Filmfestival

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Was sonst noch geschah: Notizen aus Cannes

Liebe in Cannes

Ist doch klar, werden Sie vielleicht rufen, wenn Sie hören, dass im Zentrum selbst der blutigsten Geschichten in diesem Jahr die Liebe steht (außer bei Godard). Wir sind schließlich in Frankreich, an der Côte d`Azur, da ist jedes Klischee wahr. Auch im Kino. Aber dann doch nicht in jedem Jahr.

Diesmal schon. Sei es jungfräuliches Schwärmen in Damaskus zur Zeit der ersten Unruhen 2011 (bei Gaya Jiji)), sei es abgeklärtes Cruising in Zeiten von Aids in Paris (bei Christoph Honoré) oder die ersten erotischen Erfahrungen zweier Mädchen miteinander in Nairobi (Bei Wanri Kahiu), eine Amour fou im kalten Krieg zwischen Polen, Paris und Jugoslawien ((Pawel Pawlikowsi) oder eine aus dem Ruder gelaufene Beziehung in der Welt kleiner Gangster in China (Jia Zahng-ke) – es ist immer die Liebe, um die herum erzählt wird, und die das Ganze treibt. Die ersehnte, die verschmähte, die phantasierte, die unerfüllte, die abgebrochene, schiefgegangene, von außen oder innen unterdrückte oder auch verratene Liebe. Die gelungene ist nicht dabei. Bisher.

Szene aus Christophe Honorés Wettbewerbs-Film: “Plaire, aimer et courir vite”

Als gäbe es kein anderes Movens mehr für Geschichten. Als gäbe es keine Menschen, die allein und damit glücklich sind. Als gäbe es keine anderen Leidenschaften.

Das Festival hat sich bemüht, neben den üblicherweise im Kino sichtbaren heterosexuellen auch andere Spielarten auf die Leinwand zu bringen. Gemeinsam aber ist den meisten dies: dass sie einander so ähnlich sehen. Als hätte das Kino der vergangenen hundertzwanzig Jahre bereits alle Bilder zur Verfügung gestellt, in denen Liebe überhaupt vorstellbar ist. Träume in Rosa bei den Mädchen, haarige Hintern auf zerknautschten Laken bei den Männern, pralle Brüste in lachsfarbenen Hemdchen, die sich in der Phantasie fordernden Händen entgegenstrecken, Spaziergänge im Regen, wenn es zu Ende geht.

In der Sektion Un certain regard: Gaya Jijis Film “Mon tissu préféré”

Wäre es nicht am Kino, endlich einmal neue Bilder in die Köpfe derer zu pflanzen, die das hier sehen? Damit sie ihre eigenen Liebesgeschichten anders erlebt werden können? Damit sie anders darüber erzählen könnten? Was wir, wo es um die Liebe geht, aus diesen Filmen lernen ist dies: die Liebe ist eine Bilderfalle. Um über sie zu erzählen, muss man weite Umwege wählen, um sie zu umgehen. Über die Musik zum Beispiel, wie Pawel Pawlikowski, oder durch ganz China, wie Jia Zhang-ke. Doch auch sie entgehen ihr letztlich nicht. Was in gewisser Weise eine Enttäuschung ist, weil wir immer noch hoffen, die Liebe sähe vielleicht doch noch irgendwo anders aus als rosa, haarig oder verregnet, wenn sie zu Ende geht.