
Das Tamtam um Abel Ferraras Film „Welcome to New York“ war gewaltig, kein Titelblatt kam ohne sein Plakat aus, die Vorberichte waren lang und lobend. Tagelang war diese gut geschmierte Marketingmaschine neben dem Festival her gelaufen, und am Samstag Abend schließlich konnten wir den Film sehen – gemeinsam mit der gesamten französischen, deutschen, spanischen Netzgemeinde und vermutlich vielen anderen anderswo, wenn sie denn wollten. Wir, ungefähr 200 Journalisten, durften auf einer Leinwand gucken, auf Klappstühlen sitzend in einem Zelt-Lokal am Strand, in das von der Party nebenan die Bässe wummerten und das Licht nicht ganz aus ging. „Release event“ hieß das, und wenn das die Zukunft des Kinos sein soll, gute Nacht.
Auf dem Monitor zu Hause, wo der Film unter Umgehung der Kinoauswertung ausschließlich zu sehen ist, sieht das vielleicht nicht so milchig aus, gibt es möglicherweise eine Art Schärfentiefe und Konturen auch am Bildrand, vielleicht auch einen transparenteren Ton. Im Festivalpalast, wo alle Beteiligten gern hin wollten und nicht eingeladen wurden – da hätte der Film um einiges mehr hergemacht. Nach der miserablen Projektion sagte in der Pressekonferenz gegen Mitternacht Gérard Depardieu, was alle dachten, seit klar war, dass dieser Film nicht im Festivalprogramm gezeigt würde, nicht im offiziellen und an keinem Rand: Wahrscheinlich gab es Druck, und er meinte: politischen. Also entschied sich der Verleih für das Experiment, den Film nur als Video on demand unter die Leute zu bringen – aber die Medienpräsenz beim Festival zu nutzen und diese lächerliche Projektion zu veranstalten, die wie alles funktionierte, für das nur begrenzter Zugang gewährt wird: der Andrang war groß, die Einladungen wurden zugeteilt wie Goldstücke.
Und wie ist er nun, dieser Film, angelehnt an die Strauss-Kahn-Affäre, die vor zwei Jahren dem Filmfestival schon einmal die Schlagzeilen stahl? Ein wüstes Teil. Aber eine amerikanische Produktion und deshalb vermutlich wasserdicht gegen juristische Klagen des Vorbilds. Am Anfang an der Grenze zum Pornographischen (Depardieu sagte: nein, das ist kein Porno, wir haben nur so getan), die langen Szenen schmerzhaft anzuschauen, in denen der mächtige Präsident einer internationalen Institution jeder Frau an die Wäsche geht, sich an jeder reibt, jeder den Rock hochzieht und irgendeinen Teil von sich darunter vergräbt, gewalttätig auch, unersättlich, ohne Bewusstsein davon, was er da tut. Nach einer halben Stunde ist nach mehreren bezahlten Frauen ein Zimmermädchen dran. Sie zeigt ihn beim Hotelmanagement an und die Geschichte, wie wir sie kennen, nimmt ihren Lauf.

Ist es Machtbesessenheit, ist er krank? Krank, sagten die Filmemacher einstimmig. Und erklärten zum Schluss, was dieser Film eigentlich sein will. Nicht die Ausbeutung eines Sexskandals. Sondern eine Liebesgeschichte. Und noch dazu eine zwischen Eheleuten, wobei die superreiche Ehefrau (gespielt von Jacqueline Bisset) ihren Mann aus dem Gefängnis freikaufen und an seiner Seite gute Miene machen muss, bis der Prozess vorbei ist. Und ihren Traum, er könne Präsident Frankreichs werden, begraben muss.
Am Ende glauben wir tatsächlich, dass dies vielleicht so sein könnte. Weil Depardieu und Bisset gemeinsam spielen, als wollten sie das herausfinden: ob da noch eine Liebe möglich ist zwischen diesen beiden. Aber eine Enttäuschung ist diese Sicht der Dinge dann doch. Die Machtseite hätte mich mehr interessiert. Von beiden, ihm und ihr. Strauss-Kahn oder Devereaux, wie er hier heißt, ein kranker Mann? Den seine Frau vielleicht doch nicht verlässt? Schauspielerisch mag das reizvoll sein, die beiden überschlugen sich vor Begeisterung für ihre Rollen, und rein menschlich gesehen ist diese Sicht der Dinge voller Gnade. Aber vielleicht hat auch Bernardo Bertolucci Recht. Ferrara erzählte, er hätte ihm den Film gezeigt, und der alte Meister hätte gesagt, dies erinnere ihn an einen Andy-Warhol-Film: It is what it is.
Trailer für Abel Ferraras “Welcome to New York”