Die letzten Filme, auf die es ankommen könnte, sind gelaufen, das Wettbewerbsprogramm ist vorbei, sogar die ersten Preise sind bereits verkündet worden. Zum Beispiel geht der „Venice Day Award“, so entschied eine Jury unter Vorsitz von Laurent Cantet, an „Early Winter“ von Michael Rowe – zu dem ich gar nichts sagen kann, weil ich ihn nicht gesehen habe. So geht es mit den Nebenreihen, den Nebenpreisen: Immer verpasst man etwas, und oft ist es schade.

Die Jury für die Hauptpreise, die Löwen, die am Samstag Abend vergeben werden, ist ebenfalls hochkarätig besetzt. Präsident ist Alfonso Cuaron, seine Truppe besteht aus den beiden Schauspielerinnen Diane Kruger und Elizabeth Banks, der Rest sind Regisseure: Nuri Bilge Ceylan, der türkische Gewinner der Goldenen Palme im vergangenen Jahr; Pawel Pawlikowski, der für „Ida“ den Auslandsoscar gewann; der Franzose Emmanuel Carrère; Hou Hsiao-hsien aus Taiwan, dessen „The Assisin“ vor einigen Monaten in Cannes ausgezeichnet wurde; Francesco Munzi aus Italien und die Engländerin Lynn Ramsey („We Need to Talk About Kevin“).

Und die Frage ist: Was können, wollen diese Regisseure auszeichnen? Etwas, das ihnen nahe ist, die eigene Konkurrenz sozusagen? Oder lieber etwas ganz anderes – wobei für Hou Hsiao-hsien „etwas ganz anderes“ etwas ganz anderes ist als für Alfonso Cuaron. Das heißt, Vorhersagen sind ganz unmöglich.
Aber meine eigenen Favoriten, das sind diese:
Goldener Löwe: Amos Gitai für „The Last Day – Rabin“

Alternativ würde ich mich auch über Zhao Liang mit „Beixi Moshuo“ (Behemoth) freuen, vorausgesetzt, Gitai bekommt den Jury-Preis (und umgekehrt).

Für den Löwen für die beste männliche Hauptrolle gibt es verschiedene Anwärter. Ralph Fiennes war wunderbar, unerwartet, dynamisch und komisch in „The Bigger Splash“, aber war das die Hauptrolle? Christopher Plummer in „Remember“ war großartig als dementer Mann mit der Auschwitznummer auf dem Arm. Abraham Attah als Kindersoldat in „Beasts of No Nation“ sollte auch eine Chance haben, ebenso wie Mehmet Özgür aus „Abluka“(Frenzy) als obsessiver Sicherheitsmann in Istanbuls Mülllandschaften oder auch Alfredo Castro in „Desde Allá“ (From Afar), einem Film aus Venezuela, der um diesen Mann kreist, der nur schauen, nicht berühren will.

Bei den weiblichen Hauptrollen ist das Feld überschaubarer. Es gab kaum weibliche Hauptrollen, die schönsten waren die beiden in „The Danish Girl“, aber ich vermute, Eddie Redmayne als Transgender-Frau hat dann doch keine Chance in dieser Kategorie (vielleicht bei den Männern?), möglicherweise aber Alicia Vikander als sein Gegenüber.

Über Preise für die beiden würde ich mich freuen. Ich vermute aber, es läuft doch mal wieder auf Juliette Binoche hinaus, die einen Film lang (einen schrecklichen Film lang) sauertöpfisch dreinblicken durfte, dass es kein Erbarmen hatte.

Und irgendetwas Schönes sollte “Anomalisa” von Charlie Kaufman bekommen! Was für ein origineller Film – nur mit Puppen spielt er in der Geschichte einer Dienstreise die großen Themen des Menschen durch. Grandios.
In den Kritikerlisten des örtlichen Festivalblättchen, das auch das Publikum befragt, liegt „Francofonia“ von Alexander Sokurov weit vorn. Ohne eine Auszeichnung für diesen Film wird es morgen vermutlich nicht abgehen. Falls doch: Hurrah!