Der 10. Januar 2012 war ein fataler Tag für das deutsche Fernsehen. Nicht, weil der Anwalt des damaligen Bundespräsidenten erklärte, die 400 Journalistenfragen zum Hauskredit seines Mandanten doch nicht veröffentlichen zu wollen; auch nicht, weil der neue Apple-Chef Tim Cook Optionen auf eine Million Aktien des Computerkonzerns erhielt oder CDU und FDP schon fleißig über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer stritten; sondern weil im Ersten am Abend „Der Lidl-Check“ lief. In dem wurde mit ungeheurem Aufwand all das abgeprüft, was die WDR-Autoren ein paar Monate zuvor bereits bei ihrem „Aldi-Check“ herausgefunden hatten. Der große Unterschied an diesem Montag war: die Einschaltquote.
6,3 Millionen Zuschauer ab 3 Jahren hatten nach der „Tagesschau“ das Erste eingeschaltet, mehr sogar als „Wer wird Millionär?“ bei RTL. Im jungen Publikum war der „Lidl-Check“ sogar Marktführer.
Die Sendung war also ein Riesenerfolg. Und der Grund, dass bei den Programmverantwortlichen der Landessender augenblicklich die Sicherungen durchbrannten. Offensichtlich hatten sie eine Masche gefunden hatten, mit simpel gestrickten Alltagsreportagen ein riesiges Publikum vor den Fernseher zu locken! Hauptsache, im Titel kommt das Signalwort „Check“ vor.
Angefangen hat alles ein Jahr zuvor mit dem „Tchibo-Check“ im Dritten Programm des WDR (siehe Fernsehblog vom Januar 2011), wo die „Checks“ bald zur Reihe ausgebaut und dann ins Erste gehievt wurden. Nach dem prompten Erfolg mit dem „Lidl-Check“, dem danach gezeigten „McDonald’s-Check“ und dem „H&M-Check“ war die Fortsetzung schnell beschlossen. Zunächst folgte der kurzfristig ins Programm genommene „Media-Markt-Check“, im Mai schließlich der „Coca-Cola-Check“, der „dm-Check“ und der „Adidas-Check“ – allesamt im selben monotonen Scheinaufklärungsduktus, ebenso einfallslos wie humorbefreit.
Die Quoten waren schon nicht mehr so gut, aber da gab es in der ARD kein Halten mehr: der „Check“-Schluckauf ließ sich nicht mehr vermeiden.
Der SWR hat am schnellsten gehickst. Seit kurzem läuft mittwochs ein dreiviertelstündiges Verbrauchermagazin-Spezial unter dem nicht ironisch gemeinten Titel „Marktcheck checkt“, in dem pro Ausgabe gleich drei Firmen aus dem Südwesten eine scheinkritische Unternehmensprüfung über sich ergehen lassen müssen (siehe wieder Fernsehblog): Ritter Sport, Maggi, Bitburger, Uhu, Nescafé, Seitenbacher. Die paar Minuten Sendezeit für jede Firma reichen allenfalls, um ein paar Oberflächlichkeiten abzuklopfen und sich mit Labortestergebnissen wichtig zu machen – aber das hat den Vorteil, für keinen der „Check“-Schnipsel tiefergehend recherchieren zu müssen. In der kommenden Woche folgt der NDR, wieder ausführlicher, aber genauso berechenbar und ohne lästige Regionalitätsanstrengung. Am 27. August läuft als „Markt-Reporter decken auf!“-Sondersendung zunächst „Der große Bahn-Check“, dessen Inhalt sich so liest als sei er von der Redaktion im Schlaf gedreht worden:
„Susann Kowatsch und Rainer Mueller-Delin sind in ICEs und Regionalzügen in Norddeutschland unterwegs. Sie kämpfen sich durch den Tarif-Dschungel der Bahn. Wird ihnen immer das günstigste Ticket verkauft? Sie testen die Sauberkeit: Wo finden sie mehr Keime, im Regionalexpress oder im Kaufhaus? Und sie treffen verärgerte Bahnkunden, die um ihre Entschädigung kämpfen.“
Es folgen: „Der große Rewe-Check“ (für den sich praktischerweise die Supermarkt-Kategorien der WDR-Kollegen übernehmen lassen), „Der große Post-Check“ – und wahrscheinlich zittert die Telekom schon, dass sie als nächstes dran ist. Dabei scheint die größte Eigenleistung des NDR darin zu bestehen, die „Checks“ im Titel zu „großen Checks“ umgebaut zu haben. Ebenfalls geplant sind „Der große Zahnpflege-Check“ und, ähm, „Der große Küchen-Check“, die in ihrer Allgemeinheit schon wieder zu Tim Mälzers ARD-„Ernährungs-Check“ aus dem Frühjahr passen (siehe Fernsehblog vom März). Und zum „Berlin-Brandenburg-Check“, mit dem der RBB sich gerade ein jugendlicheres Image verpassen will, ausnahmsweise aber mal keine Unternehmen testet, sondern Wohngegenden aus dem Sendegebiet.
Vielleicht merkt die ARD das nicht, aber: Die eine eigene Idee, die sich in den vergangenen Jahren in den Senderverbund verirrt hat, in Ketten zu legen und so lange zu klonen, bis sie nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, kann auf Dauer keine Lösung sein. (Andererseits weiß in den Anstalten natürlich auch niemand, wie viele Jahrzehnte es dauert, bis die nächste neue Idee vorbeischaut.)
Im Interesse des Publikums ist es jedenfalls an der Zeit, um den Verbraucherjournalismus-Overkill ein Zäunchen zu bauen, damit er sich nicht weiter unkontrolliert vervielfältigt.
Dummerweise ist das momentan das einzige, was die ARD nicht checkt.
Screenshots: Das Erste, SWR, RBB, WDR
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Ebensogut könnte man fordern,...
Ebensogut könnte man fordern, dass sich die Welt aufhört zu drehen…
Lassen Sie doch der ARD ihre Checks. Mit jedem neuen Check wird die Wahrscheinlichkeit eines Shitstormes geringer, weil jeder neue Check nur noch ein müdes Gähnen auslöst. Und so hat man einen kurzen Aha-Effekt und versinkt wieder in den wohltuenden Vor-der-Glotze-Schlaf.
Man sollte mal nachforschen, ob die einzelnen Firmen nicht den „Chek“ selbst in Auftrag geben…
Interessanter Artikel und die...
Interessanter Artikel und die Kritik am Check-Overkill ist nachvollziehbar. Einzig die inhaltliche Kritik erscheint mir nicht ganz gerechtfertigt. Es gab/gibt durchaus einige gutgemachte „Checks“, die nicht bloß unterhalten, sonden auch informiert haben. Und solange Günther Wallraff nicht autaucht, ist noch nichts verloren.
Andereseits scheint ja ein...
Andereseits scheint ja ein gewisser Markt dafür vorhanden zu sein. Wie sonst liessen sich die ganzen dümmlichen Kochshows und sinnbefreiten Zoo-Dokus im ÖR erklären? Und jetzt wird halt auf Teufel komm raus gecheckt…
Soweit ich weiss, hat es...
Soweit ich weiss, hat es bisher keine juristischen Nachspiele, PR-Aktionen usw. von seiten der Unternehmen gegeben was ja bei der Breite der ‚untersuchten‘ Unternehmen ein guter Indikator ist, dass da eher nicht knallhart aufgedeckt wird. Man darf jedenfalls bezweifeln, dass Umsaetze unter einem ‚Check‘ wirklich leiden. Andererseits haben ARD-Sender ja auch ueber Amazon und Zalando kritisch berichtet und waren auch Undercover in einem Post-Subunternehmen. Geht also, wenn man will, aber meistens nicht ‚zur besten Sendezeit‘ in ritualisierten Formaten wie den ‚Checks‘.
Ach je - da reiten also die...
Ach je – da reiten also die ÖR-Anstalten ein erfolgreiches Format zuschanden. Das machen die Privatschnuffis regelmäßig. Indes gilt die besorgte Fürsorge des Autors den ÖR. Denn Kritik an Privaten wäre ja auch insofern problematisch, dass die Sendergruppen anteilig Verlagen bzw. Verlegern gehören. Und mit denen mag es sich ja nicht jeder verderben …
@ Thomas: Sie meinen sicher Panther, Tiger & Co. etc.? Da handelt es sich um eine breit angelegte Tierpfleger-Verhaltensstudie auf Kosten der GEZ-Zahler, die aus letzterem Grund einfach ausgestrahlt werden muss.
Indes – es gibt da auch Komisches: Wenn der Tierpfleger Thorsten Körmann bei Hagenbeck hinter einer Elefantenkuh steht und diese mit schrillem »Pischipischipischi« zum Wasserlassen veranlassen möchte und diese ihn daraufhin mit einem riesigen Urinschwall zuschüttet, weiß ich: Da haben die ÖR nicht alles falsch gemacht und ihren Kulturauftrag übererfüllt. Folgerichtig müsste es eigentlich demnext den »Zoo-Check« geben.
Ich frage mich bei den meisten...
Ich frage mich bei den meisten dieser Check-Sendungen ja, wie viel von den Produktionskosten dadurch „eingespielt“ werden, dass die genannten Marken einen guten Batzen Geld springen lassen. Dies wäre doch mal eine Frage, der es sich lohnt nachzugehen. Leider fehlt genau dies in obigem Artikel.
Nein, hier wird (scheinbar zu Gunsten einer Aufmerksamkeitsökonomie) mit den gleichen Mitteln operiert, die im Beitrag angeprangert werden.
Schade eigentlich.
<p>@skeptiker01: Sie finden,...
@skeptiker01: Sie finden, die Privaten kriegen in diesem Blog zu wenig Kritik ab? Das hätte ich gerne mal durch eine Meinungsumfrage belegt! Machen Sie die?
@Sven: Ich bin da weniger verschwörungstheorienaffin als Sie und würde von grundlegender „Check“-Neutralität ausgehen, Sie sind aber herzlich eingeladen, mein Versäumnis nachzurecherchieren.
Ich habe selbst einige Jahre...
Ich habe selbst einige Jahre in einer der genannten Redaktionen Beiträge gedreht. Der Grund, dass solche Stücke nicht „Test“ heißen, sondern „Check“ oder als „wir haben… verglichen/uns näher angesehen“ statt „wir haben getestet“ angekündigt werden: Läuft ein Beitrag als „Test“, haben die Unternehmen es leichter, juristisch gegen ihnen nicht genehme Urteile vorzugehen. An einen „Test“ legt die Rechtsprechung hohe Komplexitäts- und Umfassenheits-Maßstäbe, den die Stiftung Warentest erreichen kann, Ratgeber-Redaktionen im Alltagsgeschäft und auf die Schnelle aber nicht immer. Zumindest wurde es uns Autoren so erklärt.
@Reporter: Das Problem ist,...
@Reporter: Das Problem ist, finde ich, aber gar nicht der Titel an sich, sondern die Inflation der so verkleideten Sendungen.
Wann kommt endlich "Der große...
Wann kommt endlich „Der große Promi-Check“ mit Kai Pflaume und „Der Quiz-Check“ mit Jörg P… ach, der ist ja jetzt woanders.