Christian Rach ist der einzige Fernsehkoch, der im Fernsehen nicht kocht. Als „Restauranttester“ steht er zwar auch mal mit der Kochjacke am Herd, um Kollegen in schlechtlaufenden Gaststätten zu erklären, dass ihr Essen nicht aus der Tüte kommen darf. Aber bei seinen Rettungsbesuchen wird er hauptsächlich als Gastro- und Lebensberater gebraucht. Weil viele Betreiber vor lauter Sorgen gar nicht mehr die eigenen Fehler sehen.
In den kommenden Wochen muss der 53-Jährige zeigen, dass er es selbst noch kann: ein neues Restaurant etablieren – unter erschwerten Bedingungen.
In der Berliner Jägerstraße, wenige Meter vom Gendarmenmarkt entfernt, hat Anfang März der „Rote Jäger“ eröffnet. Auf der Karte steht Geschmortes vom Wild mit Serviettenknödeln, aber auch Eismeerforelle mit Limetten-Minz-Joghurt und karamellisierte Zitronen-Thymiantarte.
Früher war hier die Sat.1-Kantine. Jetzt hängen an den Wänden gemusterte Tapeten mit gezeichneten Riesenkois. Im Erdgeschoss schließt sich die dunkelrote Bar direkt an den Gastraum an. Und oben, im ersten Stock, können die Gäste durch ein großes Fenster in die Küche schauen. Nur das Personal ist untypisch. Die meisten Leute haben statt gastronomischer Erfahrung jede Menge Probleme: eine junge Frau war drogensüchtig, ein Kollege ist als Schläger polizeibekannt, ein dritter kam nicht von Hartz IV weg. Alle haben eins gemeinsam: Sie wollen einen Job. Da sind sie hier richtig.
Gleich ist Nachmittagspause. Die letzten Gäste verabschieden sich, schütteln Rach die Hand: „War lecker. Schön, dass Sie das hier machen.“ Dann hat er Zeit, sich über sein Projekt zu unterhalten: „Rachs Restaurantschule“, die Fortsetzung. Er sagt: „Das ist keine Castingshow. Es gibt keinen Plan, welche drei Kandidaten fallen gelassen werden, um es spannend zu machen.“ Das ist nicht selbstverständlich bei RTL.
Über 5 Millionen haben vor zwei Jahren die erste Staffel der „Restaurantschule“ gesehen, in der eine Gruppe jugendlicher Problemfälle das „Slowman“ in Hamburg eröffnete – und der Chef sich dabei regelmäßig die Haare raufte. Die Motivation war ja da. Aber viele kamen ständig zu spät oder tauchten gar nicht erst auf. Meistens war die Party wichtiger als die Patisserie.
Von zwölf Kandidaten arbeitet heute nur noch eine im „Slowman“. Manche sind aus Krankheitsgründen gegangen, oder weil plötzlich Nachwuchs kam; andere konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, acht Stunden durchzuarbeiten.
„Ich hab nicht an den gruppendynamischen Prozess gedacht, der sich entwickelte, als wir die Bewerber zusammen in einer WG untergebracht haben“, sagt Rach heute. „Die Ablenkung war zu groß und keiner in der Gruppe wollte der Spielverderber sein.“ Diesmal wohnt jeder für sich, die Hälfte der Kandidaten stammt aus Berlin. Die erste „Restaurantschule“ sieht er trotzdem als Erfolg. Nicht nur, weil es dafür den Deutschen Fernsehpreis gab. Im „Slowman“ würden auch heute noch Leute arbeiten, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Nur eben ohne Kamerabegleitung.
Im vergangenen Herbst hat er nach fast 23 Jahren das „Tafelhaus“ in Hamburg zugemacht, sein eigenes Restaurant, mit dem er sich einst einen Michelin-Stern erkochte. Der ist jetzt weg. Eingetauscht für mehr Zeit. Die investiert er in die „Restaurantschule“. Man merkt ihm an, dass er es ernst meint: „Wir nutzen das Medium Fernsehen, um auf ein gesellschaftliches Problem aufmerksam zu machen.“ Das Problem sei, dass Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten seien, es schwer hätten, wieder im Berufsalltag Fuß zu fassen. „Vielen fehlt Würde und Anerkennung. Denen klopft niemand mehr auf die Schulter und sagt: Das hast du toll gemacht. Wenn dann noch der Bildungshintergrund fehlt, haben sie keine Chance mehr auf eine Perspektive. Da müssen wir ansetzen.“
Im „Roten Jäger“ werden die Bewerber in der Küche und im Service ausgebildet. Sie lernen, selbstverantwortlich zu arbeiten. In der Karte steht: „Wir sind nicht perfekt, ersetzen das aber durch Spaß und Leidenschaft!“ Wer sich in der Probephase bewährt, die nun im Fernsehen erzählt wird, bekommt einen Ausbildungsvertrag oder einen Job.
Daran denken die meisten am Anfang noch gar nicht. „Die Motivation ist der Erfolg auf dem Teller: die Nudeln, wenn sie zehnmal misslungen sind, beim elften Mal toll gemacht zu haben“, sagt Rach. „Und wenn jemand, der bisher alles nur mit den Fäusten geregelt hat, plötzlich lernt, dass die Hände auch dazu taugen, mit dem Löffel eine feine Soße zu ziehen.“
Fürs Gelingen setzt der gebürtige Saarländer seinen Ruf aufs Spiel. Aber den der Bewerber ja auch. Als RTL im vergangenen Jahr zeigte, wie sich die Hoffnungen vieler Azubis im „Slowman“ zerschlugen, musste Rach einigen seiner Schützlinge nachlaufen, um Erklärungen für ihr Schwänzen zu kriegen. Am Ende stand er vor verschlossenen Wohnungstüren (ganze Sendung im Archiv bei rtlnow.de, allerdings kostenpflichtig).
Natürlich wollen die Zuschauer wissen, was aus den Leuten geworden ist. Aber wenn ein paar Millionen sehen, wie sich einer vor der Arbeit drückt, ist das nicht gerade hilfreich für seine nächste Bewerbung. Bei dieser Kritik schaltet Rach schnurstracks in den Verteidigungsmodus: „Es ist ja meistens nicht so, dass die Leute gleich am anderen Tag beim nächsten Arbeitgeber auflaufen.“ Doch so fair „Rachs Restaurantschule“ ihre Kandidaten behandeln will, sie stellt sie auch ins Rampenlicht und fordert von ihnen, gleichzeitig mit den alten Problemen und der neuen Bekanntheit fertig zu werden.
Rach behauptet: „Es ist ja niemand dauerhaft prominent davon, dass er ein paar Momente im Fernsehen war.“ Zumindest nicht so prominent wie der Chef. Der wird, wenn die Zuschauer jetzt zum Essen in den „Roten Jäger“ kommen, wieder ziemlich viele Hände schütteln müssen. Zum Kochen kommt er so schnell jedenfalls nicht mehr.
„Rachs Restaurantschule“ startet an diesem Montag um 20.15 bei RTL, weitere Folgen laufen montags um 21.15 Uhr.
Screenshot: RTL
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Bitte wieder mehr davon. Die...
Bitte wieder mehr davon. Die Beiträge dieser Art geben viel mehr als diese „Wochen“-Beiträge …
Rach ist hier wohl vielmehr...
Rach ist hier wohl vielmehr der Pädagoge. Mir ist nur Herr Rach als Restaurantester bekannt und dort war er eher ein Motivator oder auch „Meckerfritze“.
Die erste Staffel habe ich...
Die erste Staffel habe ich noch gesehen, habe aber mit jeder weiteren Sendung Nackenschmerzen vom Kopfschütteln bekommen. Ohne jetzt eine soziale Debatte provozieren zu wollen und wohl wissend, dass vieles fürs Fernsehen ganz anders aufbereitet wird, so denke ich doch, dass es anscheinend Menschen gibt, denen man alles hinterhertragen muss und die trotzdem nichts auf die Reihe bekommen.
PS.: Man sollte übrigens Herrn Rach mal sagen, dss er nicht immer diese auffälligen Hemden tragen sollte, dann würden die unlogischen Zusammenschnitte weniger auffallen.
Wie bei allen Sendungen dieser...
Wie bei allen Sendungen dieser Art muss man natürlich nach der Motivation fragen um sie zu verstehen. Was will also Rach, was will RTL, warum machen sie das? Ganz grob vereinfacht: Rach will im Fernsehen sein, RTL will Fernsehen machen. Es geht um Unterhaltung, bzw. was sie dafür halten. Wollten Rach und RTL tatsächlich „helfen“, dann gäbe es etliche grandiose Wege und Möglichkeiten, hilfsbedürftigen Menschen wirklich zu helfen (oder „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten) ohne sie dabei öffentlich vorzuführen und ihnen somit eher zu schaden.
Ich finde Rach als...
Ich finde Rach als „Restauranttester“ grossartig – gerade weil er die Leute m.E. nicht blossstellt. Sollte ich ihm als Leiter der „Restaurantschule“ also eine Chance geben?