In diesem Jahr beteiligt sich – endlich! – auch das Fernsehblog am allgemeinen Rückblicksrausch. Völlig ziellos und ohne Plan geht es im Laufe des Monats an dieser Stelle um Programmtrends, die 2011 im und für das Fernsehen wichtig waren.
Bisher erschienen: Überdosis Castingshow; Die ARD und ihre Reformlaunen; Warum die „Super Nanny“ nicht wegen Scripted Reality gekündigt hat; Wird bei „Undercover Boss“ geschummelt, Herr Küttner?
Diesmal: Warum die Digitalsender für ARD und ZDF wichtig sind.
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Weil gerade alle so fleißig dabei sind, die Digitalkanäle von ARD und ZDF wegzumobben: Wie wär’s denn, wenn wir das hässliche Wort „abschaffen“ durch das freundlichere „zusammenlegen“ ersetzen?
In der ganzen Debatte, die Kurt Beck in einem Interview angestoßen hat, das noch gar nicht erschienen ist, würde es sich nämlich lohnen, auch mal über Inhalte zu sprechen. Von denen Beck als Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder bloß am allerwenigsten Ahnung, zumindest wenn es ums Fernsehen geht. Vor einem Monat forderte er – wegen des Lärms um Kandidatenmanipulation bei „Schwer verliebt“ in Sat.1 – bereits die „Überprüfung von Kuppelshows“ und warf die auch noch mit Scripted Reality durcheinander. (Das geht vielen Medienjournalisten ja ähnlich, aber da lässt sich ja leicht Abhilfe schaffen.)
Im Gespräch über die Digitalsender, das vom Branchenmagazin „Promedia“ in seiner Januar-Ausgabe veröffentlicht wird und bereits vorabgemeldet wurde, sagt Beck nun, er könne sich vorstellen, „dass ARD und ZDF zunächst ihre Infokanäle aufgeben und Phoenix als gemeinsamen Ereignis- und Dokumentationskanal stärken“. Zudem sehe er „keine Notwendigkeit, neben den hervorragenden Kultursendern Arte und 3sat zwei weitere öffentlich-rechtliche Kulturkanäle anzubieten“.
Rundfunkkommissions-Chef und TV-Spezialist Kurt Beck möchte gerne die Digitaklsender von ARD und ZDF abschaffen.
Das Bild zeigt aber natürlich Pit den Panda aus dem „TV Lab“ bei ZDFneo.
Kurt Beck hat mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie angesehen, was er da abschaffen will (nachdem er es übrigens im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag selbst genehmigt hat). Sonst wüsste er, dass das in diesem Jahr relaunchte zdf.kultur von 3sat und Arte so weit weg ist wie – sagen wir: Medienpolitiker von der Fernbedienung, und dass die Konzepte von Eins Extra und zdf.info, so sehr man sie auch kritisieren kann, Phoenix zum implodieren brächten, wenn man die Ideen dort auf Sendung gehen ließe.
Natürlich muss man darüber reden, ob ARD und ZDF jeweils drei Kanäle brauchen, um ein Programm für eine jüngere Zielgruppe zu machen. (Die brauchen sie nämlich eher nicht.) Man muss aber auch dazu sagen: Vermutlich war zumindest das ZDF in den vergangenen 20 Jahren nicht so kreativ wie in den zurückliegenden zwölf Monaten – und zwar genau wegen seiner Digitalkanäle.
Es hat zwar eine halbe Ewigkeit gedauert, aber inzwischen haben die Verantwortlichen in Mainz durchaus begriffen, dass es dem ZDF gut zu Gesicht steht, junge Leute ein Fernsehen machen zu lassen, dass dann – potenziell – auch von jungen Leuten gesehen wird.
zdf.kultur hat im Sommer mehrere Wochenenden nacheinander von den größten Musikfestivals Europas berichtet und kümmert sich regelmäßig um alternative Musikkultur. Sowas hat es (in diesem Umfang) im deutschen Fernsehen lange nicht gegeben. zdf.info versucht, sich mit Experimenten wie „heute plus“ und dem Talk „log in“ seinem Publikum zu öffnen. Und obwohl ZDFneo über zwei Jahre nach dem Sendestart mit echten Programminnovationen immer noch arg sparsam umgeht, hat der Sender es geschafft, 2011 die einzige politische Talkshow des deutschen Fernsehens im Programm zu haben, bei der man Politikern wirklich zuhören mag; eine ganze Woche neue TV-Ideen zu zeigen und die Zuschauer darüber abstimmen zu lassen; und sich die Herren Heufer-Umlauf und Winterscheidt zu krallen, die mit „neo Paradise“ gerade donnerstäglich eine Sendung hinkriegen, die so vollgestopft ist mit lustigen Ideen, dass Harald Schmidt damit einen ganzen Monat bestreiten würde.
Wie gesagt, über die Qualität lässt sich im Einzelnen immer streiten.
Aber eines haben die Digitalkanäle geschafft: Sie haben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Panik davor genommen, immer gleich den kompletten Quotenabsturz beim Stammpublikum zu riskieren, nur weil mal jemand was anders macht als die Mehrheit der Zuschauer es erwartet.
Das Problem der Digitalsender ist ein ganz anderes. nämlich dass die Kanäle gleichzeitig als Ausrede dafür funktionieren, im Hauptprogramm nichts verändern zu müssen. Wer keine Lust auf 60 plus hat, soll halt Nische gucken.
Das ist natürlich eine Unverschämtheit: einen winzigen Teil der Gebührengelder für innovative Programme auszugeben, damit der Großteil weiter für ein Programm ausgegeben werden kann, das beim jüngeren Publikum zunehmend in der Bedeutungslsogkeit verschwindet.
Das zweite Problem ist die ARD, die in den vergangenen Monaten demonstriert hat, wie wenig Interesse sie daran hat, ihrem Publikum ein passendes Programmangebot zu machen. Sonst wären die beiden Sender Einsplus und Einsfestival nämlich schon längst fusioniert, wie es vor einem Jahr mal der Plan war. Wegen gegensätzlicher Interessen von SWR und WDR (die federführend für die beiden Digitalsender verantwortlich sind) ist es dazu nicht gekommen. Dabei wären Zusammenlegungen die einzig richtige Konsequenz, um all die Ideen, die sich derzeit über jeweils drei Sender verstreuen, zusammenzufügen. (Übrigens auch beim ZDF.) Das wird kaum mit etablierten Kanälen wie Arte, 3sat oder Phoenix klappen, denen kein Mensch einen derart radikalen Programmwechsel abnehmen würde.
All das müsste man in die Überlegung einbeziehen, in welcher Form ARD und ZDF künftig Digitalkanäle erlaubt sein sollen.
Sich einfach hinzustellen und die Abschaltung zu fordern, kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Weil das öffentlich-rechtliche Angebot dann nämlich tatsächlich schlechter würde als es derzeit ist.
Screenshot: ZDFneo
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