In diesem Jahr beteiligt sich – endlich! – auch das Fernsehblog am allgemeinen Rückblicksrausch. Völlig ziellos und ohne Plan geht es im Laufe des Monats an dieser Stelle um Programmtrends, die 2011 im und für das Fernsehen wichtig waren. Wenn Ihnen auch noch einer einfällt: nur her damit! (Am besten unten in die Kommentare.)
Bisher erschienen: Überdosis Castingshow; Die ARD und ihre Reformlaunen.
Diesmal: Was unterscheidet die „Super Nanny“ von Scripted Reality?
Wir müssen da nochmal was auseinander sortieren, damit’s auch der Kollege vom „Tagesspiegel“ richtig versteht. Es ist völlig korrekt, dass Scripted-Reality-Programme mit ihrem Erfolg beim Publikum das Fernsehen ganz schön auf den Kopf stellen. Dass die „Super Nanny“ ihren Job gerade an den Nagel gehängt hat, weil sie, wie der „Spiegel“ schreibt, sich von RTL in ihrer Arbeit behindert fühlte, hat damit aber allenfalls indirekt etwas zu tun.
Und das kommt so: „Echte“ Dokus bzw. Dokusoaps, die Geschichten über reale Menschen erzählen, stehen im Privatfernsehen seit jeher unter dem Druck, manipuliert zu werden, weil die Geschichten durch diese Manipulationen noch spektakulärer (oder: fernsehtauglicher) gemacht werden können als sie es in Wirklichkeit sind.
Seit es Scripted Reality gibt, also Sendungen, die durch ihren dokumentarischen Stil möglichst echt wirken sollen, aber von Laiendarstellern nach losen Drehanweisungen gespielt werden, braucht das Fernsehen eigentlich gar keine realen Protagonisten mehr. Mit den erfundenen sind ja noch bessere Quoten zu holen.
Natürlich lässt sich einwenden, dass sich durch den Erfolg der erfundenen der Druck auf die echten verstärkt, weil die mindestens genauso spannend erzählt sein müssen. Dadurch wächst die Gefahr der Manipulation. (Zum Beispiel bei der „Super Nanny“.) Außerdem wird Scripted Reality generell als problematisch gesehen, weil die Programme ihrem Publikum eine Wirklichkeit vorspiegeln, die es so gar nicht gibt. Und sicher gibt es Zuschauer, die das nicht auf Anhieb verstehen.
Dass das Fernsehen unser Bild von der Realität beeinflusst wird, ist aber nicht erst ein Problem, seit es „Familien im Brennpunkt“ gibt. Im Gegenteil: Extremfälle gab es auch schon haufenweise vorher. Zum Beispiel die akute Busen-OP-Fixierung deutscher Dokusoap-Produzenten, die bereits vor drei Jahren ein Thema im Fernsehblog war. Scripted Reality hat bloß einen Trend aufgenommen, den es bei den Privatsendern längst gab.
Daraus ergibt sich die spannende Frage: Richtet das Fernsehen nicht weniger Schaden an, wenn es erfundene Geschichten mit Laien nachspielt, als wenn es sich echte Protagonisten und deren Leben so zurecht biegt, dass die sich danach nicht mehr aus dem Haus trauen? Oder ist das egal, weil das Realitätsbild der Zuschauer am Ende sowieso verzerrt wird?
Bevor wir das diskutieren, wäre es hilfreich, die Begrifflichkeiten nicht weiter durcheinander zu werfen. Scripted Reality beschreibt in erster Linie eine Produktionsform. Dass die emotional so negativ aufgeladen ist, liegt daran, dass die Schreiintensität der Geschichten, die im Nachmittagsprogramm erzählt werden, von Anfang an relativ hoch war. Denn das ist aus Sicht der Verantwortlichen der Vorteil der Scripted Reality: dass Konflikte in aller Ausführlichkeit erzählt werden können, um die Spannung zu halten. (Eine Pflicht ist das allerdings nicht.)
Man muss Scripted Reality nicht mögen, und es gibt viele Gründe, es nicht zu tun. Aber von klassischen Dokusoaps sollte man die Programme schon unterscheiden (können). Den Protagonisten kann es nämlich nicht egal sein, ob das Fernsehen ihr richtiges Leben nach seinen Vorstellungen als Dokusoap inszeniert und sie bloßstellt oder ihnen als Laiendarsteller einen Fuffi in die Hand drückt.
Nicht nur Medienjournalisten, die wenig Zeit zum Fernsehen haben, bietet das Fernsehblog deshalb eine kleine Orientierungshilfe, was sich derzeit bei den Sendern in Sachen Scripted Reality so tut. Aber erst morgen.
Und der Rückblog zu den Programmtrends 2011 geht auch weiter. Bald an dieser Stelle.
Screenshots: RTL
Das gefällt Ihnen? Das Fernsehblog gibt’s auch bei Facebook und Google+.