Die Sendungen:
Flash! Der größte Moment deines Lebens | Pro Sieben
Europas verlorene Generation | WDR
Facebook – Milliardengeschäft Freundschaft | Das Erste
Liebe im Paradies | RTL 2
Wahrscheinlich lässt sich das nicht genau sagen, für wen in dieser Sendung nun der größere Traum in Erfüllung gegangen ist: Für das Pärchen aus Hamburg, das sich spontan in einem Einkaufscenter-Flashmob mit hunderten von Tänzern verheiraten ließ. Oder doch eher für Detlef D! Soost, der bei den Proben dafür so viele Leute auf einmal mit dem Megafon herumkommandieren durfte: „LAUTER, GRÖSSER, KOMM!“
(Bei „Popstars“ muss er ja meistens mit einem Häufchen angehender One-Hit-Wonder Vorlieb nehmen.)
Natürlich ist Pro Siebens Choreographiesuppenkasper der richtigste Mann, den sich ein Sender wünschen kann für eine Show, in der Menschen ihre Partner oder Familienangehörigen aufwändigst von haufenweise Unbekannten betanzen lassen, um sie dann mit einer hochprivaten Ankündigung zu überraschen.
Aber ein bisschen kriegt man’s bei „Flash! Der größte Moment deines Lebens“ schon mit der Angst zu tun, wenn Soost so verbissen in die Kamera knatscht, dass die von ihm geplante Veranstaltung „ein Feuer der Gefühle“, ach was – „ein Gefühlswasserfall“ werden müsse.
Den Wasserfall hat er bekommen: Der Tag, an dem das ewig geplante Spektakel in einer Oberhausener Konsumlandschaft vonstattengehen soll, ist komplett verregnet, und das ist – natürlich – „das Schlimmste was uns passieren konnte!“, weil in Soosts Fernsehwelt zwischen Himmelfahrt und Apokalpyse kein Blatt Papier mehr passt.
Dabei würde „Flash!“ auch ohne die ganze Aufpumperei funktionieren (ganze Folge bei prosieben.de ansehen). Das mag daran liegen, dass Pro Sieben sich bei der Umsetzung peinlich genau an das Original aus den USA gehalten hat, nur mit anderen Protagonisten. Die Kitschintensität der Sendung ist für deutsche Verhältnisse im Jahre 12 n.T. (nach „Traumhochzeit“) sicher gewöhnungsbedürftig. Aber der Teil, in dem die Tanzschlacht beginnt, ist ganz hervorragend auf Spannung geschnitten, und die Begeisterung, wenn das Experiment glückt, nimmt man Soost und seiner Ko-Moderatorin Charlotte Engelhardt durchaus ab.
Die wurde offiziell als „Frau“ dazu beordert, um zwischendurch die Frage aller Fragen zu stellen: „Als Frau: will man in einem Einkaufszentrum gefragt werden, ob man jemanden heiraten möchte?“
Och ja. Aber bitte nur, wenn beim Ja-Wort wie in Oberhausen im Hintergrund so schön die Buletten-, Mobilfunk- und Sandwichreklamen leuchten.
Sabine Heinrich hat sich ihren Rollkoffer geschnappt, ein paar Tage bei Einslive freigenommen und ist mit Kamerabegleitung einmal durch Europa gereist, von Griechenland über Frankreich bis nach Estland. Und zwar, um dort bei Gleichaltrigen auf der Couch zu pennen, die nachher im Titel ihrer Reportage dramatisch als „Europas verlorene Generation“ in einen Topf geworfen wurden: die fertig studierte Mittzwanzigerin, die sich im Fast-Food-Laden für 600 Euro abrackert, weil sie sonst keinen Job findet; Leute, die mehrere Jobs gleichzeitig brauchen, um genug Kohle zusammenzukratzen; und Anwältinnen, die in Athen für den Bruchteil des Gelds arbeiten, das sie anderswo verdienen könnten, aber die Heimat nicht im Stich lassen wollen.
Die Idee, Staatspleiten beim WG-Kochen zu besprechen und Zukunftsvorstellungen beim Trinkpäckchenschlürfen in der Innenstadt, ist zwar prima. Aber trotzdem wackelt es in den 30 Minuten an vielen Stellen bedenklich, weil Heinrichs Besuche nicht so recht zusammenpassen wollen (in der ARD-Mediathek ansehen).
Als Momentaufnahme mag das kontinentale Couchsurfing in Ordnung sein. Aber um wirklich rauszubekommen, „wie sich die Krise im Alltag anfühlt“, was ja die Absicht war, reicht es nicht, die Geschichten von drei, vier Leuten zu erzählen, wenn gar nicht klar wird, dass hinter deren Pech eine Systematik steckt, die viele Millionen betrifft.
Vielleicht schickt der WDR Heinrich trotzdem bald wieder raus. So unverkrampft und realitätsnah wird sonst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nämlich nirgendwo geredet.
Aufgepasst! Für eine gemeinsame Reportage von ARD und BBC ist es einem Kamerateam gelungen, ein paar sensationelle Aufnahmen zu machen. „In der Unternehmenszentrale von Facebook sind Journalisten nur selten zugelassen“, raunt die Sprecherin. „Der Zugang: exklusiv. Nur selten gefilmt: Unternehmensgründer Mark Zuckerberg mitten im Team bei seiner Arbeit.“
Ja, Wahnsinn, das deutsche Fernsehen hat den Facebook-Boss vor die Linse gekriegt – und was soll man dazu sagen, außer: dass der Mann im Büro halt telefoniert und vorm Computer sitzt. Das Erste verkauft diese Erkenntnis zur Sicherheit in typischem Dokufernsehdeutsch, nämlich so als seien dem Team in einem Biosphärenreservat Bilder einer bisher unentdeckten Kreuzung aus Wasservogel und Eidechse gelungen. Zuckerberg muss sich sonst ja vieles gefallen lassen – aber wie ein seltenes Tier behandelt zu werden, das dürfet auch für ihn neu sein.
Der Rest der Reportage „Facebook – Milliardengeschäft Freundschaft“ (in der ARD-Mediathek ansehen) ist eine wenigstens optisch zum Teil originell umgesetzte Standardschimpfe für die unsympathischen Datensammler, mitsamt allen Plattitüden, die das Genre so benötigt: „jeder vierte Deutsche ist…“, „…hat Sicherheitslücken“, „…verdient immer mit“.
Kann man so machen. Aber nur für Leute, die gerade aufgetaut wurden und nie zuvor was von Social Media gehört haben.
Bei RTL 2 scheint man einen Weg gefunden zu haben, Scripted Reality endlich auch fürs Spätabendprogramm tauglich zu bürsten: indem die Geschichten aus dem Vorabend rüberkopiert werden. Viel Gehirnschmalz hat es jedenfalls nicht gebraucht, um sich „Liebe im Paradies“ auszudenken, eine „X-Diaries“-Variante, die absurde Streits auf Pauschalurlaubsinseln erzählt, weil es da warm genug ist, das Laienpersonal ständig im Bikini herumlaufen zu lassen.
Wobei die Realität langsam beleidigt sein müsste, wenn ihr ernsthaft unterstellt werden sollte, dass die Ereignisse in dem produktplatzierten Ibiza-Club auch nur annähernd etwas mit ihr zu tun haben sollten.
Die Premierenfolge bestand jedenfalls daraus, dass sich ein bayerischer Single-Bauer im Urlaub in eine vollbusige Dame verliebte, die ihm gestand, „Ladyboy“ zu sein und untenrum noch zu Ende operiert werden zu müssen (ganze Folge bei rtl2now.de ansehen). Das gefiel der resoluten Mutter des Landwirts wiederum gar nicht: „Mir kommt kein brasilianischer Zwitter ins Haus!“
Ohne die Widrigkeiten des plausiblen Handlungsstrangs erzählt sich sowas natürlich ganz flockig weg, ist aber auch nur noch als Comedy ernst zu nehmen, so trottelig, wie die Laien ihre Texte verbocken und so tief wie die Handlungssprünge vor ihrem Weltrekordversuch in die Knie gehen. Unter dieser Prämisse funktioniert „Liebe im Paradies“ allerdings hervorragend. Witziger als die umfängliche Bauern-Mama, die ihr Atemhilfegerät erklärt, das sie sich nachts um die Birne bindet, ist zumindest im „RTL 2 Fun Club“ keiner: „Wenn ich hingehe und tu nicht mehr atmen, schlaf ich ein und bin tot. Ganz einfach.“
Stimmt: ganz einfach. Merken Sie sich das!
Soviel für diese Woche.
Screenshots: Pro Sieben, WDR, Das Erste, RTL 2
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Erschwernis- resp....
Erschwernis- resp. Schmutz-Zulage?
Ich hoffe doch, dass Sie wenigstens reichlich vergütet werden für die Mühsal, sich all den (allermeistens:) Schrott anzuschauen, drüber nachzudenken und dann was Geistreiches dazu zu schreiben.
A propos „allermeistens“: Entgegen der negativen Vorhersage, hier vor zwei Monaten, hat sich ‚Hubert & Staller‘ als ganz nette Komödie ein treues Publikum herangezogen, oder? Und das im Vorabendprogramm! (resp. auf’m PC Monitor, mangels TV).
Ich möchte bitte kurz...
Ich möchte bitte kurz anmerken, dass das Verb neudeutsch „tuhen“ heißt, korrekt hieße die Überschrift also „wenn ich nicht mehr atmen tuh.“ (Scherz beiseite)
Von dem Facebook-Bericht hätte ich mir mehr erwartet. Der war langweilig, da es keine neue Erkenntnisse gab. Oder habe ich die verschlafen?