
Die gute Nachricht kam mittags. Ein französisches Gericht hat gegen die Klage des Produzenten entschieden, der die Vorführung von Terry Gilliams „Don Quixote“-Film zum Abschluss des Festivals verhindern wollte. Das überraschte niemanden, und die Diskussionen drehten sich wieder vor allem – um die Frauen. Sie werden das beherrschende Thema bleiben, so sieht es aus, und das nicht zum ersten Mal.
Zur Nachbereitung der Eröffnungsnacht gehört auch eine Nachricht von Chopard. Sie kommt jedes Jahr per Email, um zu berichten, wer aus der neuen Kollektion welchen Schmuck für den Gang über den roten Teppich gewählt hat. In diesem Jahr war die Karatzahl besonders hoch, so schien es, und das lag nicht allein an den übergroßen Ohrgehängen von Cate Blanchett.
Das Frauenproblem in Cannes wird in solchen Emails eines Sponsors noch einmal von anderer Seite beleuchtet. Die Frauen werden gebraucht, damit sie behängt werden können, der Dresscode, den bisher nur einige Männer und Kristin Stewart ungestraft brachen, sorgt dafür, dass das so bleibt. Doch der Weg vom Mannequin für Luxuswaren zur respektierten Künstlerin ist lang, wie sich Jahr für Jahr wieder zeigt, wenn es erneut heißt: Warum sind wieder nur so wenige Frauen im Programm dabei?
Damit sich in dieser Frage in Cannes etwas ändert, müsste fast alles von Grund auf neu gedacht werden. Wie sieht zeitgemäßer Glamour aus? Wäre es nicht eine Aufgabe für die Modehäuser, darüber nachzudenken, was selbstbewusste, selbständige, kreative, kluge, schöne und eigenwillige Frauen tragen wollen, wenn sie ausgehen, ohne Gefahr zu laufen, über Robe oder Stöckelschuh zu stolpern? Und ohne am nächsten Tag lesen zu müssen, wie teuer das alles war und wie wertvoll, was sie die Treppe hochschleppten?
Die Abende ab jetzt sind nicht mehr ganz so hochkarätig. Dafür bieten auch die Filme gar keinen Anlass. Auf der Leinwand ging es gleich ziemlich grimmig zu, mit Bürgerkriegsszenen aus der Ukraine, Homophobie in Kenia, blutig geschlagenen Gesichtern, aufgebrachten Menschenmengen und Affekten, die immer feindselig waren.
Cannes war immer das Festival, in dem für alles Platz zu sein schien. Glitzer, Juwelen, Haute Couture, Hollywood, Arthouse und den dreckigen kleinen Film, „Mean Streets“ zum Beispiel, der vor fünfzig Jahren hier gezeigt wurde. Aber so ist es nicht mehr. Vielleicht stehen Glitzer, Juwelen, Haute Couture im Weg, wenn es darum geht, eine neue Richtung einzuschlagen auf dem Weg in die Zukunft des Kinos.
Apropos „Mean Streets“. Weil ununterbrochen von den Frauen die Rede ist, beziehungsweise von denen, die schon wieder nicht dabei sind, habe ich tatsächlich vergessen, einen alten weißen Mann zu erwähnen, der mir am Herzen liegt: Martin Scorsese. Er trat bei der Eröffnung für ungefähr eineinhalb Minuten auf, um mit der ihn weit überragenden Cate Blanchett das Festival offiziell zu eröffnen. Trat wieder ab und war nicht mehr gesehen. Heute hat er zur Eröffnung der Quinzaine die Carosse d`Or überreicht bekommen, einen Preis für sein Lebenswerk., das mit der Vorführung von „Mean Streets“ gewürdigt wurde. Ich stelle mir vor, dass dieser Film für Scorsese inzwischen ungefähr so nervtötend ist wie für Godard „Außer Atem“, der auch immer wieder abgestaubt wird, wenn man ihn ehren will. Was dazu führt, dass Godard zu Ehrungen gar nicht mehr erscheint. Scorsese immerhin war da. Mit seinem neuen Film, „The Irishman“, hätte er trotz allem hier keine Chance gehabt, wäre der Film fertig, was nicht der Fall ist. Die internationalen Verwertungsrechte hat 2016 im Filmmarkt von Cannes Netflix gekauft. Und Netflix ist ja nicht dabei.