
Wenn Leute etwas sehr gut können, warum sollen sie dann nicht immer das Gleiche machen? Joel und Ethan Coen zum Beispiel – kaum wird das Buch, das ihr neuer Film und diesjähriger Venedigwettbewerbsbeitrag ist, „The Ballad of Buster Scruggs“, ein buchstäblicher Band mit einem desolaten Baum und einem Glenn-Danzig-Rinder-Totenschädel drauf, von einer ruhigen, sicheren Hand aufgeschlagen, sind wir mitten im Land der Schelmengrotesken und Narrenpossen, deren Muster alles, was die beiden je fabriziert haben, so brav gehorcht, dass man manchmal denkt, vielleicht waren die Hofnarren im Mittelalter ja auch die allerberechenbarsten Menschen ihrer Zeit. Der Film ist selbstverständlich ganz toll, die Abfolge voneinander weitgehend völlig isolierter Episoden hätte besser nicht sequenziert werden können (ein paar Witze, dann Schauder, Action, moralische Abgründe, in die Liam Neeson einen Mann ohne Arme und Beine schmeißt, damit das Publikum nicht weiß, ob es hier auch Szenenapplaus geben darf oder sich schütteln soll vor Abscheu), und ab dem Moment, da der disziplinierteste Nebendarsteller der Welt, Clancy Brown, sich auf spektakulärstvorstellbare Weise aus dem Trubel verabschiedet, schaltet das Nervensystem auf Daueramüsement.
James Franco wird gleich zweimal aufgehängt, was will man mehr? Vielleicht will man weniger: Nicht so clever, bitte („Tarantino mit Hirn“ trifft die Stimmung ganz gut, aber man ahnt plötzlich, dass Tarantino eben da gut ist, wo er halt keins hat), nicht so routiniert, und dass die Indianer wilde Tiere sind, wäre auch nicht nötig gewesen. „Man kann zu gut sein“ schrieb Peter Hacks über Percy Bysshe Shelley (das ist der Typ, der dieses berühmte Gedicht über das Massaker geschrieben hat, von dem der neue Mike-Leigh-Film handelt, der hier auch im Wettbewerb mitorgelt) und meinte wohl: immer nur Hürden ohne Fehler überspringen ist nicht genug für Weltklasse-Arbeit, nicht mal dann, wenn die Hürde hoch hängt. Na gut, also, Fairness: „The Ballad of Buster Scruggs ist das Gescheiteste, was seit „Westworld“ mit Cowboymaterial gemacht wurde.
Ebenfalls dasselbe wie immer bietet in Venedig Olivier Assayas mit „Doubles vies“: Schnelle Dialoge als Zeitdiagnosen, diesmal im Pariser Verlagsmilieu, wo die Digitalisierung das gute alte Buch irgendwie bedroht, aber Juliet Binoche hat keine Angst, sie ist ja ein Fernsehstar namens Selina, die sogar mit, hallo Meta-Witz, der berühmten Schauspielerin Juliette Binoche bekannt ist, die sie deshalb bittet, ein Hörbuch einzulesen, weil nur so die Karriere eines totalen Schlaffi-Schriftsteller-Affen revitalisiert werden kann, mit dem Selina eine Affäre hat, während ihr Mann, der Verleger des Affen, mit seiner Digitalisierungsbeauftragten ins Bett geht, die außerdem selbstverständlich irgendwie queer ist, aber total ehrgeizig usw. – ein rundum freundlicher, lebensbejahender, oft lustiger Film, wie er wohl nur in Frankreich usw. usw. usw. – was ganz anderes aber, nicht das immer Gleiche, macht Bradley Cooper, der führt nämlich neuerdings Regie. Was dabei rausgekommen ist, läuft auf diesem Festival außer Konkurrenz und heißt „A Star is Born“, der Titel bezieht sich auf Lady Gaga, die hier die Sängerin Ally spielt, die Cooper als Rockstar Jackson Maine entdeckt, das Drehbuch ist uralt (Jawohl, der Hit von Moss Hart) und… wie soll ich sagen… also… man geht halt rein, zwischen zwei Kritiklieblingen, zwischen Arthouse und Arthouse, in diese Riesenschnulze über die Liebe zur Musik, die Probleme der kreativen Doppelverdienstpartnerschaften, Alkoholismus, Familienlasten, Freundschaft, und es ist, wie nennt man das denn, wenn… also… ich meine, klar, man darf auch mal eine romantische Tragödie oder Komödie mögen, ja sogar sehr, sehr doll mögen, wenn Michelle Pfeiffer mitspielen und Al Pacino und solche anerkannten Edelkräfte… aber dass Lady Gaga so selbstvergessen unter lauter Drag Queens „La Vie en Rose“ schmettern kann, dass Bradley Coopers Bart so zärtlich knistert, wenn die schreckliche Wahrheit sich offenbart, und dass… ja… wie kann man das jetzt… wie sagt man… die Frau drei Sitze neben mir hat bis zum Schluss die Fassung gewahrt, aber dann fing sie auch an zu heulen, so schön war das in diesem Schmalz. Ich hab’s genau gesehen, durch den eigenen Tränenschleier.