internet sei dank), also unabhängig von Plattenfirmen sind. Ob sich das für diese Künstler so wirklich lohnt, kann ich nicht sagen.
ich habe allerdings bei...
ich habe allerdings bei xavier verstanden „du warst das“ 🙂
Noch ein Vorteil der TVoG-...
Noch ein Vorteil der TVoG- Ju7ry ist, dass sie alle einen Ruf zu verlieren haben, sollte der Sieger/ die Siegerin ausgebeutet und gezwungen werden, „fertig in der Schublade liegende Quatschplatten herauszubringen“.
Wenn Bohlen das bei seinen Superstars macht, ok, dann erwartet man auch nicht viel mehr, als das Bohlen in den Songs mal wieder sich selbst covert.
Ein Xavier Naidoo (oder der Rest der Jury) kann sich sowas nicht erlauben. Die wollen doch sicher weiterhin als Künstler ernst genommen werden und sich nicht so ein fragwürdiges Castingshow- Image aufbauen wie Bohlen und D!.
Ich habe es versucht, ich kann...
Ich habe es versucht, ich kann es nicht. Nena ist für „Nee, ne?“ Mein schlimmster Alptraum wären Jan Delay, Udo Lindenberg und Nena mit ihren Nölstimmen im Chor.
@plumtree
Sie haben da was...
@plumtree
Sie haben da was falsch verstanden. Es geht in der Musikindustrie nicht um Musik (schon gar nicht um Gute) sondern um Gewinnmaximierung. Und so ein Instant-Cover Sternchen ist halt rentabler als eine vielversprechende neue Band über lange Zeit zu fördern damit irgendwann vielleicht mal was bei rauskommt. Und eigene Konzepte entwickeln, Igitt, nachher haben die noch eigene Ideen und wollen nicht alles so machen wie die BWLer von der Plattenfirma.
So ein gecoverter „Star“ nimmt willig einen Knebelvertrag an, solange er/sie seine Nase nur in ein paar Kameras halten darf und ein Bohlenliedchen bei „The Dome“ trällern darf. Hinterher kann man besagter „Star“ gleich noch in ein paar Realityshows recyclen und dann einfach vergessen. Der nächste bitte. Das ist praktisch, schmutzt nicht und tut keinem weh.
UNd solange es genug Leute gibt die diese Art von Musik (ich benutze das Wort mal im weitesten Sinne) kaufen gibt es doch für die Majors keinerlei Anlass etwas zu ändern.
Das mit den neuen, eigenen,...
Das mit den neuen, eigenen, innovativen Ideen ist doch in jeder Firma immer wieder ein schwerer Weg – egal ob sie 5 oder 500 Leute beschäftigt. Und ein Plattenlabel nimmt sich da nicht aus, sind auch nur Menschen in einer Firma, die sich mit „irgendwas mit Marketing“ noch oben geredet haben.
Es gibt allerdings viele Künstler, die nicht auf den „Hauptsendern“ laufen, sondern bei kleineren oder versparteten Radiostationen ein bißchen öffentlich experimentieren können. In Österreich FM4 und in der Schweiz DRS haben beispielsweise eine große Reichweite, spielen aber an manchen Tagen auch so ziemlich alles, was ihnen in die Finger kommt – zumindest setzt es sich ordentlich von Bayern3 oder Ö3 ab.
Kleinere Labels sind zwar auch keine Non-Profit-Organisationen, allerdings setzen die ihre Gewinne auch nicht im dreistelligen Millionenbereich an, um sich gut zu fühlen. Wenn so ein Supermarketing wie eine Fernsehsendung aber die Wahrscheinlichkeit erhöht, ordentlich Kohle zu scheffeln, dann sind Ergebnisse, die vielleicht schwarz aber nicht obszön sind, wohl schlicht zu wenig.
Man sehe sich mal die Banken an: „Die Schweizer Großbank UBS hat 2010 nach drei Verlustjahren wieder Geld verdient. Mit 7,2 Mrd. Franken blieb das Ergebnis allerdings leicht unter den Erwartungen.“ Man führe sich diesen Wahnsinn vor Augen: trotz jahrelanger Verluste sind den Leuten knapp 6 Milliarden (nochmal: MILLIARDEN!) Euro noch zu wenig. Da wundert es mich auch dann auch nicht mehr, wenn man 100 Künstler bei einem Plattenlabel hops gehen lässt, weil sie nur „keinen Gewinn“ eingefahren haben.
Ich muss sagen, ich war...
Ich muss sagen, ich war ziemlich beeindruckt von den bisherigen Shows, auch wenn es selbstverständlich nicht ohne RTLSAT1PRO7-mässige Realisierung geht, aber es ist angenehm, dass es hier im Rahmen angewandt wird und die Qualität überraschend hoch ist.
Gestern habe ich auch mal die Battleshow angeschaut und da konnte ich eine kleine Verschlimmerung erkennen, es waren nach knapp 50 min dann doch 2 ganze Paare durch und insgesamt wurden in den 2:15 h auch nicht die Wahnsinnsanzahl von Paaren gezeigt, wenn es so weiter geht, sind wir schon im September fertig 🙂
Negativ anzumerken ist auch:
– 400 x zu sagen, dass es unheimlich schwer ist, sich zu entscheiden und dass man sich enthält..genau…weil es wieder zu schwer ist, sich zu entscheiden, lässt auch die Spannung jetzt nicht unbedingt unters Dach steigen
– ein kleiner SupertalentDSDS-Ausrutscher…zwei Sänger kommen mit Eye of the tiger auf die Bühne und der 3. kleine Mann direkt hinterher mit der Titelmelodie von „Two and a half men“
– ich hätte nicht gedacht, dass je ein Moderator ähnlich hölzern und unpassend wie Mr. Schreyl in so einer Castingshow herumstehen und nerven kann…siehe da, ausserhalb von Galileo kann Stefan Gödde das auf jeden Fall ähnlich schlecht. Besonders peinlich das unbeholfene Rumstehen und Antatschen der Familien bei den BlindAuditions
POSITIV:
– Die ganzen negativen Punkte verschmerzt man hier gerne, weil einfach die Qualität der Sänger wahnsinnig gut ist, auch wenn einige schon große Erfolge gefeiert haben. Allein die ersten beiden Paare hätten nachts um drei alle DSDS-Gewinner an die Wand gesungen. Wenn man sich manchmal die Top10 einer DSDS-Staffel ansieht (sei es der „Yes-we-can-Typ“ oder der mit der Latzhose, die keinen Ton rausbringen), könnte man losheulen, dass das das BESTE aus 30000 Leuten sein soll.
Abschliessend kann man sagen, dass es nie eine perfekte Castingshow geben wird, bei der man sich nicht ein bisschen aufregt. Aber TVoG ist hier eindeutig der Sehende unter den Blinden und etwas, was man sich noch gerne anschaut
Ich finde die...
Ich finde die Gegenüberstellung von Michael sehr gut. Es ist halt wie so häufig im Leben, alles hat zwei Seiten. Und für eine Pro7 Format ist es schon wirklich sehr gelungen. Ich bin gespannt wer gewinnen wird.