
Die Sonne scheint, die Yachten schwappen in der Bucht, die Schaufenster an der Croisette präsentieren Abendkleider, hohe Schuhe, Smoking, Täschchen, Schmuck, vor den Geschäften liegen kurze rote Teppiche mit dem Palmen-Emblem darauf. Alles wie immer also, wenn es losgeht mit dem Filmfestival? Schöne Menschen, sehr viel Geld, riesige Hoffnungen, gute Geschäfte?
Nein. Alles sieht so aus wie in den letzten Jahren, aber alle reden anders. Jedenfalls an diesem ersten Tag, der mit dem Abend eigentlich erst beginnt, wenn der Eröffnungsfilm gezeigt wird, in diesem Jahr erstmals ohne Vorlauf für die Presse. Die einen reden von Netflix, und dass der Streamingdienst zwar nicht als Produzent, möglicherweise aber als Käufer sehr aktiv an der Croisette unterwegs sein könnte, um seine Kanäle mit Filmen zu füllen, die dann zumindest in den meisten Ländern außer Frankreich nicht mehr in die Kinos kommen. Die anderen reden von #MeToo.
Zum Beispiel Cate Blanchett in der Pressekonferenz der Jury. Sie sagte zwei richtige Dinge, und damit war die Diskussion beendet. Zum einen: Sie hätte gern mehr Filme von Frauen im Wettbewerb (es sind drei von 21), werde die, die da sind, aber als Werke der Kunst, nicht als Werke von Frauen betrachten. Und zum zweiten: Es dauere noch eine Weile, bis die dringend nötigen Veränderungen in den Machtstrukturen der Filmindustrie und auch der Gesellschaft überhaupt durchgesetzt seien und Wirkung zeigten. Aber es gebe keinen Weg zurück.
Sie wirkt kämpferisch. Auch in den Bilderstrecken der Magazine sieht sie sehr präsidial aus, führungsstark, klug. Und so stellte das Festival sie am Eröffnungsabend auch in einem Medley von Filmausschnitten vor, die ihre immense Bandbreite von Königin Elizabeth zur reifen Liebhaberin in „Carol“ in Erinnerung rief, von Bob Dylan in „I’m Not There“ zu Hela in „Thor:Ragnarok“ und alle Rollen in „Manifesto“. Und dann spielten sie in Cannes zu diesen Bildern tatsächlich Bob Dylans Song „Just Like a Woman“. Ein tolles Lied. Aber in diesem Fall völlig an der Frau vorbei. „She makes love just like a woman, but she breaks like a little girl“? A little girl? Cate Blanchett? La présidente, wie sie hier genannt wird, als übernehme sie mit der Jury des Filmfestivals auch andere Verpflichtungen, ein kleines Mädchen?
Nichts kapiert hat offenbar auch der offizielle Präsident des Festivals, Pierre Lescure. Er elaborierte später am Abend, während alle dringend auf die Vorspeise beim Eröffnungsdinner nach dem ersten Film warteten, daran herum, ob „la présidente“ nun „delicious“ – was eine ziemliche Unverschämtheit war – oder doch eher „lovely“ zu nennen sei. Eine große Peinlichkeit, der niemand applaudierte, und die an den Gründen für die Berufung von Cate Blanchett zweifeln ließ.

Am schönsten bei diesen offiziellen Abendessen mitten in der Nacht ist es allerdings nicht so sehr, wenn die Präsidenten reden, sondern wenn Kristin Stewart erscheint. Sie ist in diesem Jahr Mitglied der Jury und kam in einem schwarzen langen Spitzenteil zur offiziellen Eröffnung. Aber das zog sie anschließend so schnell wie möglich wieder aus und erschien zum Essen in lässigen schwarzen Hosen, Turnschuhen und T-Shirt.
Und der Eröffnungsfilm? „Everybody Knows“ von Asghar Farhadi mit Penelope Cruz und Javier Bardem in den Hauptrollen. Der Film eines Iraners und zweifachen Oscar-Gewinners , der in Paris lebt und zum ersten Mal in Spanien, vor allem in Torrelaguna gedreht hat: Spanisch gesprochen wird auch, obwohl der Regisseur diese Sprache nicht beherrscht. Er hatte das Drehbuch auf Farsi geschrieben, es übersetzen lassen und die spanische Version phonetisch auswendig gelernt. Farhadi habe, so stand zu lesen, seine Fremdheit dem eigenen Film gegenüber genossen, und die Frage war, würde man das sehen? Die Fremdheit wie den Genuss?
Ja und nein. Die Fremdheit wurde nicht Thema. Der Genuss führte dazu, dass der Film mit deutlich über zwei Stunden deutlich zu lang für den Anlass war. Und dass jeder Bescheid wusste – das konnte man auch vom Publikum sagen, das von dem großen Geheimnis, das hier gelüftet wird, schon sehr früh eine Ahnung hat, viel früher jedenfalls als Javier Bardem, der eine entscheidende Rolle darin hat. Fahardi ist ein Regisseur, der genau seziert, wie Beziehungen zwischen Menschen in die Brüche gehen, die Zwangsläufigkeit, mit der dies geschieht, wenn eine falsche Entscheidung einmal getroffen ist. So ist es auch in diesem Film, obwohl dies sicher sein schwächster ist bisher, mit einem Drehbuch, das den Figuren nicht viel mehr als das mitgibt, woran sie letztlich zerbrechen.
Es war ein leiser Auftakt des Festivals, das in diesem Jahr schon vor Beginn zum Problemfall ausgerufen wurde. Auch, weil einige große Namen fehlen. Was bedeutet, es kann Überraschungen geben. Alle hoffen auf die Neuen im Programm, von denen noch niemand sagen kann, was sie uns zeigen werden.