Food Affair

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Wie wir intelligenter essen

Schlemmerfilet Bordelaise, oder: Industriefisch macht glücklich

| 24 Lesermeinungen

###Eine Packung Schlemmerfilet Bordelaise. Moment – “Schlemmer”? “Filet”? “Bordelaise”?

Als es wieder einmal in der Kantine das gefürchtete „Schlemmerfilet Bordelaise“ gab, schaute ich auf die graugrüne Kruste, unter der weißes Fleisch herauslappte, und beschloss, dass das so nicht gemeint sein kann. Eigentlich ist an dieser Bezeichnung alles Lüge. Das Schlemmerfilet Bordelaise ist weder Schlemmer noch Filet noch Bordelaise. Es ist ein zusammengestückelter Fischklotz, zugegebenermaßen grätenfrei, belegt mit Semmelbröseln, Gewürzen und Fett, der in einer Aluschale vor sich hinsuppt. Rotwein hat diese Bordelaise nie gesehen, und auch sonst nichts, was entweder eine Sauce Bordelaise oder wahlweise eine Garnitur à la Bordelaise ausmachen würde. Sie hat soviel mit Bordeaux zu tun wie der Toast Hawaii mit Hawaii.

Tatsächlich wurde das Schlemmerfilet Bordelaise im Jahre 1969 von der Firma Iglo erfunden, und zwar als eines der ersten Fertiggerichte überhaupt. Ein Meilenstein in Sachen Convenience-Food, und ein äußerst langlebiger noch dazu. Es gebe da kein Original, der Name „à la Bordelaise“ knüpfe nur an die französische Esskultur an, wird der Hersteller zitiert. Französisch klingt ja immer gut, gerade im Kulinarischen, irgendwie chicque und à la mode. Für Iglo war es eine infrastrukturell bewährte Sache, das Unternehmen machte nämlich schon seit 1959 schon durch den Verkauf einer anderen fischhaltigen Sättigungskomponente Furore – das Fischstäbchen.

Vermutlich muss man das aus dem Zeitgeist heraus verstehen. Wir reden hier von den sechziger Jahren, die haben zwar die Beatles hervorgebracht, aber eben auch den Betonbrutalismus. Nach Jahren der Hausmannskost durfte sich die Fortschrittsbegeisterung auch im Essen austoben und sorgte für allerlei Eingeglastes und Eingedostes auf den Warenregalen. Das Deutsche Tiefkühlinstitut (ja, so etwas gibt es) kümmerte sich bereits seit den fünfziger Jahren darum, den Gedanken an vorgefertigt Eingefrorenes in die Bevölkerung zu tragen. Es war dann nur noch ein kleiner logischer Schritt, die Tiefkühlkette auch dafür zu nutzen, bereits fertig zubereitete Gerichte in die Truhen der Supermärkte zu bringen. Wenn wir schon unser ganzes Vertrauen in die Industrie setzen, mag man sich damals gedacht haben, warum dann nicht auch in industriell gefertigte Lebensmittel? Die Industrie ist gut für uns. Sie macht uns reich und satt.

Exotiksimulation auf Toast

Das Kochen lernten die Deutschen in den fünfziger und sechziger Jahren von zwei Fernsehköchen – und Intimfeinden: Clemens Wilmenrod (hier ein Sendungsausschnitt) und sein Konkurrent Hans Karl Adam. Der gelernte, aber lange Zeit erfolglose Schauspieler Wilmenrod verwendete in seinen beliebten Kochsendungen nicht nur frische Zutaten, sondern auch Dosengemüse oder Fertigsoßen. Köche rümpften kollektiv Nasen, doch Hausfrauen waren begeistert. Die Sendung war ein Straßenfeger, die verwendeten Zutaten am nächsten Tag regelmäßig ausverkauft. Den Kreationen gab Wilmenrod ziemlich funky Namen wie “Arabisches Reiterfleisch” (Bulette) oder “Venezianischer Weihnachtsschmaus” (Schnitzel). Er soll den Toast Hawaii erfunden haben, dafür ist er bis heute bekannt. Wahrscheinlich war es aber ironischerweise sein Konkurrent Hans Karl Adam, der sich für diese berühmt-berüchtigte Exotiksimulation auf Toast verantwortlich zeichnet.

Nein, die Dosenkost hatte zu Beginn keinen schlechten Ruf, eben sowenig wie tiefgekühltes. Bis heute erinnert man sich gern an eine der Reden des einstigen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, die von ähnlicher verbaler Umständlichkeit ist wie die berühmte Transrapid-Rede Edmund Stoibers, bei Lübke jedoch teilweise auf eine beginnende Krankheit zurückzuführen war (er war auch davor nie ein begnadeter Redner). Er lobt darin den tiefgekühlten im Gegensatz zum frischen Fisch und sei hier ausschnittsweise zitiert:

„Ich habe in Frankfurt ein Essen, ein Fischessen mitgemacht, wo also die Fische aus den Truhen sofort in die Küche kamen. Und die waren dann von den zuständigen Köchen oder Hausfrauen waren die entsprechend behandelt. Und ich kann nur sagen, es ist zwischen dem und den nicht in, durch die Truhen und die Tiefkühlketten herangebrachten frischen Fische, s’ist gar nicht zu vergleichen. Man behauptet nun, die Hausfrauen beziehungsweise die Fischesser hätten sich an die etwas angegangenen, oder äh, Hautgout ausgegangenen Fische besser gewöhnt, sie wären das gewohnt und liebten das, die, dieses mehr als die Frischen. Ich muss nur sagen, wer das sich nebeneinanderhält, der kann überhaupt keine andere Wahl, Wahl, wählen, das. Ohne die, ohne die Tiefkühlketten werden wir uns späterhin nicht mehr die Ernährung verbessern können.“

Ob die lückenlosen Tiefkühlketten, die in den fünfziger Jahren etabliert wurden, die Ernährung der Deutschen tatsächlich drastisch verbessert haben? Vermutlich nicht durch die Kohlehydratscheiben mit Analogkäsebelag, die landläufig als Pizza durchgehen. Immerhin ist gammliger Fisch im Geschäft oder auf dem Markt heute tatsächlich eine Seltenheit geworden. Und Eingefrorenes ist  – zumindest theoretisch – immer noch besser und vitaminhaltiger als alles, was aus der Konserve kommt.

Das Fischfilet Bordelaise jedenfalls ist Industrieessen, wie das meiste, was fertig abgepackt ist und rund zwofuffzig kostet. Gerade jüngst fand man in der Produktion von “Netto” Plastikteilchen. Auch wenn es unsere Kantine nicht müde wird zu servieren (aber dort gibt es auch noch Erbsen-Karotten-Gemüse, so trocken, dass es von der Gabel kullert) – das Schlemmerfilet Bordelaise gehört jetzt bitte langsam ins Lebensmittelmuseum. Gleich neben die Corned-Beef-Sülze. Und den Toast Hawaii mit Dosenananas und grellroter Cocktailkirsche aus der Packung.


24 Lesermeinungen

  1. MrKnopf sagt:

    Ich bekomme Hunger!
    Nein, ich hatte ihn bereits – und jetzt noch MEHR! :–)

    Auch wenn ich selbst mittlerweile einen Bogen um z.B. McDonald’s mache (meistens – da schlechte Gewissen danach wäre zu groß) und meine Zeit zwischen (vermeintlich) hipper Burgerbude und Vegan–Restaurant friste, ab und zu muss dann doch mal dieses generische ,,Industrie–Essen” her – ganz gleich, ob es nun auf Filet oder sonst was besteht! :–)

    Was morgen auf den Tisch kommt, steht nun jedenfalls fest.

    Auch ein Klassiker (und bis heute dafür verantwortlich, dass ich selbst die teuerste Restaurant–Bolognese als bestenfalls halbwegs passabel erachte): Spaghetti Bolognese von Maggi FIX!

  2. Sabi9999 sagt:

    Dekadenz
    Da spricht nur die Dekadenz, die sich Restaurants mit Michelin-Sternen
    auf Rechnung des Chefs besucht und schlemmen darf bei weltberühmten
    maitres de cuisine – das einfache Volk kann sich nur “Industrie-Fisch”
    leisten. Wer hoch fliegt fällt auch tief !!!!!

  3. AlexPaladin sagt:

    Nett, aber
    das ist allein Ihre Meinung. Wenn ich mir ein Filet a la Bordelaise in den Ofen schiebe erwarte ich ganz sicher kein Sterne-Koch-Essen und auch nicht eine veganisch gesunde Mahlzeit. Warum sind wir eigentlich so verdammt erpicht darauf alles abzuschaffen und umzuwandeln? Jetzt also mal wieder den Lebensmittelfascho raushängen lassen. Bitte nicht!
    Wer’s mag soll’s auch essen und basta. Ich sage einem Veganer ja auch nciht er soll sich mal nen Cappuccino reinhauen oder ein Wiener-Schnitzel braten. Wenn Sie persönlich kein Schlemmer-Filet mögen, dann nehmen Sie sich doch nen gemischten Salat in der Kantine oder eines von den unheimlich leckeren Mayonnaise-Brötchen. Da würde ich jederzeit einen “Fischklotz” a la Bordelaise vorziehen. Guten Appetit weiterhin.

  4. imernst sagt:

    Im Grunde...
    …ist das alles nicht zu schwer um es selbst herzustellen. Ein schönes Fischfilet (um Gotteswillen kein Thunfisch) z.B. Kabeljau. Butter, Semmelbrösel, Knoblauch, Zwiebeln und Kräuter (Estragon kommt dem Original nahe) der Wahl (alles natürlich kleingeschnitten) zu einer Paste verrühren. Filet in die Auflaufform, Paste draufstreichen und ab in den Ofen. Die Vorbereitung dauert (wenn man die entsprechenden Kräuter auf dem Balkon hat) vielleicht 15 Minuten länger. Ausprobieren lohnt sich!

  5. Clone1337 sagt:

    Tiefkühlfertigessen
    Es gibt heute auch sehr gutes Tiefkühlessen, die Innovationen sind nicht stehengeblieben. Frostas Tiefkühlbeutel z.B. sind sehr lecker, schmecken zumindest frisch, die Zutaten sind zumindest noch knackig, wenn sie knackig seien sollen und sind super einfach zu machen. Ohne sie würde ich in einem Singlehaushalt wohl nur noch sehr wenig (gefühlt) gesundes Essen zu mir nehmen.
    Das “Schlemmerfilet” empfand ich schon immer mehr als seltsam, auch als Kind, meine Mutter mochte das immer gerne. Aber wie jemand gesagt hat, das ist wohl das billigste Tiefkühlgericht (deshalb auch in der Kantine zu finden) auf dem Markt und schmeckt dementsprechend. Früher war es nicht billig. Da wurde nunmal nicht am Preis aufgedreht, sondern am Produkt abgedreht.

    Schlimmer als TK-Fertiggerichte sind nicht TK-Fertiggerichte. Da landet man häufig an ungenießbarem pampigen Zeug, das auch nur entfernt an das erinnert, was es darstellen sollen. Da bleib ich bei der TK, aber nicht beim Schlemmerfilet ohne Schlemmer und ohne Filet.

  6. nvovn sagt:

    Alternative?
    Aha. Die 60er waren also die Unkultur in Reibform. Nun, die Basis dieses, zugegeben aus meiner Hobbykoch-Perspektive merkwürdig verwürzten, Fertiggerichts ist das kurz nach dem Fang schockgefrorene Filet (denn was sonst ist ein grätenfreies Stück Fisch sonst?) des Pazifischen Pollack.

    Das ist sauberstes MSC-Wildfischfleisch.

    Wenn das bereits “Industrieessen” ist, welche Worte hat die Autorin dann noch für erst in deutlich jüngerer Zeit in Mode gekommenen norwegischen “Zuchtlachs” und vietnamesischen “Pangasius” im Köcher?!

    Diesseits von “Sondermüll” fällt mir wenig ein.

    • BrunoGio sagt:

      Pangasius, einmal und nie wieder
      Schlemmer-Filet ist sicher nicht der Gipfel der Cuisine, aber es gibt weitaus Schlimmeres.
      Pangasius ist wirklich so ein Fall. Einmal getestet, noch nie ein so dermaßen nach nichts schmeckenden Fisch gegessen. Geht gar nicht. Von den Antibiotika-Belastungen noch nicht mal geredet. Dagegen ist das Filet beim S-F wahrlich Edelfisch.

  7. SeymourH sagt:

    Alumunium
    derzeit wandert ja die Berichterstattung über Aluminium und die möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit durch die Medien, etwa in Form einer vorzeitigen und stärkeren Erkrankung als Alzheimer. In dieser Hinsicht ist das Schlemmerfilet wohl besonders belastet, hat es doch direkten Kontakt zum Alumunium und wird auch noch zusammen erhitzt

  8. Jacobengel sagt:

    Der TK-Fisch ist der falsche Feind
    Jaja, überhebliches Naserümpfen über “Industrieessen” ist hip. Nicht mehr diskussionsfähig, weil alle eh der Meinung sind, früher bei Mutti war das Essen besser. Was bitte ist gegen tiefgefrorenen Fisch einzuwenden? Die meisten davon sind frischer als die vom Fischstand. OK, Iglu muss da tatsächlich nicht noch eine Gemüse-Fett-Pampe draufschmieren, aber insgesamt ist das ok, und gesunde, hochwertige Nahrung ist so ein Kabeljau allemal. Ein Döner oder ne Wurst ist im Vergleich dazu deutlich ekliger. Oder Zucker-Fett-Matsch (Vulgo: Kuchen): Auch wenn es öko und ach so hochwertig ist, Zucker-Fett bleibt es. Aber das ist ja kein “Industrie”-essen, sondern Manufaktur, und damit von Kritik ausgenommen. Das verstehe, wer will.

  9. vodoeconomix sagt:

    Früher sehr lecker - heute ungenießbar...
    Ich habe das Schlemmerfilet a la Bordelaise (das Original!) seit den frühen 80er Jahren heißgeliebt, am besten mit Ofentomate und Reis. Das gab’s bei meiner damaligen Freundin ab und zu mittags. Eine Packung reichte für zwei Personen. Das Fischstück war dick, saftig und grätenfrei, die Auflage knusprig-lecker. Ich glaube es war Seehecht. Da meine jetzige Frau keine Fertiggerichte mag, kaufte ich es viele Jahre lang nicht mehr. Vor ein paar Wochen, ich war abends allein, habe ich es mir mal wieder gegönnt. Es war eine Enttäuschung auf ganzer Linie: Das Fischstück war dünn, trocken, geschmacklos, die Auflage fettig und völlig anders gewürzt. Insgesamt eine eklige Pampe. Habe das Machwerk sogar mit und ohne Auflage fotografiert, bevor ich das meiste wegwarf. Auffällig günstig war allerdings der Preis, ich glaube unter zwei Euro. Früher kostete es etwas über vier DM, wenn ich es richtig erinnere. Zur Entschuldigung des Hersteller würde ich sagen, dass man für so wenig Geld sicher keine Qualität bieten kann. Aber dann sollte man das Produkt lieber vom Markt nehmen, anstatt so etwas anzubieten. Für das Original würde ich auch 3,99 Euro oder so bezahlen, aber dann muss es wirklich wie früher sein. Lustig, dass die FAZ einen Artikel über so weltbewegende Dinge veröffentlicht. Übrigens, andere Produkte heißen auch nur so wie früher, schmecken aber nicht mehr so, z. B. Tritop Getränkesirup. Kauft man nur einmal, der Erinnerung wegen. Schade…

    • Andrea Diener sagt:

      Na, die Blogs haben wir ja, damit man auch mal über Dinge am Rande der Wahrnehmung schreiben kann!

    • -simon- sagt:

      Titel eingeben
      Herr Doors. mir erging es nicht anders. Gleich, nachdem dieses Schlemmerfilet auf den Markt kam, kaufte meine Mutter eine Packung wir waren begeistert. Auch Jahre danach noch gab es öfter dieses Filet. Nachdem ich in Düsseldorf verheiratet war, 70er Jahre, konnte man das Zeug ebenfalls noch essen. Unterdessen verwitwet habe ich im letzten Jahr mal eine Packung gekauft und war schlichtweg entsetzt. Das hatte aber auch gar nichts mehr mit dem zu tun, an das ich mich erinnerte. Und ja, es war Seehecht damals.

  10. donferrando sagt:

    Gutschein
    Und den Gutschein auf der Packung nutzen Sie gleich für Ihre nächste Reportage im Reiseblatt und wrint :-)

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