
Gestern habe ich eine Zwiebel gegessen, komplett am Stück, wie einen Apfel. Nicht weil ich sie mag, sondern weil ich in Stimmung war. Ich hatte „Kruso“ von Lutz Seiler zu Ende gelesen, und dann nahm ich mir eine schöne, große Gemüsezwiebel und biss hinein. Wie es der Protagonist des Romans regelmäßig getan hat, mittags Punkt Zwölf. „Zwiebel war (neben Blutwurst) die einzige Sache, die Ed nicht oder nur äußerst ungern aß – jetzt schmeckte sie ihm. Auch die Empfindlichkeit seines Magens schien plötzlich überwunden.“ Die Zwiebel war seine erste eigene Gewohnheit, ein mittägliches Ritual, ja, mehr noch: Sie stärkte und tröstete ihn in schwierigen Situationen. Was für mich ein einmaliges Experiment bleiben dürfte, ist für Edgar Bendler ein Stimmungsessen, oder Comfort Food wie es in Fachkreisen genannt wird.
Allerdings stellt die Zwiebel, allein was ihre Kalorienmenge betrifft, eine Ausnahme dar – meistens ist Comfort Food, ob süß oder pikant, nämlich vor allem geschmacksintensiv, fetthaltig und kalorienreich. Was aber weckt in uns, trotz des Wissens, dass es sich nicht gerade um die gesündesten Lebensmittel handelt, dieses zügellose Verlangen nach Eiscreme und Chips?
Eine Frage, die nicht nur die Werbeindustrie, sondern auch die Psychologie beschäftigt. Wie sehr manipulieren uns unsere Gefühle? Spielen wir, sobald wir in einer bestimmten Stimmung sind, unliebsame Nebenwirkungen von Fett und Zucker, einfach runter? Wie stark setzen Gefühle unser Urteilsvermögen außer Kraft? Die Professorin Petra Platte von der Universität Würzburg hat sich diese Frage gestellt und kam zu dem Ergebnis: Gefühle, negative wie positive, beeinträchtigen nicht nur unser Geschmackserlebnis, sie verleiten uns auch, den Fettgehalt von Lebensmitteln zu unterschätzen. Studienteilnehmer sahen Videosequenzen mit a) glücklichem, b) traurigem und c) langweiligem Inhalt. Anschließend sollten sie die Höhe des Fettgehalts in einem Mix aus Milch und Sahne schätzen. Wer emotionale Filme gesehen hatte, unterschätze den Fettgehalt signifikant, ein Effekt, der beim Konsum von langweiligen Filmen ausblieb. Petra Platte führt dieses Ergebnis auf die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zurück. „Ich verliere mich in der emotionalen Situation, und habe keine Ressourcen mehr, den Fettgehalt zu bewerten.“ Besonders anfällig hierfür seien von Natur aus emotionale Menschen.
Lebe lieber langweilig! Ist es also das, was wir unserer Freundin, die sich regelmäßig über Gewichtszunahme beklagt, demnächst raten sollten? Tatsache ist: Gefühle stellen eine Komponente dar, wenn es um Gewichtszunahme geht, aber eben nur eine. Was beflissene Ernährungsberater freilich nicht davon abhält, Gewichtszunahme allein darauf zu reduzieren. Frei nach dem Motto: Bekomme deine Gefühle in Griff und du wirst dein Wunschgewicht erhalten. Die (bemerkenswert) erfolgreiche Buchautorin Dr. Susanne Albers spricht davon, „Gefühle zu dimmen“, sie rät zu Selbstgesprächen, Tagebuch schreiben und tiefem Atmen. Allgemeinschauplätzen wie: “Ein erfolgreicher Esser ist jemand, der Süßigkeiten essen und damit aufhören kann, bevor er zu schlemmen beginnt”, folgen etwa solche Empfehlungen: “Kauen Sie Kaugummi – beim Lesen von Speisekarten, in Stresssituationen, eine Viertelstunde vor einer Mahlzeit, drei bis fünfzehn Minuten vor einer Entscheidung.” Was einige unter uns trösten dürfte: Ein Mensch mit hoher emotionaler Intelligenz (erfolgreicher Esser) sei vielleicht nicht Klassenbester, vermutet Albers, aber ein idealer Freund und Kollege. (Wenn man Kaugummi kauende Menschen mag.)
Verführerisch: Dopamin
Vielleicht sollten wir einfach aufhören, Essen und Erfolg derart eng miteinander zu verknüpfen und das Genießen wieder in den Vordergrund rücken, einschließlich, sich verführen zu lassen. Nach einer üppigen Mahlzeit ein Tiramisu zu löffeln, mag rational betrachtet wie ein Kurzschluss im kompetenten Entscheidungssystem aussehen, hat unter anderem aber biochemische Gründe: Dopamin. Dieser Botenstoff wird im Belohnungssystem des Gehirns ausgeschüttet, wenn wir uns an positive Erfahrungen erinnern, besonders an solche, die das Überleben sichern. Nun muss man nicht mit fünf Tafeln Schokolade am Fahrradrahmen über die Alpen fahren, um diesen Mechanismus in Gang zu setzen, es genügt bereits ein Schokoladeneis zum Nachtisch, weil man “seinen Teller schön leergegessen hat”. Das Gehirn speichert das Eis als kalorische Notfallreserve. Sobald eine positive Assoziation wie diese wachgerufen wird, gibt uns Dopamin im entscheidenden Moment einen Stupser, ja zu sagen. Jedes Mal, wenn wir dann Schokoladeneis essen, und es genießen, stärken wir die Dopamin Antwort und die Verhaltensweise, die uns dieses Gefühl möglichst rasch wieder beschert.
Kein Wunder also, dass ich regelmäßig zwei Kilo zunehme, wenn ich ein Wochenende bei meiner Mutter verbringe und Zuwendung in Form von Essen genieße. Kuchen, Schokolade, die zweite und dritte Portion vom Lieblingsessen – all das findet ungehindert Einlass in meinen Körper, weil ich seit Kindertagen damit entweder Belohnung, Trost oder Geborgenheit verbinde.
Trostessen funktioniert besonders gut bei Menschen mit sicheren sozialen Bindungen
Shira Gabriel, Professorin an der New York State University, dürfte das als ein gutes Zeichen werten. Sie und ihre Kollegen entdeckten: Comfort Food wird bevorzugt von Menschen mit sicherem Bindungsstil konsumiert, besonders in emotionalen Stresssituationen. In Zeiten also, in denen man sich am liebsten zurück in die (groß-) elterliche Küche verkriechen möchte. Dieser Effekt bleibt bei Menschen mit einem ambivalenten oder vermeidenden Bindungsstil aus. Für sie, so Shira Gabriel, sei der Trosteffekt weniger stark ausgeprägt. Der Bindungsstil formt sich in der frühen Kindheit, entwicklungsbiologisch in einer sensiblen Phase für die Herausbildung des Essverhaltens. Liebe geht buchstäblich vom ersten Tag an durch den Magen. Kinder die gestillt werden, erhalten mit der mütterlichen Milch das Bindungshormon Oxytozin. Dieses Hormon wirkt besänftigend, vertrauensbildend und wird über das Stillen hinaus auch bei inniger Zweisamkeit ausgeschüttet.
Auch später machen wir die Erfahrung, dass Essen immer dann besonders schmeckt, wenn wir in angenehmer Gesellschaft sind. Umgekehrt kann einem beim Anblick des ein oder anderen Tischnachbarn der Appetit gründlich vergehen. Manche meinen sogar das Ende einer Beziehung voraussehen zu können, wenn sie das Gegenüber beim Essen nicht mehr ertragen. Je nachdem was dann auf dem Teller liegt, kann die Stimmung noch weiter in den Keller rauschen.
Ungesundes Essen verstärkt schlechte Stimmung
Laut einer Studie, die im März diesen Jahres auf der Psychosomatik-Konferenz in Miami vorgestellt wurde, verstärkt ungesundes Essen schlechte Stimmung. Vor allem bei Frauen, die sich um ihre Figur Gedanken machen, was erklärt, warum Bridget Jones mit ihrem XL Becher Eiscreme auch nicht glücklich wird. Der zweite Teil der Studie überraschte: Wer gute Laune hat, dem kann auch Fast Food die Stimmung nicht verderben. Frisch Verliebte können also zugreifen, ohne mit einem Stimmungstief dafür zu büßen. Frisch Getrennte sollten besser Salat essen. Bei einem guten Freund scheint’s zu funktionieren. Bei ihm kann ich mittlerweile den Beziehungsstatus am Gewicht ablesen: wohlgenährt im Beziehungshafen, schlank als Single. Edgar Bendler dürfte all das reichlich egal sein, seine Zwiebel macht ihn frei von allem.
Zwiebelglück
Ist das kompliziert!
Aber Sie haben ja Ihren Glücksbringer. Dabei gibt es eine ganz einfache Methode, um in Form zu bleiben …
Mit fielen Grüßen!
Bernard del Monaco
So seh ich es ... !
Wie der Name sagt, “Comfort Food” ist fuer mich meist eine Belohnung — you deserve it — und man fuehlt sich, nun ja comfortable. In der momentanen Ekstase des Geniessens, denke ich kaum an Kalorien. Da bleibt meist nur der seelige Gedanke: “Go ahead, enjoy the good stuff … to hell with the calories.” Oder “Calories be damned, full speed ahead.”
Bon Appetit