Es gibt Filme, die man nicht hätte drehen sollen – auf diesem Festival mindestens zwei.
***
Die Projektionsmaschine kann wirklich nix dafür, sie projiziert die Filme halt so, wie man sie ihr füttert. Aber manchmal ist einer so schmierig, dass man fürchten muss, er könne an der Wand kleben bleiben und den Platz nicht mehr für was Vernünftiges freigeben. Der Gedanke stellt sich nach etwa zwanzig Minuten von Robert Guéduigans „La Villa“ ein, einem Debakel um drei Geschwister deutlich jenseits der Fünfzig, die einander in einem heruntergekommenen Küsten-Badeort wiedersehen, weil der uralte Vater einen Schlaganfall erlitten hat, den uns der Regisseur in der Eröffnungsszene andeutet.

Soll man einen so hässlichen Satz schreiben wie: Dieser Film beginnt mit einem Schlaganfall, und das ist noch das Erfreulichste darin? Soll man nicht, aber man soll ja auch nicht so grässliche Filme drehen, also ist das bisschen kritische Vergeltung erlaubt. Der eine Sohn ist dageblieben und hat versucht, die „Vision“ des Vaters (doch, Vision sagen sie wirklich) am Leben zu halten, nämlich billige Ferienquartiere für Kleinbürger. Es kommt aber niemand mehr, die Leute haben kein Geld. Der zweite Sohn ist Intellektueller, macht dumme Witze, schleppt eine junge Freundin an, die ihn am Ende verlässt, weil dieser Film sich Mühe gibt, die gängigen Klischees vom langweiligen erotischen Elend unter Frankreichs Eierköpfen und Kunstschaffenden zu bestätigen, siehe auch das dritte Kind des Kranken, eine alternde Schauspielerin, die am Ort von einem theatervernarrten Fischerbub angeschmachtet wird und ihn verführt, oder von ihm verführt wird, es ist wirklich extrem egal, weil nicht mal ordentlich durcherzählt, sondern nur müde skizziert, genau wie ihr altes Trauma: Ihre kleine Tochter ist hier verunglückt, und von dem Moment an, da Monsieur Guédiguian sich traut, uns in einer Rückblende den Tod des Kindes doch tatsächlich in Zeitlupe zu zeigen, inklusive Kuscheltier, das gleich mitertrinkt, ist dieser Dreck von einem Familienaufstellungsdrama ästhetisch gerichtet. Seine Figuren interessieren ihn selbst nicht, deswegen werden schließlich drei niedliche Flüchtlingskinder, die das Meer angespült hat, ins leblose Geschehen geschubst, um die sich die eitle Schauspielidiotin und ihre blöden Brüder kümmern dürfen, damit es so aussieht, als hätten sie eine Seele.
Weil das auch nicht funktioniert, hört der selbstgefällige Unfug in diesem Moment auf, und man möchte sagen, was Donald Sutherland als an der Alzheimerschen Krankheit leidender alter Englischlehrer in Paolo Virzis „The Leisure Seeker (Ella & John)“ immer wieder zu Helen Mirren sagt, seiner schwer krebskranken Frau: „I want a Burger.“ Virzis Geschichte von zwei Greisen, die wissen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit zusammen bleibt, und deshalb in ihrem alten Wohnmobil von Massachusetts nach Florida fahren, um sich von der Welt zu verabschieden, ist im Gegensatz zu Guédiguians ebenfalls die menschliche Sterblichkeit behandelnden „La Villa“-Verbrechen ein halbwegs ordentlich konstruierter Film, und Mirren und Sutherland könnten sich ihre Dialoge zur Not auch aus dem Stegreif selbst erfinden, viel mehr Erfahrung als diese zwei kann man auf so eine Reise ja gar nicht mitbringen.

Am Ende aber wird auf die für alle Beteiligten bequemste Art das Buch zugeklappt, damit nur ja nichts Unangenehmes hängen bleibt, wo man dem Tod ins Auge blickt, und das ist natürlich feige und verständlich und nicht der Rede wert, aber wieso macht man solche Filme, die man genauso gut auch bleibenlassen könnte? Damit sie in Venedig im Wettbewerb laufen? Wer hat was davon? Na gut, eine kleine neue Erkenntnis steckt drin: Weil man zwischendurch die Augen zumachen und ein bisschen wegdösen kann, da ja da vorne auf der Leinwand nichts Belangvolles passiert, erfährt man: Wenn Donald Sutherland „I want a Burger“ sagt, klingt er manchmal exakt wie sein Sohn Kiefer.