Am Donnerstag kam ich zum ersten Mal auf dieser Berlinale in die Akademie der Künste an Hanseatenweg. Das Forum Expanded hat hier sein Quartier, der Film “Balikbayan # 1 Memories of Overdevelopment Redux III”, dessentwegen ich gekommen war, ressortiert allerdings zum Forum im engeren Sinn. Ich wusste in etwa, was zu erwarten war, war dann aber nach 140 Minuten doch überrascht: Der philippinische Regisseur Kidlat Tahimik hat hier sein Lebens(work-in-)projekt auf eine Weise abgeschlossen, die zugleich alles offen lässt, und doch eines der großen Fragmente der Filmgeschichte vervollständigt.
Zur besseren Erläuterung fange ich am besten mit dem Titel an. Was unter Balikbayan zu verstehen ist, bekam ich persönlich zum ersten Mal auf dem Flughafen von Toronto mit, von dem aus immer wieder Leute aus der riesigen philippinischen Community nach Hause fliegen, in das Land der Herkunft der Familie, denn sie selbst haben in der Regel längst einen kanadischen Pass und ein kanadisches Leben. Wenn sie nach Hause fliegen, ist das oft eine große Produktion. Gepäck, Übergepäck, Extragepäck, alles eingeschweißt in Plastikfolien, für die es dort eigene Maschinen gibt.
Das ist Balikbayan: das Gepäck, und das Zurückkommen nach Hause. “Memories of Overdevelopment” ist eine Anspielung auf einen berühmten kubanischen Dritte-Welt-Film von Tomás Gutiérrez Alea aus dem Jahr 1968: “Memorias del subdesarollo”, Erinnerungen an die Unterentwicklung. Und “Redux”? Das tauchte im Zusammenhang mit einer neuen Schnittfassung von Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” auf, einer durch Erweiterung stärker auf das Wesentliche reduzierten Fassung eines Vietnamfilms, der auf den Philippinen gedreht wurde.

Kidlat Tahimik war in den späten siebziger Jahren nach “Der parfümierte Alptraum” ein Star des internationalen Kinos, damals zählte auch Francis Ford Coppola zu seinen Förderern. Doch das Vorhaben, das er damals begann, ließ sich nicht vollständig realisieren: die Idee, über Enrique de Mallacca, einen indigenen Sklaven, der mit dem portugiesischen Seefahrer Ferdinand Magellan die Welt umrundete, einen historischen Film zu machen, kam über einige Schlüsselszenen nicht hinaus.
Das Material von damals hat Kidlat Tahimik nun noch einmal aufgegriffen, und mit neueren Aufnahmen zu einem 140 Minuten langen Essay über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines antikolonialen “period picture” ausgebaut. Wir sehen den Sklaven Enrique in mehrfacher Verkörperung, darunter auch durch Tahimik selbst, wir sehen den stark behaarten Darsteller, der damals Magellan spielte, und inzwischen tot ist.
Wir sehen, wie Tahimik versucht, das Projekt von damals mit der heutigen Kunst- und Folkloreszene auf den Philippinen zu vermitteln. In diesem Video-Tagebuch bekommt man einen ungefähren Eindruck von seiner Methode des Reisefilmens:
Der Höhepunkt des im wörtlichen Sinne mehrschichtigen Films ist eine Variation von “Apocalypse Now”. Dort wird Colonel Kurtz in einer wilden Ritualszene getötet, und Magellan kommt bei Tahimik auf eine analoge Weise zu Tode. Die Implikationen sind einfach und weitreichend, und sie zielen auf eine Umdeutung der geläufigen Erzählmodi des Weltkinos, entsprechend einem Wortspiel, das im Film einmal gemacht wird: “indigen” wird zu “Indigenie”. Blockbusterkino zieht sich den Lendenschurz an.
Diesen indigenen Genius verkörpert Kidlat Tahimik, inzwischen 72 Jahre alt, leibhaftig auch auf der Berlinale. Nach der Vorführung kam er nicht einfach zu dem üblichen Frage-Antwort-Ritual auf die Bühne, sondern er vollzog in einer Performance die wesentlichen Elemente seiner Arbeit noch einmal nach: von der Promotion zum Dr. Hollywood bis zum Trommeltanz nach seiner glücklichen Heimkehr in die eigene Kultur. Was Balikbayan ist, hat er am eigenen Leib erfahren und nachvollzogen, und nun hat er mit einem Film, der für mich zu den Höhepunkten der 65. Berlinale zählt, die Summe dieser Erfahrungen gezogen.
