Man trifft sie spät in der Nacht, in der Nähe des Bahnhofs und der Märkte, die längst geschlossen sind. Zwischen verrottenden Essensresten, überquellenden Mülleimern, ein paar Katzen, ein paar Ratten, huschen sie von Schatten zu Schatten. Manche torkeln ein wenig, andere lassen den Kopf so tief hängen, dass ihre Balance nicht gesichert ist. Sie schwanken. Sie wiegen sich in den Hüften. Aber die Zombies von Cannes, die erst nach Ende der allerletzten Party auf die Straße gekehrt werden, sabbern zwar manchmal, aber sie beißen nicht.
Auf diese Erfahrung muss sich verlassen, wer aus dem Midnightscreening des koreanischen Films kam, in dem ein Virus für die Transformation von Menschen in Zombies sorgt und eine Gruppe von Leuten im Superschnellzug von Seoul nach Busan versucht, am Leben zu bleiben.
Einmal pro Festival muss das sein. Ein Horrorfilm. Vampire nicht so gern, knarrende Türen eher auch nicht, also Zombies. Dieses Jahr geliefert von dem südkoreanischen Trickfilmer Yeon Sang-ho, der aufgrund seines animierten Untoten-Films „Seoul Station“ den Auftrag bekam, eine Fortsetzung zu drehen, allerdings als live action. „Train to Busan“ kam dabei heraus, und die zahlreichen Arten, die er erfindet, wie man in einem Zug davonlaufen und seine blutrünstigen Verfolger aufhalten kann, sind eindrucksvoll. Sich durchs Gepäckfach robben. Handy-Klingeltöne zur Ablenkung benutzen. Baseballschläger einsetzen, denn eine Baseballmannschaft ist mit an Bord, was für bedingte Bewaffnung sorgt. Alles sehr effektiv. Ein Film aus einer einzigen Verfolgungsjagd. Das kriegen so genial nur die Koreaner hin.
Steigen Sie ein, um am Leben zu bleiben! Das war nur die halbe Wahrheit. Denn die Zombies vermehren sich immens und beißen, wen sie kriegen können. Beunruhigender aber noch als diese armen gefräßigen Gestalten sind einige der Passagiere. Sie halten die Türen zu, damit niemand mehr einsteigen kann. Sie werfen sich gegenseitig den Zombies zum Fraß vor, um selbst ein paar Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Dagegen leuchten die Helden unter ihnen und solche, die zum Helden werden, umso strahlender. Was nicht heißt, dass sie überleben.
Das Gesellschaftsbild, das hier entworfen wird, ist zum Heulen, da ist es kein Trost, dass der Hedgefonds-Manager, in dessen Portfolie die Biotech-Firma einen großen Posten ausmacht, aus deren Werk dieser Virus entschlüpft ist, am Ende zwar ein guter Vater geworden ist, aber trotzdem seiner gerechten Strafe nicht entgeht.
Ich erzähle Ihnen das, damit Sie nicht denken, das Autorenkino von Cannes hätte nicht auch für guilty pleasures Platz. Manche Besucher und Einkäufer kommen überhaupt nur für guilty pleasures her. Wobei zum Beispiel die Gesetzeslage für käuflichen Sex sehr ungünstig geworden ist, weshalb auf den Straßen um den Bahnhof herum eben nur noch Zombies unterwegs sind. Und Ratten. Manchmal auch ein Hedgefonds-Manager.