Schlau wie die Tagesschau | Das Erste
Extra spezial: Das Doppelleben des Diktators | RTL
Die Nonne und Herr Jilg | ZDF.kultur
Clips | SWR
Als sich in einer fernen Vergangenheit die letzte neue Idee in die ARD-Unterhaltungsredaktion verirrte, hielt sie ein Redakteur, der vorzeitig aus dem Arbeitskoma erwacht war, geistesgegenwärtig fest. Seitdem wird die Idee in einem Glaskasten künstlich am Leben erhalten und von Redakteursgeneration zu Redakteursgeneration weitergereicht. Sie ist schrumpelig, verkümmert, vegetiert eigentlich nur noch dahin – muss aber weiterhin haufenweise Sendeminuten füllen.
Wo sollte die ARD sonst so einfach eine neue neue Idee hernehmen? Selbst ausdenken? Sehr witzig.
Folglich hat Frank Plasberg den Auftrag gekriegt, sein Jahresendquiz anlässlich des 60. „Tagesschau“-Geburtstags allgemeingeschichtstauglich zu tapezieren, um dann mit Nachrichtenvorlesern und Prominentenvolk abzuprüfen, wer „Schlau wie die Tagesschau“ ist, damit am Schluss Geld gespendet werden kann (kein Online-Video).
Auch in der Ölkrise-Mondlandung-Mauerfall-Variante bezogen sich die gestellten Fragen nur am Rande auf die filmbeitragsgestützten Ereigniserinnerungen, und weil sich ein einfaches Schlaumeierquiz schlecht auf drei Stunden Sendezeit auswalzen ließe, sind auch die Spiele aus „20xx – Das Quiz“ dringeblieben, für die die Kandidaten in lustige Verkleidungen schlüpfen müssen, um sich beim Mondgolf im Raumanzug und beim Campingzeltaufbau zu beweisen.
Und was ist Plasbergs Produktionsfirma eingefallen, um der Show den richtigen „Tagesschau“-Dreh zu geben? Genau: „Tages-Dingsda“, eine Schnellraterunde mit dem Titel „Tagesschlau“ und eine MAZ mit den – Sie haben’s erraten – lustigsten „Tagesschau“-Pannen.
Dazu standen Judith Rakers, Jan Hofer und Marc Bator, die sonst wirklich permanent in irgendeiner anderen Ratesendung mitquizzen, hinterm Pult; gegenüber wollte Ursula von der Leyen ein paar Sympathie-Punkte sammeln, Barbara Schöneberger hat immer noch keiner eine eigene Show gegeben – und als der ebenfalls zum Mitraten verpflichtete Jörg Pilawa seine richtigen Antworten damit erklärte, dass er genau diese Frage schon mal in seiner eigenen Quizshow gestellt habe, hätte die Veranstaltung eigentlich mit sofortiger Wirkung abgebrochen werden müssen, um einen großen Unterhaltungsshowkrisengipfel einzuberufen.
Ging aber alles weiter wie gehabt.
Nur wer genau hinhörte, konnte mitbekommen, wie die alte Idee in ihrem Glaskasten hinter den Kulissen mit einem letzten Röcheln ein für allemal verstarb.
Man muss RTL ja auch mal loben: Ihr Interview mit Muammar al Gaddafi hatte der Sender im vergangenen Jahr noch irgendwo im Nachtprogramm versteckt. Doch als Dauerkrisenreporterin Antonia Rados nun eine dreiviertelstündige Reportage im Gepäck hatte, die nachweisen will, dass Gaddafi systematisch Frauen vergewaltigt hat, war plötzlich Platz im Montagabendprogramm.
Verkleidet als „Extra spezial“ und mit dem aufgepeppten Titel „Das Doppelleben des Diktators“ (bzw. wie Birgit Schrowange sagte: „das brutale und bizarre Doppelleben des Diktators“) mogelte Rados ihre Recherchen also in ein Programmumfeld, das sonst nicht gerade für seine Investigativdokus bekannt ist – und, was soll man sagen außer: hat sich gelohnt. (Ausschnitt bei rtl.de ansehen; aus unerfindlichen Gründen steht nicht die ganze Reportage online).
Rados hat während ihrer Libyen-Aufenthalte das Gerücht gehört, Gaddafi habe sich in Schulen, Mädchenheimen und Universitäten regelmäßig junge Frauen einbestellt. Mehrere Male reiste sie durchs Land, sprach mit Heimleiterinnen, ehemaligen Leibwächterinnen und einer Uni-Dozentin, die selbst zu den Opfern gehörte und in die Psychiatrie zwangseingewiesen wurde, weil manchen Leuten nicht gefällt, was sie sagt.
Egal, wo Rados hinkam, sie bekam vor allem eins zu hören: „Es ist kompliziert, über dieses Thema zu sprechen.“
Quotenrekorde stellt RTL mit einem solchen Thema keine auf. Weil das eigentlich klar ist, könnte Rados beim nächsten Mal ja die nachgestellten Szenen weglassen, für die jemand in ein Gaddafi-Kostüm gesteckt wurde, um unscharf Situationen nachzuspielen, die aufgrund der eindrücklichen Schilderungen der Gesprächspartner keiner weiteren Illustration bedürften.
Erst recht keiner albernen.
Es dauert nur ein paar Minuten, dann ist die Wahrheit aus dem Sack. „Eigentlich bin ich gar keine Nonne, sondern eine Schwester“, sagt Schwester Jordana im Auto neben ZDF.kultur-Moderator Rainer Maria Jilg, mit dem sie einmal quer durch die Türkei, den Libanon und Israel bis nach Jerusalem fährt. Das heißt, schon der Titel der kleinen Reisereportage ist gemogelt?
Macht nix, „Die Nonne und Herr Jilg“ ist trotzdem ein schöner Versuch, über die Osterfeiertage per Roadtrip zu klären, wie das eigentlich ist mit dem Glauben: dem eigenen, vor allem aber dem der anderen. Hilfreich zur Seite steht den beiden ein sprechendes Kofferradio, das altkluge Bemerkungen dazwischenfunkt. Und die Schwester, die keine Nonne ist, kann, während sie über – tja: Gott und die Welt (und Übersetzungsfehler in der Bibel) spricht, sogar ein Navi bedienen.
In der ersten von drei Folgen verschlägt es das Team zum Teetrinken in türkische Bergdörfer, zu tanzenden Derwischen und in ein Flüchtlingslager vor der syrischen Grenze. Das ist sehr unspektakulär, sehr unaufregend – und vielleicht genau die richtige Alternative zum blockbusterverseuchten Osterprogramm (ganze Folge in der ZDF-Mediathek ansehen).
Wenn das Fernsehen Internet spielt, geht das meistens schief. Aber einen Innovationssender wie den SWR kann das Scheitern der anderen natürlich nicht schrecken. Deshalb lief in der vergangenen Woche erstmals im Spätprogramm „Clips – Der Monat im Netz“, was geradezu sympathisch kolumnenhaft klingt. (Weiß auch nicht, wie ich da jetzt drauf komme.) In 45 Minuten wird gezeigt, was die Menschen alles so an nicht gebührenfinanzierten Inhalten ins Netz hochladen. Hauptsächlich: Tiervideos, Protestvideos, Kriegsvideos und Mashups.
„Clips“ spart sich – ganz neumodisch – jegliche Form von Filter und kippt die aus dem Netz gesaugten Videos einfach in die Röhre: die Parkräumung der Stuttgart-21-Proteste; Webcambilder aus russischen Wahllokalen; einen rauchenden Saarländer, der aus seinem Alltag erzählt, Tornadofluchtaufnahmen; zum Tischtennis hüpfende Hunde; ein russisches Familienblasorchester, das den Hochzeitswalzer spielt; ein OK-Go-Video; Bilder der US Army aus Afghanistan; Staubsauerwerbung aus den USA. (SWR.de stellt eine pdf-Liste zum Selbstdurchklicken zur Verfügung.)
Wahrscheinlich ist die Reihenfolge, in denen lustige Homevideos an Bilder von blutenden Kindern nach Bombenangriffen geschnitten werden, bereits als kritischer Kommentar gemeint. Und wenn auf den Griechen, der sichtlich mitgenommen von den Ereignissen in seinem Land erzählt, der Griechenland-Song von „Fränky Pänky“ folgt („Griechenland, Griechenland / Milliardenschulden und abgebrannt“), soll das womöglich die Verzwicktheit der Lage illustrieren.
Oder es ist einfach feige und hilflos, sein Publikum eine Dreiviertelstunde lang mit Youtube-Clips abzuschießen, ohne auch nur im Entferntesten eine eigene Position dazu zu entwickeln und am Ende ein scheinheiligen „Dank und Hochachtung an alle Blogger, Videomacher und Augenzeugenreporter“ einzublenden.
Kurz überlegen, dummdidumm, na gut, die Entscheidung ist gefallen. Wir nehmen: feige und hiflos.
Soviel für diese Woche.
Screenshots: Das Erste, RTL, ZDF.kultur, SWR
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