Es gehört zu den anspruchsvolleren Aufgaben dieser Europameisterschaft, als Zuschauer vor dem Fernseher einen ganzen Abend das verkorkste „EM-Studio“ des ZDF am so genannten „Fußball-Strand“ durchzuhalten, ohne dabei immer wieder in Schnappatmung zu verfallen – wegen des albernen Sendeorts auf einem künstlichen Usedomer Strandzipfel mit der sehr leeren Ostsee dahinter (anstatt wie die ARD: mit dem vollen Stadion im Rücken); wegen der Seniorenverwahrung auf nicht altersgerechten Liegestühlen am Strand davor; wegen der Clownhaftigkeit der beiden Moderatoren, die wie kleine Kinder zu glucksen anfangen, wenn wieder die Internet-Erklärtrulla vorbeischaut; wegen der sensationell schlechten „EM-Splitter“, die die Ereignisse des Tages auflockern sollen, aber besser in die Tonne gehört hätten als ins Programm.
Fast genauso schwer ist es, über all das zu schreiben, ohne sich dabei vollständig vom Zynismus überrumpeln zu lassen. (Obwohl das, wie die „Hamburger Morgenpost“ diese Woche bewiesen hat, ganz gut tun kann.) Besser ist’s, man bleibt ganz nah dran am Geschehen, so wie die Kollegen von „Zeit Online“, die den Dialog rund um Oliver Kahns erstmalige Live-Twitterbenutzung mit jedem einzelnen Stotterer erfasst haben.
Das Fernsehblog schließt sich dieser dokumentarischen Aufarbeitung der Ereignisse an: mit sämtlichen Fragen, die ZDF-Reporter nach dem gewonnenen Vorrundenspiel der deutschen Nationalelf gegen Holland am Mittwochabend an Trainer und Spieler gestellt haben. (In chronologischer Reihenfolge.) Weil dann ein für allemal klar ist, warum Fußballer manchmal so doofe Antworten geben: Die Journalisten lassen ihnen keine andere Wahl.
* * *
Jochen Breyer an Mario Gomez:
„Wie sehr mussten Sie zum Schluss noch mitzittern, als Sie ausgewechselt wurden?“
„War das zumindest phasenweise die Rückkehr der deutschen Leichtigkeit im deutschen Team?“
„Sie haben heute zwei wunderbare Tore geschossen. Nach ihrem Tor gegen Portugal wurden Sie trotzdem kritisiert. War das ’ne Art Motivationsspritze?“
„Man hatte aber bei beiden Toren sehr das Gefühl, dass Sie vor Selbstbewusstsein strotzen. Wie sehr hat dieses Tor gegen Portugal denn noch Auftrieb gegeben die letzten Tage?“
„Die Mannschaft hat jetzt einen sehr, sehr großen Schritt in Richtung Viertelfinale gemacht. Hat sie sich auch’n bisschen in die Favoritenrolle bei dieser Europameisterschaft nun endgültig gespielt?“
Boris Büchler an Jérôme Boateng:
„Jérôme Boateng. Zunächst einmal Glückwunsch zum Sieg. Was waren so die wichtigsten Aspekte bei diesem verdienten Sieg aus Ihrer Sicht in der Abwehr?“
„Wo ist denn so die richtige Freude? Die verbergen Sie ja richtig!“
„Sie sind für das nächste Gruppenspiel gesperrt. Wie bitter ist das für Sie persönlich?“
Boris Büchler an Bastian Schweinsteiger:
„Bastian Schweinsteiger. Trinkt noch’n Schlückchen. Zunächst einmal: Glückwunsch, verdienter Sieg gegen Holland. Gegen Portugal hat man gesagt: Das war Ergebnisfußball. War das heute schon wieder ein Hauch – Erlebnisfußball?“
„Sie haben zweimal aufgelegt für Gomez, zwei Torvorlagen nach der Kritik nach dem ersten Spiel. Hätten sich noch’n bisschen zurückgehalten. War das jetzt wieder Bastian Schweinsteiger, so wie Sie sich das auch selber vorstellen?“
[Tolle Antwort von Schweinsteiger übrigens: „Nein, das war auch Schweinsteiger im ersten Spiel.“]
„Welchen Energieschub kann ein solcher Sieg auslösen mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf?“
Michael Steinbrecher an Jogi Löw:
„Ja, und wir sagen natürlich erstmal: Gratulation – 2:1-Sieg gegen Holland, zweiter Sieg im zweiten Spiel – ist ja nicht selbstverständlich. War das heute ein heißes Spiel – in jeder Hinsicht?“
„Ich hab gerade gesehen: hier, einfach ’nen Gang weiter, haben Sie jeden Spieler nochmal abgeklatscht bevor er in die Kabine gegangen ist, umarmt. So’n Sieg gegen Holland: ist das schon was Besonderes?“
„Zweimal Vorlage Schweinsteiger, zweimal Torschütze Gomez: Sagen Sie uns doch, was hier besonders gut funktioniert hat.“
[Eine Strategiefrage! Später kommt noch eine, nur andersherum: „Stellvertretend für das, was noch nicht so geklappt hat, schauen wir uns mal das 1:2 an. Was hat da nicht funktioniert?“]
„Gomez jetzt nicht nur mit 3 Toren hier, das ist ja kein Zufall. Er hat in den letzten 12 Länderspielen 11 Tore gemacht. Zahlt man so Vertrauen zurück?“
„Bastian Schweinsteiger hat gestern noch gesagt: Ich glaub, dass ich wieder in Topform komm‘, aber ich kann nicht sagen, wie lange es dauert. Wie nah war er heute schon wieder dran?“
„Wenn wir jetzt nach vorne schauen, Sonntag das Spiel gegen Dänemark – noch nicht weiter, aber natürlich ’ne glänzende Ausgangsposition. Wie wichtig ist Ihnen jetzt der Gruppensieg?“
„Wie zufrieden waren Sie, jetzt noch mal abschließend, mit der Defensive? Wir haben jetzt viel über die Offensive gesprochen. Wie zufrieden waren Sie insgesamt?“
„Zum Schluss noch eine kleine Beobachtung: Wir sehen einen Balljungen, der hat einen Ball in der Hand. Aber nicht mehr lange. [Im Ausschnitt schlägt Löw dem Jungen den Ball aus der Hand, beide grinsen sich an; Nachtrag: siehe dazu auch stern.de.] Waren Sie heute besonders gut drauf?“
„Gratulation nochmal zu dem Sieg.“
Boris Büchler an Philipp Lahm:
„Der Kapitän. Philipp Lahm. Zunächst einmal: Gratulation! Warum wurde aus dem dominanten Spiel der deutschen Mannschaft noch so’n Zittersieg?“
„Ihr Bayernkollege Mario Gomez hat zweimal getroffen. Inwieweit hat das jetzt schon märchenhafte Züge für ihn?“
Boris Büchler an Rafael van der Vaart (1. Versuch):
„Rafael van der Vaart. Es gibt sicher viele Gründe für die Niederla… – ja, sehr gut, ich wart noch mal’n Moment. Ich wollt‘ schon Niederlande sagen anstatt Niederlage. Das ist so ähnlich. Wir müssen zehn, fünf Sekunden warten, dann sind wir drauf.“
Boris Büchler an Rafael van der Vaart (2. Versuch):
„Rafael van der Vaart. Es gibt sicher viele Gründe für die Niederlage. Nennen Sie uns die wichtigsten.“
„Was bedeutet das jetzt für das letzte Gruppenspiel für Holland? Kann man sich da noch mal für motivieren oder hat man die EM schon abgehakt?“
Michael Steinbrecher an Manuel Neuer:
„Erstmal Gratulation zum 2:1, Manuel Neuer. Der Bundestrainer hat jeden einzeln begrüßt in der Kabine. Sie sind jetzt schon frisch geduscht. Wie feiert man so einen Sieg in der Kabine?“
„Also richtig Partystimmung, kann man sagen?“
„Worauf mussten Sie heute besonders achten und was hat gut geklappt?“
„Sie haben ja die Leidenszeit von Bastian Schweinsteiger in den letzten Wochen und Monaten miterlebt: verletzt, rangekämpft, wieder verletzt, wieder rangekämpft. Jetzt hat er gestern noch gesagt: ja, ich weiß, ich kann besser Fußball spielen, und ich will auch noch besser spielen, ich komm dahin, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert…“
[La Ola für die Frage bitte.]
„…wie sehr freuen Sie sich, dass er doch jetzt besser reinkommt?“
„Gratulation, Manuel Neuer.“
Boris Büchler an Mats Hummels:
„Mats Hummels. Sie leben Ihren Traum. Ihre erste EM. Wie groß ist das Abenteuer, wie groß ist die Abenteuerlust, hier jede Minute zu inhalieren in diesem Turnier?“
„Kurz nach der Halbzeit hatten Sie sogar noch ’ne Torchance. Welche SMS von Kloppo hätten Sie denn bekommen, wenn Sie sogar noch’n Tor gemacht hätten?“
„Danke schön. Nochmal Glückwunsch.“
Screenshot: ZDF
Das gefällt Ihnen? Das Fernsehblog gibt’s auch bei Facebook und Google+.
nun ja, was soll man denn auch...
nun ja, was soll man denn auch fragen als reporter??? und mal ehrlich,, so nett der mopo artikel (der auch in tz münchen erschien) ist, „einmal flut und alles wäre gut“ is klar.. an der ostsee, wo es kaum bemerkbare gezeiten gibt. finde ich kaum besser als „mario klose“…
spaß macht mir das zdf auch nicht wirklich. aber wer diese diskussionen liest könnre meinen, es gäbe in deutschland nur ein programm und das wäre auch noch mit nem sehzwang behaftet.
langsam fangen diese kommentare n zu nerven – noch mehr als kmh und ihr olli…
@ forlan: Zitat: "...was soll...
@ forlan: Zitat: „…was soll man denn auch fragen als reporter???…“
Die kriegen da GELD für, IHR Geld! Das ist deren Vollzeitjob! Da können die sich doch wohl man hinsetzen und sich ein paar Fragen – jawohl vorab – für bestimmte Situationen ausdenken!
Andererseits, das scheint ja Senderpolitik zu sein (siehe vorige Kommentare) – um so schlimmer! Aber die ÖR haben ja seit längerem einen an der Waffel!
(5 Talkshows in der Woche, Privatfernsehen schlecht kopieren, auf Werbung bestehen, gute Serien/Dokus in der Nacht senden etc…)
Ich hätte nicht gedacht, dass...
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal freiwillig auf ORF Fussball schaue – aber dieses Fussball-Strand-Gestammel ist unterirdisch. Fussball im Fernsehgarten-Format. Man wartet nur noch drauf, dass Herrn Kahn „Fußball ist unser Leben“ auf der Seebühne zum Besten gibt… Ich will sowas nie wieder sehen!!!
Das Ganze ist ja kein...
Das Ganze ist ja kein Phänomen, das sich auf die Interviews am Spielfeldrand beschränkt. Die offiziellen PKs vor und nach den Partien sind ähnlich erkenntnisreich.
Wie es gehen kann, zeigen die Holländer. Dort spricht man oft über Taktisches, wie sich Umstellungen nach Auswechslungen auswirkten usw usf. In den PKs entstehen dadurch sehr interessante Debatten.
@ Thomas
Ja genau, man...
@ Thomas
Ja genau, man müsste eigentlich sagen „über diese doofe Frage sollte ich jetzt eine Million Jahre brüten, und Ihnen dann antworten : 42!“