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Wie sich der SWR einen "Sommer der Innovationen" zurechtmopst

Wahrscheinlich haben Sie’s noch nicht bemerkt, aber im SWR ist gerade „Sommer der Innovationen“ mit lauter „hochkarätigen Neuproduktionen“. Deren hauptsächliche Kreativleistung besteht zwar in der Umdeklarierung anderswo abgeschauter Konzepte als „Programm-Offensive“. Aber das lässt sich dem bauchredenden Heinz-Erhardt-Imitator, der 17-Jährigen Alicia-Keys-Cover-Interpretin, den am Klavier herumturnenden Pianistinnen, dem Professor mit seinem Mandolinen-Chor und dem 1,95-Meter-Zauberer mit dem Seiltrick nun wirklich nicht vorwerfen. Immerhin beherrschen die tatsächlich das Talent, mit dem sie angekündigt wurden.

Dass die Castingshow „Einfach die Besten“ (Video in der SWR-Mediathek) trotzdem nicht das bessere „Supertalent“ ist, liegt vermutlich daran, dass der SWR vollständig damit ausgelastet war, die Zeitmaschine zu bauen, mit der die Showkulisse aus den 80er Jahren geholt wurde. (Auf der Leinwand im Hintergrund lief in der Auftaktsendung am vergangenen Freitag immerhin schon mal der Windows-95-Bildschirmschoner.)

In der Jury dieser SWR-„Innovation“ sitzen Sängerin Julia Neigel, ein SWR-Radio-Comedian und Guido Cantz, die dazu verdammt sind, sämtliche Talente „klasse“, „grandios“, „genial“, „wunderbar“ oder „großartig“ zu finden, wobei Neigel vorrangig damit beschäftigt ist, den Begriff „Gänsehaut“ zwangszudeklinieren („gänsehautmäßig“, „schonwiedergänsehaut“, „immernochgänsehaut“). Die zusätzliche Fachjury, die dahinter ins Halbdunkel gepflanzt wurde, gibt es vermutlich nur, damit der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ als SWR-Kooperationspartner zwischendurch Werbung für sein Blatt machen darf. Ein Vorteil ist, dass keiner der Kandidaten aus dem SWR-Sendegebiet befürchten muss, nach seiner Aufführung von einem egozentrischen Trashpop-Produzenten in die Pfanne gehauen zu werden. Andererseits hat der potenzielle Sieger angedroht bekommen, Ende September bei „Verstehen Sie Spaß“ auftreten zu müssen.

Ein wenig Tempo und ein Moderator, der mal nicht der SWR-Langweilernorm entspricht, wäre ein Segen für die familientaugliche Show gewesen. Aber das ist vielleicht auch schon zuviel verlangt von einem Sender, der es für eine gute Idee hält, die erfolgreichen „Marken-Checks“ im Ersten eins zu eins ins Regionalprogramm zu kopieren und sie „Marktcheck checkt“ zu nennen. (Kein Scherz.)

Die „Topmarken aus dem Südwesten“ sollen dort unter die Lupe genommen werden, gleich drei pro Folge, und am Ende wissen die Zuschauer, dass Ritter Sport sich nicht so fettig anfühlt wie Billigschokolade, aber bei der Nachhaltigkeit noch „Luft nach oben“ hat (Video); dass einem Biersommelier Bitburger nicht so gut schmeckt wie sein selbstgebrautes Bier (Video); und dass in Maggi-Tütensuppen fast kein Gemüse drin ist (Video). Permanent wird in irgendeiner Fußgängerzone testgefuttert, ein unabhängiges Institut legt was unters Mikroskop und ein „Marketingexperte“ erklärt, dass Werbung manchmal gar nichts mit der Realität zu tun hat. Hinterher ist niemand schlauer als vorher, aber immerhin müde genug, um ins Bett zu gehen.

Im SWR hat sich’s deswegen aber noch lange nicht ausgetestet, schließlich gibt’s noch Michael Bauer, der sich in diversen Freizeitangeboten, Fortbewegungsmitteln und Feriendomizilen herumgetrieben hat, um sich am Ende mit Fahrstuhlmusik unterlegte Testergebnisse zusammenzureimen. Für Heranwachsende, denen bisher noch die berufliche Perspektive fehlt, ist es sicher tröstlich, am Ende immer noch „Undercover-Tester“ beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen werden zu können, wenn man sich nur traut, mit versteckter Kamera ein überteuertes Wassereis im Tierpark zu kaufen oder in der Achterbahnwarteschlange bei der Pfandflaschenrückgabe zu scheitern. Aber um rauszukriegen, was „Bauer testet“ in den SWR-nahen Vergnügungsparks herausgefunden hat (hohe Eintrittspreise, schlechtes Essen, langes Warten), hätte es eher keine halbstündige Fernsehsendung gebraucht (Folge 1 und 2 in der ARD-Mediathek ansehen).

Mit den „Herz-Docs“, einer Dokureihe über Schicksale in der Freiburger Uniklinik, kopiert sich der SWR zur Abwechslung mal selbst: Zumindest orientiert sich die Mischung aus Soap und Medizinjournal ziemlich eng an den „Knochen-Docs“, die der SWR bereits vor zwei Jahren fürs Erste produzierte. Das hat den Vorteil, dass es nicht mehr ganz so viel falsch zu machen gab. Die Mischung aus porträtierten Durchschnittskranken und Sonderfällen ist durchaus sehenswert, dass es zwischendrin ständig Klaviere und Geigen regnet eher grenzwertig (Folge 1 ansehen). Und vielleicht sagt der Redaktion mal einer, dass der Dreijährige, dem eine schwere Herzoperation bevorsteht, nur in Bildzeitungssprache „der kleine Leon“ heißt, und im normalen Leben bloß: Leon.

„Ach Herr Rahn, seien Sie nicht traurig“, sagt Moderatorin Hendrike Brenninkmeyer, die sichtlich überfordert im Garten des Ladenbetreibers sitzt, dessen Nachfolger sie suchen soll. Dass dem plötzlich die Tränen in den Augen stehen, als er merkt, wie ernst es wird mit der Weitergabe seines Lebenswerks, hat so vermutlich nicht im Ablaufplan gestanden. Also macht Brenninkmeyer mit dem weiter, was ihre die Redaktion aufgeschrieben hat: der Punktevergabe für den „ersten Eindruck“ der Kandidaten.

„Wer kann Chef?“ ist trotzdem die beste Idee im SWR-Sommerprogramm (ab nächsten Donnerstag, 21 Uhr): Familienbetriebe, bei denen sich die Gründer in den Ruhestand verabschieden, sollen mithilfe des Fernsehens neue Betreiber finden. Den kabeleinsigen Gameshow-Aufbau hätte man sich allerdings schenken können. In der ersten Folge müssen sich die potenziellen Sukzessoren mit Gurkenkaufen im Großmarkt, Stolperkisten im Laden wegräumen und Traubennachwiegen an der Kasse herumschlagen – origineller wird’s nicht bei der Suche nach einem neuen Geschäftsführer für den Lebensmittelmarkt von Herrn Rahn. Dabei hat der offensichtlich eine ganze Menge über sein Geschäft zu erzählen. Es ist nur vor lauter Punkteverteilen gar keine Zeit dafür. Wie schade.

Dem kompletten SWR-Sommerprogramm ist anzumerken, wie es sich ständig nach links und rechts umschaut, um auch ja keinen aktuellen Programmtrend zu verpassen. Immerhin ist damit auch klar, was Intendant Peter Boudgoust mit dem rätselhaften Zitat meint, das der Floskelgenerator in der Pressestelle für ihn ausgespuckt hat: „Der SWR spart und kann sich genau deshalb mehr Neues leisten.“

Ist doch klar: Wenn der SWR sich die eigenen Ideen spart, bleibt umso mehr Zeit, das Programm der anderen zu vervielfältigen.

Screenshots: SWR

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