Seit Anfang Mai hat der SWR seinem Digitalsender Einsplus eine Jugendleiste ins Abendprogramm gezimmert, die da jetzt hängt wie ein ins Seniorenheim eingezogener Skateboarder, weil Einsplus außenrum weiterhin Spitzenfernsehen wie das „ARD-Buffet“, „Kochen mit Martina und Moritz“ und „Ratgeber Reise“ wiederholt, um seine Sendelizenz als Servicekanal zu behalten (mehr dazu steht an dieser Stelle).
„Ab jetzt jeden Abend Fernsehen für Dich!“, verspricht Einsplus. Das Fernsehblog stellt die neu gestarteten Fremdkörper vor.
„Quiz@Home“
„Ich habe genau 25 Sekunden, um diesen Moderationsgang mit Text zu füllen, was ich hiermit tue“, sagt Pierre M. Krause während seines Moderationsgangs über die Straße zur nächsten Haustürklingel, die er betätigen wird, um von einer Wohngemeinschaft in einer süddeutschen Metropole (München, Augsburg – bald auch Baden Baden?) geöffnet zu kriegen und den Bewohnern ein paar Fragen zu stellen, während er in ihren Sachen herumschnüffelt und der Kameramann im engen Bad in die Wanne steigt. Gewonnen wird Bargeld, aber das irgendwie nur mittelwichtig bei dieser schönen Mischung aus [hier beliebige Quizshow einsetzen] und „Perfektem Dinner“ ohne Kochen – wobei die Gewinnsumme bis zu 1000 Euro gerne mal den Wert der kompletten Wohnungseinrichtung übersteigt. Der Nachbarsjoker sorgt für wilde Kamerajagden durch Treppenhäuser, manchmal wird die Unterstützung von Passanten auf der Straße mit selbstgebackenem Kuchen erkauft, und der vergessene Haustürschlüssel ist halb so schlimm, weil mit einer korrekt beantworteten Frage auch der Schlüsseldienst bezahlt ist. Krauses Schabernackantrieb läuft mal wieder auf Hochtouren: „Herzlich willkommen bei euch zuhause“, sagt er, und: „Nehmt doch bitte Platz an eurem Tisch“, zum Schluss: „Wenn’s Spaß gemacht hat: Mein Name ist Pierre M. Krause. Wenn nicht: Johannes B. Kerner.“
„Quiz@Home“ ist eine schöne kleine Show, die ihr Publikum ganz altmodisch unterhalten will. Dass auch die Beteiligten einen Riesenspaß dabei haben, trägt erheblich dazu bei. Note: Zweiplus.
„Klub Konkret“
Gott sei Dank ist Sommer, die arme Franziska Storz muss nämlich für ihre Anmoderationen immer erst draußen auf der Straße rumstehen bevor das Kamerateam sie in die Kneipe lässt, um ein Helles zu bestellen, und dann noch eins für ihren Gesprächspartner im „Klub Konkret“. Die Idee ist gut: In lockerer Atmosphäre Themen besprechen, die junge Leute angehen. Blöd nur, dass dabei eine Art „Anne Will light“ mit jüngeren Gästen rausgekommen ist. „Mal ehrlich: Spürt ihr was von der Krise?“, fragt Storz in Folge 2 die Kamera und kriegt ein paar junge Leute dazu geschnitten, die im Spontaninterview sagen: nö. Dann sagt Storz den Unsinnssatz: „Diese Krise scheint sich hauptsächlich in den Wirtschaftsteilen der Tageszeitungen abzuspielen.“ (Ja, vielleicht wenn man beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeitet und in München wohnt.) Aber: halt! In diesem Griechenland und diesem Spanien geht’s den jungen Leuten nicht so gut, hat die Radiomoderatorin gehört. „Und die Frage ist: Wann geht’s uns an den Kragen?“
Wie bitte? DAS ist die Frage, die der Einsplus-„ReporTalk“ zur Krise hat? Und nicht vielleicht: Wie kriegen wir das wieder hin?
Nee, denn der „Wirtschaftsexperte“ vom Ifo-Institut, der drinnen in der Bar erst gar nicht näher vorgestellt wird, aber auch ein Helles kriegt, ist sich mit Storz einig, dass man sowieso nix gegen die Krise machen kann: „Man kann nur hoffen“, lautet sein Fazit (Video ansehen). (Ist aber Unfug, man kann natürlich: sich eine Meinung bilden, bloggen, wählen gehen, selbst Politik versuchen etc.)
Um zu diesem niederschmetternden Schluss zu kommen, braucht „Klub Konkret“ eine halbe Stunde. Und wer schon die erste Ausgabe gesehen hat, der weiß: Die Ergebnislosigkeit scheint leider System zu haben. Die meiste Zeit geht fürs Umrühren des Spekulationssüppchens drauf, das Storz aufgesetzt hat, weil sie sich einfach nicht damit abfinden mag, dass ihr der Experte nicht genau sagen kann, wann denn nun „bei uns“ alles in die Luft geht, also das „Wurst-Case-Szenario“ (das sagt sie echt!). Der Experte prognostiziert bloß lau: „Es kann durchaus sein, dass morgen, übermorgen, oder in einem Jahr oder in zwei Jahren, wenn die Krise noch ungelöst ist, dass sie dann auch nach Deutschland kommt.“
Wenn Daniel Bröckerhoff zwischendurch als „Klub Konkret“-Reporter unterwegs ist, in Spanien junge Leute trifft, die ihm von der Krise erzählen, und (für die nächste Folge) versucht, bei einer Demo mit Nazis ins Gespräch zu kommen, ist das viel interessanter als das lauwarme Kneipenkonsensgelaber, das auch noch von unnützen Spielchen unterbrochen wird. Die Redaktion will große Themen anpacken – soll sie auch! Aber dann mit mehr Gästen, mehr Streit, mehr Meinung – und weniger Glaskugelblicken. Note: Dreiplus. (Bitte trotzdem einschalten und ansehen, das wird sicher noch. Bald ja auch mit Flipchart. Und es gibt eine eigene Website, die viel übersichtlicher ist als die Navigationsunverschämtheit einsplus.de.)
„Mission mittendrin“
Steffen König muss seine Ängste überwinden, und dummerweise hat ihm jemand gesagt, dass er das im Fernsehen erledigen soll: Stuntman werden, Surfer werden, Obdachloser werden (Videos asnehen). Mit seinem Selbstversuchkonzept schrammt „Mission mittendrin“ haarscharf an dem vorbei, was RTL 2 schon vor sieben Jahren gemacht hat, und streift dabei leicht die ganz schöne ZDFneo-Dokureihe „Herr Eppert sucht…“. Bloß: wozu? Note: Vierplus.
„Waschen. Schneiden. Reden“
Leute, die mit 20 heiraten, sind dumm. Früher, als man noch nicht arbeiten musste, konnte man sich öfter besaufen. „Diamond Drops“ ins Haar sind voll schön. Und vom SWR-Stützpunkt aus gesehen ist der Prenzlauer Berg in Berlin noch ein – gnihihi – „Szeneviertel“. Solcherlei Erkenntnisse eröffnen sich dem Zuschauer der „jungen Dokuserie“, mit der Einsplus die Kundengespräche von drei sehr unterschiedlichen Friseuren aus Berlin, Bühl und Mannheim – ähm: dokumentiert (Video ansehen). Und zwar natürlich an der „Schnittstelle von Schein und Sein“. Einer redet außer übers wilde Leben auch über die „Lockenstruktur im Oberkopfbereich“, nennt junge Frauen „Schatzerl-Spatzerl“, bringt Haarverlängerungen im metallenen Silberkoffer, findet alles „perfekt“ und möchte nur eins: „Ich möchte, dass du einzigartig aussiehst.“ Die anderen beiden sind zwar (auf sehr unterschiedliche Art) weniger nervtötend. Innerhalb einer halben Stunden türmen sich aber so viele tiefgründig gemeinte Oberflächlichkeiten auf, dass „Waschen. Schneiden. Reden“ nur schwer durchzuhalten ist. Authentisch soll’s sein. Überflüssig ist’s geworden. Note: Fünfminus.
„Reload“
Wer gerne Computer- und Videospiele spielt und es erträgt, dass die ganz ordentlichen Hintergrundberichte von peinlichen Moderationen unterbrochen werden, der ist hier richtig (Video ansehen). Note: Zweiminus.
„Beatzz“
Irgendwer hat Sandra Jozipovic in einem alten Fabrikgebäude ausgesetzt, ihr zum Trost ein Sofa reingestellt, total provokativ „Fick“ an die Wand gesprüht und sie gezwungen, bei ihren Moderationen ständig an der Kamera vorbeizuschauen, weil das wahrscheinlich besonders lässig aussieht (fettes Video ansehen). Und immer wenn öffentlich-rechtliches Fernsehen besonders lässig zu sein versucht, ist es ja bekanntlich auch besonders gut. Also sagt Jozipovic: „Bei uns gibt’s heute ’n paar Künstler, die scheißen auf den ganzen Magerwahn und sind fett im Geschäft.“ Mal abgesehen davon, dass sie damit eine „Top 5“ dicker Popstars ankündigt: Ist das echt euer Humor, Teenager? Ist das echt eure Sprache? Mannomann – oder wie ihr sagen würdet: endkrass.
Oder „Beatzz“ ist einfach nur ein riesiges Missverständnis: ein Musikmagazin, das Eminem, Lady Gaga und Rihanna porträtiert, sichtlich gelangweilte Musiker zum „Pop-Quiz“ zwingt, Bushido disst (anstatt ihn einfach zu ignorieren) und seine „News“ von irgendwelchen Promiseiten im Internet abschreibt: Jay-Z liebt seine Tochter, hätten Sie’s gewusst? In ihren „Interviews“ bohrt Jozipovics bei den Künstlern nach: „Man muss für so’n Album ja erst mal den Vibe finden – wie lange hat das gedauert?“ Und: „Raucht ihr auch, wenn ihr eure Songs schreibt?“ Und: „Ist das eigentlich so, dass man jetzt bei ’ner Frau das sofort sieht, wenn die was von einem will, an den Augen?“
In diesem Kinderkosmos sind „Realness“ und „Credibility“ irre wichtig, Aktualität eher nicht. Denn man sieht der ganzen Sendung an, dass sie für sehr wenig Geld so zeitlos wie möglich produziert werden musste. Für ein Musikmagazin ist das der Tod. Und für „Beatzz“ auch kein Vorteil. Note: Vierminus.
Voll unfair, das Zeugnis? Alternativbenotung erwünscht: Die Kommentarspalte ist geöffnet!
Screenshots: Einsplus
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