Filmfestival

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Was sonst noch geschah: Notizen aus Cannes

Intelligenz und Intuition

Am Dienstag lief mit “Ich war zuhause, aber” von Angela Schanelec der dritte deutsche Beitrag im Wettbewerb. Ich habe im Lauf der Jahre mehrfach ausführlich mit der Regisseurin über ihre Filme gesprochen. Dabei brauchen wir immer ein bisschen, bis wir ins Gespräch kommen. Denn mit den üblichen Fragen („Warum haben Sie das gemacht?“, „Was haben Sie sich dabei gedacht?“) kommt man bei Angela Schanelec nicht weit. Sie meint, und mit Recht, dass die Filme eigentlich schon die Antwort sind. Trotzdem gibt es natürlich eine Menge, was sich explizieren lässt. Manches wird schriftlich ergänzt, und so habe ich schließlich ein Protokoll einer Reflexion, die vielleicht doch ein wenig helfen kann, zu “Ich war zuhause, aber” einige Verständnishorizonte zu öffnen.

Angela Schanelec

Der Titel

Der Titel war das erste, was ich geschrieben habe. Wahrscheinlich hatte ich dadurch das Gefühl, an meinem eigenen Film “Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben” (1994) weiter zu schreiben, und dann war da natürlich der Titel des Films von Yasujiro Ozu: “Ich wurde geboren, aber” . Ich glaube, das ist der schönste Titel, den man sich vorstellen kann. Bei Ozu geht es um das Bild, das sich die Söhne von ihrem Vater machen, und dieses Bild ist bei mir eine Leerstelle. Und darum kreist der Film, nicht nur, aber auch.

Die Idee

Es hat angefangen mit der Geschichte des Jungen, der nicht mehr da ist beziehungsweise der auftaucht, nachdem er nicht mehr da war, und der nicht einzuschätzen ist, in den man nicht dringen kann, der sich ganz unabhängig bewegt. Im Grunde wie ein Erwachsener, oder wie der Vater, den er nicht mehr hat. Aber er ist erst 13. Und was bedeutet das dann für die Anderen, was bedeutet das für seine Mutter. Das hat mit Nachmittag angefangen, dass ich versuche, etwas über das Verhältnis Mutter und Sohn rauszufinden.

Das lange Gespräch mit dem Filmemacher

Ich finde es schön, eine Schauspielerin sagen zu lassen, dass das Spiel immer Lüge ist.

Hamlet

Bei Hamlet gibt es auch das Verschwinden des Vaters. Ich weiß aber gar nicht, ob dieser Inhalt so den Ausschlag gegeben hat. Hamlet ist verzweifelt und auf sehr schmerzhafte Weise bei Verstand. Da ist etwas Körperliches, was mich beim Übersetzen zu dieser Figur hingezogen hat wie zu einem Menschen, den man sehr gerne verstehen möchte, aber man kann es nicht, und die Empfindung dieser Lücke, dieses Versagens, von der kann man sich nicht mehr befreien. Es ist das Bedürfnis, den Anderen erfassen zu wollen. Und natürlich ist es schmerzlich, wenn er dann geht. Und ebenso schmerzlich ist es, Ich spreche von der Liebe zwischen Mann und Frau, wenn diese Lücke geschlossen wird, und die Liebe damit endet. Ich glaube, das ist von Marguerite Duras, es ist jedenfalls nicht von mir: die eigentliche Liebe, die wirkliche, entscheidende Liebe, in der man gibt ohne zu nehmen, das ist die zwischen Mutter und Kind.

Verstehen

Ich glaube auch, dass das, was wir mit Verstehen meinen, völlig überbewertet ist. Es gibt das Verständnis, aber es gibt auch das Missverständnis, aus dem etwas entstehen kann, was dann existiert und wahr ist. Wir aber wollen immer verstehen, und weil es so überbewertet ist, verlässt man sich darauf, aber im nächsten Moment ist es nicht mehr existent und man weiß nicht mehr, wieso man glaubte, sich darauf verlassen zu können. Jemanden zu verstehen hat eine große Kraft, aber nur für einen Moment. Der Wert dieses Moments ist nicht zu messen und unwiderruflich, aber es ist ein Moment. Es ist sinnlos, zu bedauern, dass er vergeht. Woran also halten wir uns fest?

Kindertheater

Mein Bedürfnis, Hamlet mit Kindern zu machen, hat mit der Sprache zu tun. Sie die Sätze sagen zu lassen. Dahinter steht die Frage, inwieweit Spielen bedeutet, etwas zu sagen, in einer Sprache, die bereits Ausdruck ist – was heißt das überhaupt? Dialog müsste doch eigentlich Zurückkehren zum Sagen sein. Und können wir herausfinden, ob das so ist, indem wir die Sätze einen 13 Jährigen sagen lassen? Die Kinder spielen in genau dem Maße, in dem es ihnen passiert, zu spielen. Sie nehmen sich nichts vor, weil was sie sagen, viel zu weit weg ist von ihnen. Das, was sonst verdeckt ist durch das „Schauspiel“, liegt jetzt offen.

Ideen

Es gibt nicht Ideen hinter etwas. Man schreibt eine Szene und dann sucht man den Ort dafür. Ich schaue mich um, in dem Fall mit dem Kameramann, und wir sprechen darüber: Kann es dieser Ort sein? Spielfilm bedeutet ja eigentlich nur, etwas passieren zu lassen, was sonst nicht passieren würde.

Der Kameramann Ivan Markovic

Ivan Markovic ist jung. Ich habe zwei seiner Kurzfilme gesehen, und dann auch einen langen Film, “All the cities of the north” von Dane Komljen. Er zeigt jetzt auch einen eigenen Film im Forum. Über ihn kam es am Ende auch zu der Koproduktion mit Serbien. Die ganze Zusammenarbeit war ein Glücksfall.

Kinderwunsch

Wenn es eine Mutter gibt, ist immer das Gegenbild auch präsent: eine Frau, die kein Kind haben möchte. Natürlich ist das eine interessante Frage, die ich nicht erschöpfend erörtern kann – deswegen mache ich einen Film darüber: Warum pflanzen wir uns überhaupt fort? Klar, darauf gibt es eine Antwort, aber was ist die Ausprägung heute, in dieser Welt? Womit ist man konfrontiert, wenn man sich diese Frage stellt?

Lehrer

Ich habe nie Lehrer gesehen, die sich so verhalten, aber ich fände es interessant, wenn sie sich so verhalten würden. Ich glaube, dann würde mehr zum Ausdruck kommen von ihrer Situation und Befindlichkeit, als wenn sie das ständig zudecken. Diese Umkehrung: die Kinder sind die Weisen und die Lehrer sind die Hilflosen, gibt es immer wieder in diesem Film.

Die Hauptdarstellerin Maren Eggert

Die Verbindung zwischen Intelligenz und Intuition ist bei Maren eins. Sie begreift, und das führt aber nicht zu einer Überlegung, sondern zu einer Handlung Die Handlung kann auch Sprechen sein. Ich finde sie sehr schön, ich habe Lust, sie zu fotografieren. Ihre Größe.

Tiere

Ich dachte an die Bremer Stadtmusikanten. Das Märchen handelt von Tieren, die von Menschen nicht mehr gebraucht werden, und die sich zusammentun und in ein Haus ziehen und in der Gemeinschaft nicht zu überwältigen sind, sondern stark.

Publikum

Man wirft mir manchmal vor, ich würde etwas verweigern, aber ich verweigere nichts.