Das Fernsehblog

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Von wegen sterbendes Medium: 225 Minuten sieht jeder von uns im Schnitt täglich fern. In diesem Blog stehen die Gründe dafür. Und die dagegen.

Schwitz, aber riech nicht! Die Tarn-Tricks der Tierfilmer

Ein guter Tierfilmer muss vor allem eines können: so tun als sei er nicht da. Dafür braucht es mindestens ein gut getarntes Versteck, manchmal auch eine Colaflasche als Objektivattrappe oder einen seltsamen Tarnanzug, in dem man aussieht wie eine Mischung aus Sumpfmonster und Baum. Tierfilm-Experte Oliver Goetzl erklärt, wie er sich – fast – unsichtbar macht.

Oliver Goetzl und Ivo Nörenberg gehören seit Jahren zu den etabliertesten Tierfilmern Deutschlands. Am Montagabend lief ihr Film „Held aus dem Dschungelbuch: Der Lippenbär“ im Ersten (und ist jetzt in der Mediathek ansehbar). Fürs Fernsehblog erklärt Goetzl, wie die Arbeit in der Wildnis funktioniert. Falls Sie den ersten Teil noch nicht gelesen haben: bitte hier entlang.

Zu den wichtigsten Bedingungen eines Drehs gehört es, den wilden Tieren so wenig wie möglich in die Quere zu kommen – weil sie sich sonst gar nicht erst in die Nähe trauen. Dafür gibt es ein paar Regeln:

1. Sieh bloß nicht nach Mensch aus!

„Wichtig ist, dass die äußere Gestalt, die Form des Menschen, bei der Tarnung aufgebrochen wird“, erklärt Goetzl. „Für die meisten Tiere ist der Mensch der Feind Nummer 1. Da haben wir weltweit über die Jagd und sonstige Nachstellungen gründliche Arbeit geleistet.“ Die weißen Wölfen in der kanadischen Arktis hätten außerhalb von Inuit-Gebieten meist überhaupt keine Scheu und würden sich sogar bis auf wenige Meter nähern, ganz ohne Tarnung. „Hierzulande gelingt dies nur mit dem tollwütigen Fuchs.“ Die meisten anderen Tiere sind weg, wenn sich etwas nähert, das nach Mensch aussieht.

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2. Pass dich deiner Umgebung an!

Den bunten Wollpulli lässt man als Tierfilmer besser zuhause, weil grelle Farben als Signal im Tierreich eher mit Gefahr und Abschreckung verbunden sind. Besser sind Farbtöne, die sich der Umgebung anpassen, das ist klar. Sich einfach in den Wald zu setzen, geht natürlich auch nicht. Deshalb werden richtige Unterschlüpfe gebaut. „Idealerweise nimmt man natürliche Formen, die sich irgendwo anschmiegen, doch geht letztlich auch der Holzkasten, wenn er sich denn nicht bewegt oder Geräusche macht“, sagt Goetzl. (Vielleicht haben Sie’s gesehen: Für den Lippenbär-Film kam das im ersten Blogeintrag erwähnte Bambusversteck zum Einsatz, dessen Grundkonstruktion ein bisschen so aussieht als hätten Goetzl und Nörenberg zuvor die Sichtschutzwandabteilung im Baumarkt geplündert.) Meist stehen die Verstecke schon ein paar Tage vor Drehbeginn, damit sich die Tiere dran gewöhnen können, als Linsenattrappe kommt eine Colaflasche in die Objektivaussparung. „Das ist vor allem bei Rabenvögeln sehr wichtig“, sagt Goetzl.

3. Schwitz, aber riech nicht!

Um sich bestimmten Tieren (Elchen zum Beispiel) zu nähern, sieht man besser nicht nur nicht aus wie ein Mensch, sondern riecht auch nicht so. Dafür gibt es die „Scent-Lock Ghillie Suits“: spezielle Tarnanzüge mit Kohlebeschichtung, die den Körpergeruch eindämmen und denjenigen, der drinsteckt, wie eine Mischung aus Baum und Sumpfmonster aussehen lassen. Goetzl sagt: „Das ist so warm, dass man es nicht lange darin aushält – schon gar nicht in Indien. Außerdem sieht man damit aus wie ein Terrorist und ich möchte nicht irgendwo von einem Ranger, Polizisten oder Oberförster erschossen werden.“ Noch ein Problem ist: In Kombination mit einem nachgemachten Elchruf, den Goetzl perfekt beherrscht, funktionieren die Anzüge so gut, dass die Tiere manchmal näher kommen als es einem lieb sein kann. (Tolle Bilder dazu gibt’s im Making-of z.B. auf der DVD „Wildes Skandinavien“.)

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* * *

Das beste Versteck für den Dreh ist natürlich: weit, weit weg von der Kamera – die sich dann fernsteuern lässt. Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Schlechter vor allem dann, wenn das aufgenommene Tier sich angesichts der merkwürdigen Apparatur eine potenzielle Karriere als Dokumentarfilmbär überlegt. In Indien hat sich ein Lippenbär-Junges in der Höhle mit leichter Betatzung und einigen Schleckproben zufrieden gegeben; ein Dreh für „Wildes Skandinavien“ ist jedoch nicht so glimpflich ausgegangen – für die Kamera. Die wurde von den Filmern zwar an einen Baum angebunden, um Bären beim Seerosentauchen aufzunehmen. Als die den Kasten aber entdeckt hatten, wurde er erst neugierig herumgeschubst und dann konsequent im eiskalten See versenkt.

Die Versicherung hat’s bezahlt, jedenfalls bis auf die 1500 Euro Selbstbeteiligung. „Kleinere Schäden an Geräten übernehmen wir eh immer selbst“, sagt Goetzl, weil bei zu vielen Schadensmeldungen die Prämien steigen.

Abgesehen davon, dass alles gut getarnt sein sollte und trocken bleiben muss, gibt es da noch ein Detail zu beachten: Die komplette Ausrüstung muss ja irgendwie auch an den Drehort geschafft werden, öfter mal auch an entlegene Orte. Das ist vor allem deshalb kompliziert, weil inzwischen immer ein kleiner Technikpark mitreist, um den Ansprüchen der Sender (und Zuschauer) zu genügen.

Goetzl und Nörenberg haben bei ihrer Arbeit eine Hauptkamera dabei (ARRI Alexa), eine Superzeitlupenkamera (Weisscam), drei ferngesteuerte Kameras im Metallkasten, eine „Lipstick-Kamera“ in Miniaturgröße, eine Making-of-Kamera, einen Kamerakran, ein Mini-Dolly für Kamerafahrten und ein Unterwassergehäuse dabei. „Der Transport ist natürlich ein Albtraum, vor allem beim Zoll. Da braucht man viel Glück und gute Papiere“, sagt Goetzl. „Vor Ort vertrauen wir meist den Leuten, mit denen wir zu tun haben. Bis auf einen Handy-Klau haben wir noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Große Alukisten mit Vorhängeschloss reichen meistens aus.“ Eher werde mal eine Tafel Schokolade stibitzt als ein Teil der Ausrüstung. Die Kameras sind sowieso mit Seriennummern ausgerüstet und für den Schwarzmarkt nicht so interessant.

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Wenn an den Drehort kein Auto fährt, wird ein Teil der Ausrüstung meist im Camp gelassen, der Rest andere auf den Rücken geschnallt – und losmarschiert. „Es sind oft nur wenige Kilometer, aber wir hatten auch schon mal 40 Kilometer Fußmarsch durch den Sumpfwald im Uralgebirge.“

Das Lieblingsfortbewegungsmittel des Duos scheint aber der Heißluftballon zu sein. Das liege vor allem an der Wackelfreiheit, durch die sich fantastische Luftaufnahmen machen lassen, sagt Goetzl. Mit einer speziellen Kamerastabilisierung am Helikopter (die die BBC zum Beispiel beim Mammutprojekt „Planet Earth“ eingesetzt hat) ginge das zwar auch. Aber erstens ist das sehr viel teurer. Und zweitens ist so ein Helikopter nicht unbedingt für seine Geräuscharmut bekannt, was sich aufs Filmen von scheuen Tieren eher negativ auswirkt.

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Das Problem am Ballon ist bloß: Er kommt manchmal auch dann runter, wenn die Leute, die drinsitzen, es gerade gar nicht gebrauchen können. Im Ural sind Goetzl und Nörenberg zum ersten Mal abgestürzt und Nörenberg hat sich dabei so heftig verletzt, dass man eigentlich annehmen müsste, er hätte seine Ballonfahrerkarriere danach ein für allemal an den Nagel gehängt. Hat er aber nicht. Beim nächsten Absturz über einem finnischen Nadelwald ist wegen des Brenners beinahe eine Tanne in Flammen aufgegangen. Und während des Drehs in Indien kamen die beiden mit ein paar Prellungen und Schürfwunden davon, was angesichts des knapp vermiedenen Zusammenstoßes mit einem riesigen Gesteinsbrocken als kleines Wunder gelten muss. Für den Dreh im Yellowstone-Park ist jetzt aber doch mal ein Hubschrauber gebucht: „Ein Ballonabsturz über einem kochenden Geysir wäre ja auch nicht die Lösung“, sagt Goetzl.

Inzwischen gibt es zwar auch fernsteuerbare Mini-Zeppeline, an denen die Kamera hängt. Und die Amerikaner sind im Einsatz unbemannter Dronen bekanntlich ziemlich – ähm: experimentierfreudig – nur halt nicht im eigenen Luftraum. Macht nichts, findet Goetzl: „Uns reicht da die Stabilisierung sowieso noch nicht aus und wir haben deshalb bisher darauf verzichtet.“

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Wenn Goetzl von all den Abstürzen und Fast-Unglücken erzählt, weiß man manchmal nicht so genau, ob die beiden die Gefährlichkeit der eigenen Arbeit nicht manchmal unterschätzen oder zuviel riskieren, um gute Bilder zu kriegen. Goetzl gibt zu: „Die Erfahrung eines Tierfilmers ist sein größtes Kapital aber auch sein größtes Manko in Hinblick auf Gefahren.“ Er bezieht das aber vor allem auf Konfrontationen mit gefährlichen Tieren. Die zu unterschätzen, sei der größte Fehler, den man machen könne – weil sie nun mal wild und nicht berechenbar sind. Oder einfach nur ein Mittagsschläfchen in ihrer Höhle machen wollen.

„Tierfilm ist unser beider Traumberuf. Es gibt nichts schöneres“, erklärt Oliver Goetzl die Einsatzbereitschaft des Duos. Offensichtlich gehört aber auch eine Riesenportion Glück dazu. Nicht nur, um die seltenen Aufnahmen zu kriegen, für die man nachher auf Filmfestivals nominiert wird; sondern auch, um heil wieder nachhause zu kommen.

Am Mittwochabend um 20.15 Uhr zeigt der NDR ein 45-minütiges Making-of mit dem Titel „Lippenbären – Abenteuer mit dem wahren Balu“. Die dazugehörige Dokumentation „Held aus dem Dschungelbuch“, für die Goetzl und Nörenberg mehrere Monate in Indien gefilmt haben, ist gerade in der Mediathek abrufbar. Am Montag war Goetzl außerdem im ARD-„Moma“ zu Gast.

Noch mehr über die Arbeitsbedingungen der Tierfilmer steht bei journalist.de.

Fotos: NDR/Gulo Film Productions/NDR Naturfilm

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