
Am Montag war ich früh unterwegs, denn ich wollte einen Schauspieler treffen, der zu den größten Stars auf der diesjährigen Berlinale zählt: Jason Segel. In den nuller Jahren sah es eine Weile so aus, als würde in Hollywood die Filmkomödie ganz neu erfunden, nämlich als Experimentierfeld für eine Gesellschaft, die sich nicht durch gegenseitiges Aufrechnen von Identitäten definiert, sondern durch die Suche nach einem Gleichgewicht aus Peinlichkeiten. Es gab damals eindeutig radikalere Versuche als Forgetting Sarah Marshall (Nie wieder Sex mit der Ex), aber diese romantische Komödie aus dem Jahr 2008 ist bis heute ein Schlüsselmoment für den Boom des Genres. Jason Segel spielte damals an der Seite von Mila Kunis, unvergesslich ist der Film nicht zuletzt wegen einer berühmten Nacktszene. Bekannt ist Segel aber natürlich vor allem aus der Sitcom How I Met Your Mother, die von 2005 bis 2014 lief, und in der er Marshall Eriksen spielte, die zweite männliche Hauptrolle.
Ich hätte gern ein Interview mit Segel gemacht, aber es war gleich klar, dass das schwierig werden würde. Für Montagmorgen war ein kurzer Auftritt von ihm beim Berlinale Series Market angekündigt. Eine Viertelstunde Keynote Conversation. Als Pressekontakt war eine Agentur in London angegeben, mit der ich schon öfter zu tun hatte, meistens in Form von Emails, auf die niemals eine Antwort kommt. Diese Agentur betreut die eher größeren Talents auf diesem Planeten, und den Vorschlag, man könnte doch „einfach mal so“ und „ohne Termindruck“ ausführlicher über etwas sprechen, kann man auch als Flaschenpost versenden, wenn man nicht gerade von Vanity Fair kommt. Und dort geschieht schon gar nichts „einfach mal so“.
Der Berlinale Series Market findet im Zoopalast statt und ist sehr lehrreich. Denn hier bekommt man einen Eindruck von dem Hintergrundrauschen, von dem das goldene Zeitalter des Serienerzählens begleitet wird. Pitching und Networking sind die Stichworte in einem Zusammenhang, in dem Kreativität auf eine Menge Steuergeld trifft, denn alle Länder wollen in dem großen Spiel dabeisein, das gerade im Gang ist: Unterhalb der großen Streamingportale kündigt sich eine neue Medienordnung an, von der wir wohl in ein paar Jahren schon sehen werden, ob das europäische Modell einer massiv geförderten Medienwirtschaft zu mehr führt als nur zu lokalen Serienklons für Netflix. Heute werde ich noch einmal hinschauen zum Berlinale Series Market, mich interessiert die Showcase-Veranstaltung „Killing Stereotypes About Central & Eastern Europe“.
Jason Segel präsentierte eine Serie mit dem Titel Dispatches from Elsewhere, die er geschrieben hat und in der er von der Hauptrolle bis zur Regie bei der ersten Folge sehr viel selber gemacht hat. Er präsentierte sie mit dem Satz, es wäre „meine Annäherung an Der Zauberer von Oz“. Das ist natürlich gleich einmal sehr zitabel. Er ließ dann auch durchblicken, dass gerade ein neues Kapitel in seinem Leben und in seinem Schaffen beginnt. Er ist gerade 40 geworden, und die letzten 20 Jahre hindurch war er im Grunde ununterbrochen beschäftigt, ohne dass er groß zum Nachdenken kam.
Entscheidend war, darauf verwies er gestern auch wieder, die Begegnung mit dem Produzenten und Regisseur Judd Apatow. Jason Segel war 1999 Teil des Ensembles in der Serie Freaks & Geeks, die heute als ein Meilenstein in der avancierten Fernsehunterhaltung gesehen wird: James Franco und Seth Rogen waren damals auch dabei.
Apatow gab Segel schon damals einen Rat: „Du bist ein merkwürdiger Typ (weird dude), du wirst besser zurechtkommen, wenn du selber schreibst“. Das waren prophetische Worte, die sich erst jetzt so richtig bestätigen. Denn Segel geriet mit Forgetting Sarah Marshall in eine Art Sackgasse. Der Film war so erfolgreich, dass daraus eine Formel werden sollte. Das hat nicht so richtig geklappt: „Ich habe versucht, Kunst zu fabrizieren“, sagte Segel gestern.
Dispatches from Elsewhere erzählt nun von vier Figuren, deren Leben, na ja, man könnte sagen, verzaubert wird. „In so vielen Serien geht es heute darum, dass Leute damit zurechtkommen, dass sie irgendein außergewöhnliches Talent haben, dass sie Superhelden sind. In meiner Serie geht es darum, dass Leute damit zurechtkommen, dass sie wie alle anderen sind.“ Dispatches from Elsewhere wird in den USA auf AMC laufen, und in Deutschland ist ab Mai auf Amazon Prime. Wer weiß, vielleicht gibt es dann ja noch einmal eine Gelegenheit, eine E-Mail nach London zu schicken, um mit einem „weird dude“ doch noch über die neuesten Ausprägungen des Merkwürdigen zu sprechen.
