Filmfestival

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Was sonst noch geschah: Notizen aus Cannes

Schauspielerinnen spielen Schauspielerinnen

© dpaMarina di Girolamo in “Ema” von Pablo Larrain

Das Beeindruckendste war die Pressekonferenz. Nicht die Pressekonferenz zum Film „Seberg“, in dem die mit jedem Film immer größere Kristen Stewart die eh schon große Jean Seberg spielt. In dieser Pressekonferenz war gar nicht so viel los, fast so wenig wie auf der Pressekonferenz zu „J’accuse“ von  Roman Polanski, auf der eine kluge Frau zu verstehen gab, sie könne nicht für den Regisseur sprechen, so dass sie ungehindert und zu dieser Sache unbefragt fortfahren konnte, mehr oder weniger genau das zu tun. Das Beeindruckendste an „Seberg“ aber war die Szene, in der Stewart als Seberg eine Pressekonferenz gibt, um die Presse anzuklagen, vor der Presse. Sie wirft dieser Weltmacht Medien vor, sie mit Hetze und Lügen schikaniert zu haben, im Auftrag einer größeren, nicht benannten Macht (das FBI steckte dahinter, wenn auch nicht als Auftraggeber im strengen Sinn, aber Seberg sollte als Unterstützerin militanter African-Americans zum Schweigen gebracht werden, der Fall ist authentisch, so war es).

Sie hat ihr Kind verloren, sie hat versucht, sich umzubringen, sie übernimmt für beides die Verantwortung, aber dass andere sie terrorisiert haben, verschweigt sie nicht. Bis dahin habe ich Stewart nicht glauben können, dass sie Seberg ist, aber das ruhige Sprechen, die Würde, das Rückgrat in diesem Moment machen die Wende glaubhaft, man glaubt der Schauspielerin die andere Schauspielerin in dem Augenblick, in dem die Dargestellte nicht mehr schauspielern kann.

© REUTERSDie Schauspieler Kristen Stewart, Jack O’Connell und Regisseur Benedict Andrews.

Ethisch ist es freilich bedenklich, allgemeine Dinge über Wahrheit und die darstellenden Künste und beider Verhältnis an einem besonderen, einem wirklich stattgefundenen Fall zu untersuchen; die Kunst findet da meistens nur, was sie finden will, und tut deshalb besser daran, ihren Gegenstand gleich ehrlich zu erfinden wie Hirokazu Kore-eda seine Schauspielveteranin im Wettbewerbs-Auftaktfilm „La Vérité“, denn so darf Catherine Deneuve, die diese Gestalt verkörpert, bei Nennung des Namens „Brigitte Bardot“ so missbilligend gucken, wie man sich immer schon gedacht hat, dass die Deneuve guckt, wenn man die Bardot erwähnt, und trotzdem fällt es nicht auf die empirische Catherine zurück, weil sie ja eine erfundene Fabienne ist – so wie Scarlett Johansson als Frau anderen Namens keinen wirklichen Mann schlechtmacht, wenn sie Adam Driver als Kerl anderen Namens in „Marriage Story“, einem weiteren Wettbewerbsbeitrag, in dem eine Schauspielerin eine Schauspielerin spielt, dafür zur Verantwortung zieht, weil er ihre Schauspielkarriere gebremst hat, statt ihr dafür dankbar zu sein, dass er es als Theaterregisseur Dank ihrer Mitwirkung an seinen Projekten zu was gebracht hat.

Viel komplizierter als diese leicht durchschaubare, im Film für viele gute Witze und ergreifende Schmerzensdialoge genutzte Konstellation ist das, was die Titeltänzerin „Ema“ in Pablo Larraíns gleichnamigem Film mit ihrem Gatten und Choreographen verbindet – ein Feuer, das Menschen frisst, als Sex verkleidet, und eine dämonische Sorte Familiensinn, die dem Spiel Vater-Mutter-Kind tausendmal gefährlicher werden muss als alle antiautoritären Experimente der Achtundsechziger. Bei „Ema“ hört das Spiel der Frau, die hier eine Frau spielt, welche mit sich und anderen spielt, an keinem der Punkte auf, über die alle anderen Filme sich nicht heraustreten, es wird mit Haut und Haaren der Ernst vom Spiel verschlungen und umgekehrt, das Werk ist komplett pervers und Pablo Larraín ein Irrer. Aber ein sehr ruhiger. Ich meine das als Lob. Ich fürchte mich vor diesem Mann und vor seinem Star, der unbegreiflichen Mariana Di Girolamo. Die sind nicht von hier, von dieser Welt, wo man Handeln einerseits und So-tun-als-ob andererseits unterscheiden kann. Die sind von einem Planeten, wo böse Musik wie Grundwasser unter allem strömt, siedend heiß, von Feuer nicht verschieden. Wer auf eine Pressekonferenz geht, um sich Filme wie „Ema“ erklären zu lassen, wird nicht viel erfahren. Wer aber den Kopf auf den Boden legt, damit dieser Film drüberfahren kann, wird was ganz Besonderes erleben. Demnächst, wie immer, im Kino.