Die Dichte an Palmengewinnern im offiziellen Programm ist groß in diesem Jahr. Treue zu alten Freunden, könnte man sagen. Rückgriff auf Bewährtes, wobei jeder Film auch von Bewährten natürlich anders ist. Aber nicht unbedingt sehr anders. Bei Ken Loach zum Beispiel weiss man seit Jahrzehnten, was man kriegt.
Ken Loach macht seit fünfzig Jahren Filme. Filme über Ungerechtigkeiten im Leben von Menschen in England, die, meist nicht aus eigenem Verschulden, weit unten im Sozialgefüge angekommen sind, und vom System allein gelassen oder vergessen werden. Seit fünfzig Jahren zeigt uns Ken Loach die Welt, wo sie zum Heulen ist, und sagt immer aufs Neue aus unterschiedlichen Anlässen und zu verschiedenen Schicksalen, das müßte so nicht sein. Wir könnten das ändern. Und nichts geschieht.
Aber Ken Loach, der im Juni achtzig wird, dreht noch einen Film, in dem er das noch einmal sagt. Und wieder läuft er hier in Cannes. Wieder im Wettbewerb. Das ist treu. Stur auch. Bewundernswert.
Und obwohl „I, Daniel Blake“ viele Schwächen hat, eigentlich aus Schwächen und ein paar ergreifenden Augenblicken besteht, ist das schon eine großartige Haltung. „I, Daniel Blake“ dreht sich um einen Mann um die sechzig, der nach einem Herzanfall nicht mehr arbeiten darf und die volle Ladung englischer Bürokratie zur Verhinderung der Auszahlung ihm zustehender Sozialleistungen zu spüren bekommt. Wieder sehen wir den Zusammenhalt der Armen, hier in Gestalt einer alleinerziehenden Mutter mit zwei nervtötend reizenden Kindern. Den schwarzen Nachbarn, die mit Turnschuhen aus China Geschäfte machen, und dem kranken Mann mit den Formularen helfen. Die Tücken des digitalen Zeitalters. Es ist alles sehr vorhersehbar, und selbst das Ende kündigt sich eigentlich im Vorspann schon an.
Aber dennoch. Ken Loach, der schon so oft in Cannes war, dass er die besten Hotels und einige sehr miese Absteigen kennengelernt hat, macht, was er immer gemacht hat, einfach weiter. Und da wir in seinen Filmen Menschen sehen, für die sich nicht nur die englische Bürokratie nicht besonders interessiert, liegt darin eine besondere Würde.
Man könnte natürlich auch sagen: Warum tut er das, mit beinahe achtzig, da er doch seit Jahrzehnten weiß, die Welt ändert sich zwar, aber nicht so, wie er es für vernünftig hält und wie es fraglos auch vernünftig wäre? Vielleicht brauchte er das Kino, immer neue Filme, die wenig Geld kosten und mehr oder weniger um dasselbe Thema kreisen, damit er ohne Absturz ins Zynische über die Zeit kommen konnte. Dagegen sind alle Einwände gegen seine Filme nichts.