In diesem Jahr beteiligt sich – endlich! – auch das Fernsehblog am allgemeinen Rückblicksrausch. Völlig ziellos und ohne Plan geht es im Laufe des Monats an dieser Stelle um Programmtrends, die 2011 im und für das Fernsehen wichtig waren.
Bisher erschienen: Überdosis Castingshow; Die ARD und ihre Reformlaunen; Warum die „Super Nanny“ nicht wegen Scripted Reality gekündigt hat.
Diesmal: Wie „Undercover Boss“ bei RTL funktioniert.
„Undercover Boss“ gehört eindeutig zu den Überraschungserfolgen des Jahres. Über 6 Millionen Menschen schalteten Ende März zum Start ein, um zu sehen, wie sich der Chef eines deutschen Unternehmens als einfacher Arbeiter verkleidet und in der Firma schuften muss, die er sonst vom Schreibtisch aus kennt. Damit ist RTL ein durchaus spannendes Experiment gelungen, das sich mit derFrage beschäftigt, unter welchen Bedingungen in Deutschland eigentlich gearbeitet wird und ob die Entscheider überhaupt noch einen Bezug zur Basis haben.
Leider fallen die Antworten dann oft doch ein bisschen mager aus.
Die Umsetzung der Fälle ist sehr stark ritualisiert. Und immer wenn der Vorstand einer Firma einberufen wird, um vom Geschäftsführer mitgeteilt zu bekommen, dass er „undercover“ gehen wolle, sieht das derart gestellt aus, dass es fast slapstickhaft wirkt. Das Aufsagen vorgegebener Texte macht „Undercover Boss“ zumindest nicht glaubwürdiger (siehe Fernsehblog vom April). Noch dazu hält sich der Arbeitsstress für einige Chefs sehr in Grenzen. Und man wird das Gefühl nicht los, manche ließen sich nur auf das Experiment ein, damit nachher im Fernsehen mal gesagt wird, dass sie ihren Laden eigentlich ganz gut im Griff haben.
Die für den Herbst geplante Fortsetzung der Reality-Reihe fiel sehr kurz aus, aber im nächsten Jahr soll es weitergehen. Im Fernsehblog erklärt Markus Küttner (Foto oben), der als Bereichsleiter Comedy & Real Life bei RTL für die Sendung verantwortlich ist, warum es so schwierig ist, neue Chefs zu finden und ob bei „Undercover Boss“ wirklich alles echt ist.
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Das Fernsehblog: Warum ist „Undercover Boss“ so statisch inszeniert? Die Folgen sind einander im Aufbau sehr ähnlich. Können oder wollen Sie das nicht aufbrechen?
Markus Küttner: Ich glaube, die Formatierung ist notwendig. Der Chef von Dixie muss natürlich ganz andere Aufgaben bewältigen als der Chef bei Joey’s Pizza – aber gerade wenn eine Sendung neu ist, braucht es einen gewissen Wiedererkennungswert, auf den sich die Zuschauer verlassen können.
Sind Ihnen die Bosse ausgegangen? Es gab zuletzt nur zwei neue Folgen.
Küttner: Ich dachte, wir würden nach den guten Quoten und der positiven Resonanz keine Schwierigkeiten haben, neue Protagonisten für den Herbst zu finden. Aber wahrscheinlich gibt es bei vielen Führungskräften doch noch Berührungsängste, für eine Stunde zur Primetime ins Fernsehen zu gehen. Wir sind mit allen, die bisher mitgemacht haben, in Kontakt, und alle sind nach wie vor zufrieden.
Es muss bei all den Nettigkeiten ja auch niemand Angst haben, dass er in die Pfanne gehauen wird.
Küttner: Das würde auch nicht zum Format passen. Wenn der Boss einer Restaurantkette anfinge, vor der Kamera seine Leute zusammen zu schnauzen, würden wir das natürlich erzählen. Wir hatten eine vergleichbare Situation aber noch nicht.
So schön das Projekt auch ist, am Ende überwiegt die Enttäuschung, weil die Mitarbeiter, die dabei waren, zur Belohnung ihren Führerschein auf Konzernkosten machen dürfen oder mal in Urlaub geschickt werden. Aber an den Arbeitsbedingungen ändert sich ja meistens nichts.
Küttner: Doch, da passiert schon was!
Na, da wird halt die Tomatenschneidemaschine im Burgerladen neu eingestellt.
Küttner: Ich hab ein konkretes Beispiel, gleich aus der ersten Folge mit Eismann: Bei dem Mitarbeiter, der viel länger gearbeitet hat als er bezahlt wurde, haben sich die Bezahlung und die Arbeitszeiten tatsächlich verbessert. Wir sind bisher einfach noch nicht auf Bedingungen gestoßen, die es notwendig gemacht hätten, dass alles umgeworfen werden muss. Es gibt einen amerikanischen Fall in einem Müllentsorgungsunternehmen, bei dem die Angestellten wirklich unter erbärmlichen Bedingungen tätig waren – da waren die Veränderungen natürlich drastischer.
Sie schummeln zwischendurch, oder? Die Szenen, in denen der Chef im Hotel sitzt und selbst in die Kamera spricht, sehen aus wie alle einmal am Stück aufgezeichnet.
Küttner: Nein, die Bosse sind jeden Abend im Hotel und filmen sich selbst. Deswegen ist das auch zum Teil eine ensprechend schlechtere Bildqualität. Wenn mir bei der Abnahme auffiele, dass da etwas gestellt wird, würde ich das sofort ändern lassen.
Der Rückblog zu den Programmtrends 2011 geht weiter. Bald an dieser Stelle.
Screenshot und Foto: RTL
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Interessante Fragen und...
Interessante Fragen und erwartbare Antworten. Theoretisch könnte man solche Interviews auch gleich lassen, weil ein wenig Reflexion und Selbstkritik bei den Dep*en von RTL natürlich gar nicht geht. Die Verantwortlichen haben halt zu Allem die passende Antwort.
Von Ansatz her eine durchaus...
Von Ansatz her eine durchaus sehenswerte Sendung, jedenfalls für das ansonsten gezeigte Programm auf RTL. Die Sendung mit dem GF von Joey´s Pizza habe ich auch gesehen und zum Teil war es für mich schon überraschend, wie fern von der Basis der Chef wirkte. Das ein Fahrer dort wenig verdient und ständig unter Zeitdruck agiert dürfte auch einem Nichtfachmann nahe liegen.
Das sich wirklich etwas ändert für diese Mitarbeiter wage ich zu bezweifeln. Die PR stimmt in jedem Fall – der freundliche, aufgeschlossene Chef , der sich kümmert. Eigentlich sollte das keiner Erwähnung wert sein, sondern Alltag – eigentlich…
"Wenn mir bei der Abnahme...
„Wenn mir bei der Abnahme auffiele, dass da etwas gestellt wird, würde ich das sofort ändern lassen.“
*Kicher, das ist fast so schön wie:
„Nein, ich hatte in den letzten zehn Jahren keine Geschäftsbeziehung zu Egon Geerkens“
Ich finde das Format durchaus...
Ich finde das Format durchaus interessant und ahbe die Sendung auch ganz gern gesehen. Dennoch kann ich mich den im Interview genannten Kritikpunkten nur vorbehaltlos anschliessen.
Die Eingangszenen und das abschliessenden Wiedersehen sind über die Grenze der Erträglichkeit hinausgekünstelt und gestellt.
Die Tageszusammenfassung per „Chefcam“ ist in mehreren Folgen deutlich sichtbar immer im gleichen Hotelzimmer gedreht, obwohl der „Chef“ jeden Tag in einem anderen Teil Deutschlands unterwegs war.
Und leider fehlten in den 2 neuen Folgen weitgehend die interessanten kleinen Einblicke, die den DokuSoapSchmonzes erst ertäglich machen.
Dass die Serie von den Firmen vor allem als PR wahrgenommen wird ist ja klar.
Schade ist nur, dass RTL es bisher kaumgelungen ist, dem ganzen etwas entgegenzuwirken. Da sich die Firmen sämtliche ARbeitsplätze, Einsatzorte, die gezeigten Mitarbeiter (und deren Stories) anscheinend frei aussuchen dürfen, bleibt RTL dann ggf. nicht viel mehr als daraus nacher eine Lobhudelei zusammenzuschneiden.
Die Folge mit BurgerKing Chef war z.B. einfach langweilig, da jeder Zuschauer vorher schon weiss wie so ein Burger zusammengeklatscht wird. Ähnliches gilt für die Folge mit dem Joeys Pizza Chef,.
Ich hoffe mal, dass RTl es in den kommenden Folgen gelingt wieder interessantere Wirtschaftsfelder zu finden, bei denen man zumindest ein paar interessante und neue Einblicke gewinnen kann. Gut fand ich es z.B. den Eismann-Chef im Kältelager zu sehen und die Probleme des nagelneuen Funksystems mit der Kälte. Nru eine Kleinigkeit des Betriebsablaufs, aber zumindest etwas was man so sonst so nicht sieht und wohl eben auch der Chef nicht.
Könnten wir mal was...
Könnten wir mal was Ernsthaftes besprechen?
Etwa wie das neue Konzept von „Mona Lisa“ aussieht, nachdem das ZDF die Sendung von Sonntag auf Montag verlegt hat?
„Undercover Boss“ ist der gleiche blöde Fake wie die anderen Doku-Sendungen der Privaten.
MfG Petra
PS.: Sollte dieser Kommentar nicht richtig ankommen, so liegt das an der FAZ. Ich kann oben meinen Namen nicht eingeben
Es ist natürlich schon...
Es ist natürlich schon eigenartig, dass da mindestens zwei Unternehmen am Start waren, deren Arbeitsbedingungen schon vielfach vor deutschen Gerichten kritisch erörtert worden sind. Also wenn Herr Küttner da nichts Beanstandenswertes entdeckt haben will…
Das alles ist zwar just Show. Aber deswegen nicht unwichtig. Eine Firma (die es nötig hat), sucht ihr Image zu verbessern. Und das sind dann natürlich bevorzugt die Firmen, die für ihr sehr spezielles Vertriebssystem laufend Nachschub benötigen. Es gibt sehr viele Menschen, die bei diesen Firmen böse auf die Nase gefallen sind.
Weder Reklame noch kritische...
Weder Reklame noch kritische Berichterstattung bringen mich dazu, solche Deppensender überhaupt anzuschauen.
Gerade, 10.08.2012, hatte in...
Gerade, 10.08.2012, hatte in eingeladener MA beim Abschlussgespräch nach einem Cut ein anderes Tshirt an. Somit wurden diese ganz erstaunten Gesichter ganz sicher gestellt und doppelt gedreht 😉
Schaue gerade Undercover Boss...
Schaue gerade Undercover Boss und frage mich immer wie den Mitarbeitern die zig Kameras, teilweise auch Cams in Fahrzeugen usw. erklärt werden??? „wir machen eine Doku über unsere Firma????“ Wie bescheuert ist das? Wer glaubt das als Angestellter? Meiner Meinung so gestellt wie Barbara Salesch.