Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Tierdoku im Ersten: Wie man einen Lippenbären beim Nickerchen filmt

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Seit Jahren reisen Oliver Goetzl und Ivo Nörenberg quer durch die Welt, um Tierdokumentationen fürs Fernsehen zu drehen. Das Fernsehblog verrät, wie ihr Film über Lippenbären in Indien entstanden ist, den die ARD am Montagabend in der Reihe "Erlebnis Erde" zeigt – und wie Goetzl ein Bärenschubser beim Dreh das Leben rettete.

Es muss wohl gerade Mittagsschlafzeit gewesen sein, als Oliver Goetzl auf die Idee kam, in die Höhle zu steigen, um dort die Kamera neu zu justieren. Jedenfalls hatten sich der indische Fahrer und die Ranger draußen gerade mal für ein Nickerchen hingelegt; und der Höhlenbewohner kam, angesichts der heißen Mittagssonne, auf dieselbe Idee. Die Felsenlücke hatte zwei Eingänge. Einen, um aufrecht reinzugehen. „Den nahm ich“, erinnert sich Goetzl. Und einen, zu dem man erst hochklettern musste, um durchzukriechen. „Den nahm leider der Bär.“

Während Goetzl also mit dem Rücken zum Zweiteingang an der Kamera schraubte, kletterte hinter ihm der Lippenbär in Richtung Schlafplatz – und war ziemlich überrascht, nicht alleine zu sein. „Er griff sofort mit lautem Gebrüll an und aus Reflex bellte und brüllte ich zurück und schrie dabei wohl dermaßen, dass ich einen Überraschungseffekt von einem Bruchteil einer Sekunde hatte.“ In der gelang es Goetzl, den Bären mit aller Kraft aus der Höhle zu schubsen, woraufhin das Tier erstmal verdutzt davon lief. Ein paar hundert Meter weiter in seinem Bambusversteck hatte Goetzls Kollege die ganze Szene nur über Kopfhörer mitbekommen und war heilfroh, als nach ein paar Minuten per Walkie Talkie die Entwarnung kam: nichts passiert.

Dem Bären übrigens auch nicht. Eine Dreiviertelstunde später kam das Tier zurück zu seinem Platz, machte es sich auf den Steinen gemütlich und schlief in aller Ruhe ein. Direkt vor der Kamera.

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Von der brenzligen Begegnung ist im Film „Held aus dem Dschungelbuch: Der Lippenbär“, den das Erste am Montagabend in seiner Reihe „Erlebnis Erde“ zeigt, freilich nichts zu sehen. Schließlich geht’s darum, zum ersten Mal ausführlich die Lebensweise der zotteligen Graslandbewohner zu zeigen: Wie sie Ameisenhaufen ausschlürfen, Junge aufziehen, sich mit großer Hingabe kratzen und schubbern und, nun ja: Mittagsschläfchen halten. Dabei sind die Bedingungen, unter denen dieser und andere Filme entstehen, mindestens genauso spannend.

Sieben Mal ist Oliver Goetzl in den vergangenen Jahren mit seinem Kollegen, dem Kameramann Ivo Nörenberg, nach Südindien gereist, um dort Lippenbären zu drehen. „Dabei fiel uns dieses eine Männchen, den wir natürlich ‚Balu‘ nannten, besonders auf: Er zeigte etwas weniger Scheu als die anderen Lippenbären des Drehgebietes. Dann achtet man besonders auf dessen Gewohnheiten, Lieblingsplätze, Futterbäume und platziert dort seine Drehverstecke und Kameras, um ihm möglichst ’näher‘ zu kommen und filmisch seine Eigenheiten zu skizzieren“, erklärt der 43-jährige Tierfilmer.

Den Schlafplatz in der Höhle haben die beiden im Sommer 2009 entdeckt und sich vorgenommen, dort beim nächsten Mal versteckte Kameras aufzustellen. „Das Gefühl, was man hat, wenn sich dann tatsächlich der Bär zum ersten Mal im Bildzentrum zum Schlafen platziert, kann man einfach nicht beschreiben: Das ist ein Glück sondergleichen.“

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Goetzl (auf dem Foto rechts) und Nörenberg gehören seit Jahren zu den etabliertesten Tierfilmern Deutschlands, arbeiten regelmäßig für die Tierfilm-Spezialisten von NDR Naturfilm (Studio Hamburg DocLights) und drehen auch für Auftraggeber im Ausland. Ihr Film über die Lippenbären lief im April bereits zur Hauptsendezeit in der BBC, erzählt von David Attenborough und mit anschließendem Making-of. Das gelingt sonst nicht so vielen deutschen Dokufilmern mit ihrer Arbeit.

Kennengelernt haben sich die beiden Mitte der 80er als Teenager in einer Umweltschutzgruppe. Nörenberg wurde später Fotograf und arbeitete als Kameraassistent; Goetzl studierte Biologie mit Schwerpunkt Zoologie und saß gerade an seiner Diplomarbeit, als der Anruf kam: Nörenberg fragte, ob er zu seinem ersten eigenen Drehauftrag mitkommen wollte. Der NDR wollte für einen Film über Masuren unbedingt Aufnahmen von Wisenten im Schneesturm haben. Zwei Tage später ging’s los. Der Dreh war so erfolgreich, dass gleich der nächste Auftrag folgte und Goetzl erstmal seine Diplomarbeit beim Prüfungsamt unterbrechen musste.

2004 gründeten die beiden ihre eigene Produktionsfirma Gulo Film Productions – benannt nach dem Vielfraß (Gulo gulo), über den die erste Dokumentation entstand: „Wolverines – Hyenas of the North“. Seitdem arbeiten Goetzl und Nörenberg als selbstständige Tierfilmer und reisen quer durch die Welt, um die Bilder zu drehen, die wir nachher im Fernsehen sehen.

Zwei bis drei Jahre dauert es, bis allein ein Film fertig ist, ohne die Vorrecherchen von Naturliebhabern oder Wissenschaftlern im jeweiligen Drehgebiet noch länger. Aber so spannend der Arbeitsalltag des Duos auch klingt: Tauschen möchte man vielleicht besser nicht – oder: besser nur mal für ein, zwei Wochen. Und vielleicht nicht genau dann, wenn der Auftrag wieder lautet, bei Niedrigtemperaturen in Finnland und Schweden kämpfende Birkhühner und sich mit Bären kabbelnde Wölfe zu filmen, wie vor ein paar Jahren für die ARD-Reihe „Wildes Skandinavien“.

Die Jury des Tierfilmfestivals Wildscreen in Bristol hat die Finnland-Episode gerade in der Rubrik „Beste Kamera“ nominiert. (Und den Lippenbären-Film für „Beste Verhaltensaufnahmen“ und „Besten Ton“).

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Im Frühjahr waren Goetzl und Nörenberg für die neue Reihe „America’s National Wonders“ im Yellowstone Nationalpark unterwegs. (In dieser Zeit fand auch die Email-Unterhaltung für diesen Text statt, weil Telefonieren nur schwer möglich war.) Die Arbeit dort sei allerdings „nicht repräsentativ“, sagt Goetzl. „Die Parkregularien sind hier sehr strikt, man darf sich den Tieren nicht mehr als 100 Meter nähern und diverse Kameras – wie unsere ferngesteuerten Systeme – nicht so einsetzen, wie wir uns das wünschen würden. Es ist daher vielleicht unsere größte Herausforderung als Tierfilmer, hier einen tollen Film zu machen.“

Arbeitsbeginn war morgens um 5 Uhr. „Damit wir bei Lichtbeginn die Chance haben, zum Beispiel an einem Kadaver auf Wölfe oder Bären warten zu können.“ Gedreht wird dann bis abends um 8 Uhr. „Dann noch etwa eine Stunde zurückfahren zur Hütte oder zum Zelt, das Videomaterial des Tages auf eine sichere Festplatte laden, vielleicht noch Kameras reparieren, kochen. Und schließlich geht’s in den Schlafsack.“ Den Ruf zum Feierabend übernehme optimalerweise das schwindende Licht, manchmal auch eine versagende Kamera, das Ende einer Batterie – „oder aber auch mal mieses Wetter oder miese Stimmung“, sagt Goetzl.

Geht man sich denn nie auf den Keks, wenn man permanent zusammen in der Wildnis sitzt und kaum was anderes hat als die Arbeit?

„Klar, wir beide sind grundverschieden, da gibt es schon mal Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Betrachtungsweisen. Geduldig sind wir beide, doch manchmal nicht unbedingt mit dem anderen, falls der eine Situation anders einschätzt, als man selbst: Dann setzt es manchmal ein ‚Warum hast du denn…‘ oder ein ‚Warum hast du nicht…‘ und die ausgedrückte Zahnpastatube könnte – wie im richtigen Leben – auch mal das Fass zum Überlaufen bringen. Hey, wir sind auch nur normale Menschen!“

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Eine große Schwierigkeit ist, dass die Arbeit immer wieder von unkalkulierbaren Faktoren abhängt: So einem wilden Tier lässt sich meistens nicht so gut vorsagen, dass es sich filmenswert verhalten soll, wenn die Kamera gerade läuft. Noch viel mehr Zeit geht allerdings dafür drauf, sich Drehgenehmigungen bei Behörden zu angeln, sagt Goetzl. „Natürlich möchte ein Nationalpark wie Yellowstone nicht, dass Millionen Besucher im Sommer auf 50 Meter eine Wolfshöhle ’stalken‘. Daher wird auch uns Profis dergleichen verboten, obwohl wir sicher ganz anders vorgehen würden, um die Tiere nicht zu stören.“

Manchmal werde völlig willkürlich entschieden. „In Indien erwartet man von westlichen Fernsehteams gerne auch mal ein Handgeld unter dem Tisch. So etwas kommt für uns aber niemals in Frage, denn damit würden wir ja ein System manifestieren und für andere Teams ähnliche Probleme schaffen.“ Deshalb dauert die Überzeugungsarbeit manchmal sehr lange. „Doch meistens kommt man mit Geduld und sympathischem Auftreten früher oder später weiter, besonders wenn man argumentiert, mit seinem Film einen Beitrag zur Erhaltung des Lebensraumes und der Tierart leisten zu wollen.“

Ist die Genehmigung denn dann mal da, geht es darum, den Tieren so wenig wie möglich in die Quere zu kommen. Und das bedeutet: sich besonders gut zu verstecken. Im nächsten Blogeintrag erzählt Goetzl, wie das geht.

Der Film „Held aus dem Dschungelbuch: Der Lippenbär“ läuft am Montagabend um 20.15 Uhr im Ersten.

Noch mehr über die Arbeitsbedingungen der Tierfilmer steht auf journalist.de.

Fotos: NDR/Gulo Film Productions/NDR Naturfilm

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2 Lesermeinungen

  1. Petra sagt:

    Schon GEZahlt?
    Dafür zahle...

    Schon GEZahlt?
    Dafür zahle ich gern.

  2. nona sagt:

    Dafür zahle ich auch gerne....
    Dafür zahle ich auch gerne. Weniger gerne zahle ich für vermeintliche Tier-, Natur- und sonstige Dokumentationen, die tatsächlich mehr der affektierten Selbstdarstellung des präsentierenden Moderatorendarstellers dienen, an denen als solche leider exakt garnichts interessant oder gehaltvoll ist. Insbesondere im ZDF gibt’s da einige ärgerliche Härtefälle.

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