Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Die Woche im Fernsehen: Rechts oben in der Tetris-Statusleiste

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Benjamin von Stuckrad-Barre hat sich für seine Late-Night eine neue Klötzchenkulisse bauen lassen; bei Rolf Seelmann-Eggebert gibt's zum Geburtstag Schafsmagen; das ZDF irritiert seine Sonntagsfilmstammseher; der NDR war "7 Tage im Altenheim"; und Jürgen Milski ist zum "Beziehungsretter" befördert worden. Was diese Woche im Fernsehen los war.

Die Sendungen:
Stuckrad Late Night | ZDFneo
Wo Könige Ferien machen | NDR
Tsunami – Das Leben danach | ZDF
7 Tage im Altenheim | NDR
Mitten im Leben | RTL

Es muss eine spannende Woche für Benjamin von Stuckrad-Barre gewesen sein. Erst durfte er sich vom kompletten deutschen Feuilleton anhören, dass der von ihm mitverbrochene „Zettl“ unnötig die hiesigen Kinosäle verstopft; dann verklagte er ein Boulevardblatt, das seinen früheren Drogenkonsum für das Misslingen mitverantwortlich machte; und am Donnerstag saß er schließlich in der neuen Kulisse seiner Late-Night-Show, die mit ihren abwechselnd gelb, blau und rot angestrahlten Dekokästen so sehr an das Fortgeschrittenen-Level des Zeitvertreibklassikers Tetris erinnert, dass ständig zu befürchten stand, der Moderator könnte von einem plötzlich herabfallenden Klötzchen erschlagen werden oder sich in einer zurechtkombinierten Viererreihe auflösen.

Glücklicherweise ist beides nicht notwendig gewesen. 

Schließlich war der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos da, um mit dem Gastgeber die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten seiner beruflichen Zunft durchzugehen. Also: „Ist es ein Problem, dass in der Politik heutzutage keiner mehr Schnaps trinkt?“ (Stuckrad-Barre) – „Dieses Problem habe ich nicht.“ (Glos)

Bild zu: Die Woche im Fernsehen: Rechts oben in der Tetris-Statusleiste

Es kommt nicht alle Tage vor, dass einem Politiker sympathischer werden, wenn sie in Fernsehsendungen zu reden anfangen. Meist ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Insofern kann man jedem Volksvertreter nur raten, sich baldmöglichst bei „Stuckrad Late Night“ einladen zu lassen – denn da klappt’s mit dem Sympathiebonus.

Vorausgesetzt, man erträgt die Mischung aus Rollenspielquatsch und ernst gemeinten Lebensfragen, die während der Show auf einen abgefeuert werden.

Glos hat sich nochmal die fiesesten Beschimpfungen der Opposition in der Wiederholung anhören müssen. Er hat, zum Spaß, eine Pressekonferenz als neuer Verteidigungsminister gegeben. Und sein Verhältnis zu Horst Seehofer kompakt zusammengefasst: „Freunde?“ – „Das wechselt.“

Die Gelassenheit muss abgefärbt haben: Stuckrad-Barre sah um Welten entspannter aus als in den Shows vor der Pause (siehe Fernsehblog vom April 2011); vielleicht hat das Rauchen geholfen. Auf jeden Fall ist für die neue Staffel jede Menge Ballast über Bord geworfen worden. Das überflüssige Vorgeplänkel mit dem Studiopublikum – raus! Christian Ulmen als verkleideter Schlauspruchdödel – raus! Dafür ist jetzt fast 45 Minuten Zeit für den Gast (Staffelstart in der ZDF-Mediathek ansehen).

Die „Fragen im Stehen“ gibt es immer noch, die sind schließlich auch der beste Teil der ganzen Show. Und die Sidekicks Schumacher & Schönbohm sitzen jetzt nicht mehr links auf der Empore, sondern rechts oben in der Tetris-Statusleiste, um sich gelegentlich ins Gespräch einzumischen. Kein Muss, aber völlig in Ordnung. 

Wenn Stuckrad-Barre jetzt noch ein bisschen von seiner Aufgekratztheit runterkommt, hat er es tatsächlich geschafft: eine Talk-Sendung ins deutsche Fernsehen hinein zu produzieren, die richtig Spaß macht.

Der ARD-Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert ist gerade 75 geworden, und sein Haussender, der NDR, hat ihm statt eines vergoldeten Füllfederhalters und einem feuchten Intendantenhändedruck einfach eine eigene Fernsehreihe geschenkt. Seelmann-Eggebert nutzte die Gelegenheit, um prompt ein neues Genre zu erfinden: die Royal-Reisereportage!

Bei „Wo Könige Ferien machen“ geht’s um – Sie haben es erraten: Urlaubsorte von Gegenwartsmonarchen (ganze Folge bei ndr.de ansehen). Wobei die Produktion ein bisschen spät dran war, um auch noch einen Teil mit Christian Wulff auf Sylt zu produzieren.

Dafür hat Seelmann-Eggebert in der Auftaktfolge Queen Elizabeth zum Baumstammweitwurfansehen nach Schottland begleitet; er hat Händeschüttelvergleichsbilder von Prinz William in der Unistadt St. Andrews damals und heute herausgesucht; und vor der Kamera die typische Schafswurst, den Haggis, probiert: „Das erinnert mich ein bisschen an einen Fleischkloß.“

Wer Dokus im Fernsehen vermisst, in denen es keine 3D-Titeleinblendungen gibt, die nicht mit dramatischer Musik unterlegt sind und völlig ohne Nachspielszenen auskommen: donnerstags NDR einschalten! Da zeigt ein 75-jähriger Adelsexperte, wie ausgeruhtes Fernsehen gemacht wird.

Das ZDF macht ja lustige Experimente mit seinem Publikum: Auf dem Sendeplatz am Sonntagabend, wo eine Woche vorher „Inspector Barnaby“ lief und eine Woche danach „Katie Fjorde“, hat Bald-Intendant Thomas Bellut einen Film gemogelt, in dem eine Frau davon erzählt, wie sie im Thailand-Urlaub 2004 Mann und Kinder verliert, daraufhin ihr eigenes Leben aufzugeben scheint, dann einen Mann kennenlernt, der ebenfalls seine Familie verlor. Die beiden lernen sich kennen, verlieben sich – und heiraten.

Die Geschichte in „Tsunami – Das Leben danach“ ist tatsächlich so passiert, der Film ist (bis auf die letzten 10 Minuten, in denen der Kitsch doch noch durchsuppt) absolut empfehlenswert (und noch in der ZDF-Mediathek ansehbar).

Und ja, das steht hier jetzt einfach mal so, ganz ohne irgendein Klischee über die Hauptdarstellerin auswalzen oder widerlegen zu müssen.

In der vergangenen Woche stand an dieser Stelle was anderes, nämlich eine furchtbare Gemeinheit. Im Kern ging es darum, dass das Nachmittagsprogramm der Dritten ausschließlich dafür gemacht sei, im Seniorenheim gesehen zu werden. So war das nicht gemeint. Sollten Sie, verehrte Leser, in einem Seniorenheim leben: Pardon!

„Ich bin für sieben Tage in ein Altersheim eingezogen, in das Zimmer 101. Ganz freiwillig. Ich wollte wissen, wie das so ist, das Leben unter alten Menschen. Und ob ich Angst haben muss, auch mal hier zu landen.“ So beginnt der Film von Domenica Berger, die anschließend zurückhaltend, aber neugierig erkundet, wie der Alltag von Menschen aussieht, die ihr eigenes Zuhause haben aufgeben müssen (und sonst auf ganz anderen Baustellen unterwegs ist).

„7 Tage im Altenheim“ ist kein Doku-Experiment, sondern besteht vor allem aus Bildern, Beobachtungen und Gesprächen. Berger lernt, dass auch Senioren gerne Wii spielen (Bowling, natürlich!); dass es Stunden am Tag gibt, die sich „unendlich ziehen“, weil es nichts anderes zu tun gibt als aufs Abendessen zu warten; und fragt sich, warum jüngere Leute plötzlich mit einem reden „wie mit einem Hund“.

Es gibt in diesen 30 Minuten keine schweren Pflegefälle, aber sehr wohl die Angst der Bewohner davor, einer zu werden. Und es gibt Bergers Zimmernachbarin, die genau weiß, was das Problem am Leben im Altersheim ist: „Hier sind so viele Menschen. Aber eigentlich sind trotzdem alle alleine.“

Am Ende zieht die junge Frau vom Fernsehen ein bisschen plötzlich wieder aus, und ob sie jetzt Angst hat, irgendwann wieder herkommen zu müssen, verrät sie leider nicht.

Egal: Der NDR hat die Reportage konsequenterweise im Sonntagnachmittagprogramm versteckt, da wird sie eh kaum jemand gefunden haben. (Dafür ist sie online noch ansehbar.)

Seit dieser Woche ist Jürgen Milski nicht mehr nur ehemaliger „Big Brother“-Containerbewohner, Ex-Call-in-Gewinnverzögerer und Ballermannbudenschlagerstar – sondern durch eine Qualifikationsandichtung, die unbedingt kreativ genannt werden muss, auch „Beziehungsretter“. In der RTL-Nachmittagsscharade „Mitten im Leben“ sucht der „liebeserfahrene Kölner“ und „Verfechter der Romantik“ Ehemänner heim, die leichtfertig die Zuneigung ihrer Liebsten aufs Spiel gesetzt haben und nun einen fernsehgetriebenen Rettungsversuch starten wsollen (ganze Episode bei rtlnow.de ansehen).

Als Referenz für Milskis Lebensberatungsnebenjob wird in der Sendung mehrmals dessen Liaison mit der eigenen Freundin genannt, welche seit mehr als 33 Jahren als unfallfrei gilt – eine Logik, die Atomstromkunden eine Zweitkarriere als Kernphysiker in Betracht ziehen ließe.

Wobei die Methode, die zu dem bisher größten Erfolg in Milskis Leben geführt hat, durchaus simpel zu nennen ist. Zumindest handelt es sich bei seinen Tipps an die Problemmänner um einfache Mischungen aus Ablenkungsmanöveraufforderung und Gewürzmetapher. Zum Beispiel: „Das Salz in der Suppe ist, dass man sich immer wieder überrascht!“ Oder: „In eine Beziehung muss immer wieder neues Pfeffer rein, man muss sich gegenseitig überraschen!“ (Notfalls geht’s aber auch ohne Gewürz, einfach nur: „Überrasch sie!“)

Dafür, dass diese Ratschläge nicht nur beziehungsrettend, sondern auch karrierefördernd eingesetzt werden können, ist Milski selbst der beste Beweis.

Fremde Menschen anzuleiten, ihren Partnerinnen Liebeslieder zu James-Blunt-Melodien zu schreiben, sie in Einkaufszentren zum Walzertanzen einzuladen, und vor allem: damit ins Fernsehen zu kommen, ist schließlich die größte von allen. Die größte Überraschung.

Soviel für diese Woche.

Screenshots: ZDFneo, NDR, ZDF, RTL

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1 Lesermeinung

  1. Stefan sagt:

    Milski ist immernoch...
    Milski ist immernoch Gewinnspielankoberer, nur jetzt beim Abzock-, Sexclips- und Shoppingsender Sport1.

Kommentare sind deaktiviert.