
Ein Biomittagessen ist nicht nur ein Mittagessen, es ist ein soziales Statement. Das mag auf die Bochumer Innenstadt nicht unbedingt zutreffen, auf Manhattans Meatpacking District allerdings schon, wobei es auch dort nach wie vor darum geht, seinen Hunger zu stillen, das aber in einem durchdesignten Rahmen. Das führt bisweilen – zum Beispiel im fabrikhallenartigen Gansevoort Market mit seinen Cafés und Essensständen – zu dem Eindruck, man bewege sich durch einen Inneneinrichtungskatalog, in dem eben auch noch gekocht wird. Selbst die einzelne Karotte, selbst das banalste Gebäck soll als Ereignis wahrgenommen werden, woran im Gansevoort Market weder die Produktpräsentation noch das Marketing einen Zweifel lassen. Das Bruffin Café etwa wirbt für seine exklusiven Backwaren mit dem Spruch: „It’s not a Muffin, it’s the Bruffin.“
Die Zuspitzung der Ernährung als Abgrenzungsinstrument treibt in Amerika, insbesondere in Kalifornien und an der Ostküste, viel wildere Blüten als in Deutschland. Was diesseits des Atlantiks ein unaufgeregter Teil der Alltagskultur ist, wird jenseits des Ozeans unter dem Motto „Organic Chic“ zum zentralen Bestandteil eines Lifestyle-Kosmos, in dem das gute, gesunde Essen weniger um seiner selbst willen als vielmehr wegen seiner Macht als soziales Distinktionsmittel geschätzt wird.
Der Spruch „Das Auge isst mit“ – beziehungsweise „kauft mit“ – ist nicht neu, doch für eine bestimmte Klientel wird er immer wichtiger. Das hat auch damit zu tun, dass die Szene der Food-Blogger, die inzwischen Züge einer quasireligiösen Gemeinschaft annimmt, vor allem in den Vereinigten Staaten rasant wächst. Die Inszenierung des eigenen Essens, seine Dokumentation per Smartphone und anschließende Verbreitung über soziale Netzwerke ist zu einem beliebten Zeitvertreib geworden. Kaum wird das Essen serviert, wird es auch schon fotografiert. Eine deutlich erkennbare Hingabe ans Detail bei der Speisenzubereitung schadet jedenfalls nicht, denn sie generiert in der Weiterverwertungsphase zuverlässig Klicks. „Food Porn“ lautet der gängige Begriff für diese Art der Essensverherrlichung. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den Designer-Theken des Gansevoort Market.
Und der deutsche Konsument? Er ist in seiner Mehrheit ein Geizhals, der es vorzieht, viermal pro Woche billiges und mittelmäßiges Fleisch zu essen, anstatt sich einmal in der Woche ein gutes Steak zu gönnen. Dem Schnäppchenjägertum bleibt er konsequent auch bei der Ernährung treu, egal, ob auf dem Einkaufszettel nun Milch, Fleisch oder Nudeln stehen – Preis schlägt Qualität, das ist die bittere Wahrheit. Und so kann Robert Poschacher, Bereichsleiter für Produktmanagement bei der Biolebensmittelkette Alnatura, über den inflationären Gebrauch von Sätzen wie „Bio ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ nur lachen. „Lediglich fünf Prozent des Lebensmittelkonsums entfallen in Deutschland auf Bio“, sagt er. „Bio ist noch nicht Mainstream.“ Dass Discounter mittlerweile ihre eigenen Biomarken vertreiben, weil sich Bioprodukte auch in ihren Regalen gut machen und durch ihre bloße Präsenz die Wertigkeit der Lebensmittelpalette insgesamt erhöhen, hat an diesem lächerlichen prozentualen Anteil nichts verändert.
Doch die Nische wächst. Bei den knapp hundert Alnatura-Filialen deutschlandweit wird es deswegen nicht bleiben. Man müsse nur das Einkaufsverhalten der Frauen beobachten, sagt Poschacher, von den Frauen gehe der Fortschritt aus. „Der Trend geht ganz klar in die Richtung Pret-à-manger, sprich, leichte, natürliche, einfache Kost, keine schweren Burger.“ Der Konsument interessiere sich immer stärker für die Herkunft und Erzeugung der Lebensmittel – auch hier seien die Frauen den Männern voraus. Die Alnatura-Filialen, sagt Poschacher, arbeiteten eng mit den regionalen Bauern zusammen, denn nur durch eine ausgefeilte Logistik könne die Frische der Produkte garantiert werden. Unter Wachstumsaspekten betrachtet, ist dieser Anspruch, der auch ein Versprechen ist, freilich eine Hürde, weil weder die geeigneten Bauern noch die geeigneten Felder im Überfluss vorhanden sind. Überdies spielt das Transatlantische Handelsabkommen dem Biohandel in die Hände, weil es Misstrauen und Ängste sät wie vor dem sogenannten Chlorhuhn. Bei dieser Art Huhn denkt man sogleich an ein riesiges chlorgetränktes Becken, in dem massenhaft tote Tiere desinfiziert werden, von denen man kein einziges auf seinem Teller haben möchte.
So sehr Alnatura versucht, mit regionalen Produzenten zusammenzuarbeiten, so wenig kann das Unternehmen auf globale Erzeugnisse verzichten. „Trend-Produkte“, so Poschacher, seien Quinoa – auch „das Gold der Inka“ genannt – und Chia-Samen, überhaupt alles, was in die Kategorie „Superfood“ falle. Am Ende des Gesprächs zitiert Poschacher noch Steve Jobs, der einmal gesagt habe, wenn man etwas nicht einfacher machen könne, habe man versagt: „Wir verwenden bei unseren Produkten so wenig Zusatzstoffe wie möglich und konzentrieren uns auf das Wesentliche.“
Apple und Bio in einem Atemzug zu nennen erscheint gerade mit Blick auf einige amerikanische Metropolen einleuchtend, womit wir wieder in New York wären. Jeden Samstag findet seit 1976 auf dem Union Square der Greenmarket statt. Damals allerdings boten lediglich ein paar versprengte Bauern ihre Waren feil. Heute hingegen stellen in der Hochsaison mehr als 140 regionale Farmer, Fischer und Bäcker ihre Stände auf und erklären den interessierten Kunden und Naturverbundenen im Geiste, wie die Tiere gelebt haben, bevor sie sterben mussten, unter welchen Bedingungen welches Gemüse besonders gut gedeiht und wozu Ahornsirup so alles passt. Getrunken wird während des Einkaufens grüner Smoothie, eine Cola in der Hand zu halten wäre schlicht undenkbar. Ein Handzettel listet für jene, die es gerne schriftlich haben, zehn Gründe auf, die für den Einkauf regionaler Lebensmittel sprechen. Regelrecht beschworen wird die Nähe zwischen Farmer und Konsument. Der Kunde werde durch den Akt des Kaufens gleichsam Teil der traditionellen Verbindung zwischen „eater and grower“. Daraus entstünden beiderseitiges Vertrauen sowie ein hoher Grad an Verantwortungsbewusstsein. Der Landwirt des Vertrauens würde einem wohl kein Chlorhuhn verkaufen. Stattdessen gibt es verschrumpeltes Gemüse, weil der neueste Trend die natürliche Unperfektion ist – je krummer, desto besser.
Ein ernstgenommener amerikanischer „Healthy Lifestyle“, der den Körper als Kapital begreift – und auf den die Bevölkerung des Mittleren Westens mit seinen riesigen Schweinemastanlagen größtenteils pfeifen dürfte -, erschöpft sich nicht in einem gesunden Ernährungsstil und sportlicher Betätigung. Er muss vor allem schick sein und geradezu zwingend eine finanzielle und zeitintensive Herausforderung darstellen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo eine gesunde Ernährung bezahlbar und nicht einer bestimmten Einkommensschicht vorbehalten bleibt, ist es in Amerika deutlich günstiger, sich ungesund zu ernähren. Deswegen wird Bio im Land der Burger wahrscheinlich immer ein Menü für eine Minderheit sein.
Doch den Vorbildcharakter Amerikas sollte man nie unterschätzen. Und so existieren inzwischen boutiqueähnliche Bioläden auch in Deutschland, deren Besitzer bei der Frage nach Quinoa oder Chia müde abwinken und antworten, beides seien doch längst alte Hüte. Stattdessen traut man etwa im Grüneburger Bioladen in Frankfurt, gewissermaßen der Tesla unter den Biogeschäften am Main, Goji-Beeren und Baobab-Pulver, das aus den Früchten des afrikanischen Affenbrotbaums hergestellt wird, das größte Potential als Trendfood zu. Wer hier, wo der Salat so frisch aussieht, als sei er tatsächlich eben erst geerntet worden, seinen Wochenendeinkauf erledigt, zahlt mitunter so viel wie für eine Jeans von 7ForAllMankind. Dafür bietet einem der ausnehmend freundliche Inhaber ganz im Sinne des Einkaufserlebnisses gerne mal ein Glas Wein und etwas Käse an. Und Birkenstockschuhe tragen die Kunden eher deswegen, weil sie gerade in Mode sind und weniger aus Überzeugung. Es ist eben alles eine Frage der Haltung.
[…] Die Karotte ist mein bester Freund – Überdies spielt das Transatlantische … in der Hochsaison mehr als 140 regionale Farmer, Fischer und Bäcker ihre Stände … […]
US-Lebensmittel sind wohl qualitativ schlechter
interessant wäre es ja zu wissen (und davon schreiben Sie nichts, Frau Mühl), wie die Qualität der Lebensmittel in den USA denn nun tatsächlich ist. Ist es nur eine Marotte der oberen Zehntausend, teuerste Bio-Lebensmittel zu kaufen, oder ist das aufgrund der schlechten Qualität der Lebensmittel, die “Sam Normalverbraucher” dort in normalen Supermärkten (wie Wal-mart oder so) kaufen kann, tatsächlich sinnvoll, “Bio” zu kaufen?
Soweit ich weiß, sind die tierischen Lebensmittel (Fleisch, Milch etc.) dort tatsächlich stärker als in Europa mit Hormonen und Antibiotika belastet, und pflanzl. Lebensmittel sind fast alle gentechnisch verändert, und beim Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wird wohl auch nicht gespart.
Ich will jetzt gar nicht auf das vielzitierte “Chlorhühnchen” eingehen, weswegen es gegen TTIP viele Gegner gibt.
Die Karotte ist mein bester Freund
Meiner auch, aber nur aus dem eigenen Garten :-). Machen wir uns doch nichts vor. Selbst wenn der Biobauer auf den Einsatz von Pflanzen-schutzmitteln und “diversen” Düngern verzichtet, die Böden sind nun einmal über Jahrzehnte mit Schadstoffen belastet worden. Weiterhin, wenn ich vor ca. 30 – 40 Jahren eine Möhre mümmelte, müsste ich heute ein ganzes Bund mümmeln. Das Gemüse in der Gesamtheit hat weniger Vitamine als früher.
Echte Öko-Lebensmittel werden viel teurer...
Wer glaubt, dass sich mit einem Aufschlag von vielleicht 30% echte handwerkliche Bio-Lebensmittel herstellen lassen, der solle mal in einem echten Bauernhof arbeiten.
Glauben die Bio-Jünger denn ernsthaft, dass sich die Effizienz-Steigerungen in der modernen Landwirtschaft, die zum Teil mehrere hundert Prozent in den letzten Jahrzehnten betrugen, so einfach aufrecht erhalten lassen?
Nur mit moderner Technik und leistungsfähigen Tierrassen und Pflanzensorten war dies überhaupt möglich.
Zudem sind die heutigen Biobauern meist noch Idealisten, die für Löhne arbeiten, bei denen in der Industrie flächendeckende Streiks stattfinden würden.
[…] Des Geringeren Distinktionsgewinn Gesunde Ernährung war schon immer ein Klassenprivileg im Kapitalismus. Nur wussten bislang die betreffenden Subjekte nicht immer, was gesund ist. Der „feiste Bourgeois“ war daher nicht nur einer klassenkämpferischen Überzeichnung geschuldet. Er war schon Realität. Und auch der Facharzt für Herz- und Kreislauferkrankungen, der selber aussieht, als wäre er sein eigener Patient, kommt mir immer wieder als paradoxe Erscheinung in den Sinn. Manches konnte der gute und reichliche Stoff über den fetten Leib kaschieren. Doch bei der heutigen knappen Jugendmode bleibt der Distinktionsgewinn, gleich wie teuer die Kluft auch immer ist, bei allzu mächtigen Körpern, eher gering. Jetzt endlich kommt das Klassenprivileg der Ernährung zum Zug. Lieber weniger scheint bei vielen eh besser. Zumal wir wissen, dass die Dicken nicht die besser, denn schlechter Genährten sind. Das Fastfood sichtbar als billige Energiereserve um den Leib geschnürt. Doch wo gesund aussehen nicht gesund sein bedeuten muss, leistet sich eine Gesellschaft, in der die Verpackung wichtiger scheint als der Inhalt, eine Antinomie: Das Aussehen macht’s. Wenn man schon nicht aussieht, als würde man gut essen, sollte man wenigstens dort essen, wo man gut aussieht! Richard David Precht hat schon Recht, wenn er sagt, dass der Intellektuelle „schlecht essen“ muss. Was er nicht sagt, aber vielleicht meint: dass er auch schlecht aussehen sollte. Precht unterschlägt hier, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt, denn sich kann er damit nicht gemeint haben, dass gutes Essen im Kapitalismus eh Glücksache ist. Und, dass gutes Aussehen sehr davon abhängt, wie wir essen, und bei dem „was“, wieviel davon. Wer das Essen als Glück und Lust empfindet, kommt mit geringeren Mengen aus. Und das ist vielleicht des Geringeren „Distinktionsgewinn“. Denn weniger ist nicht nur besser; es lässt auch besser aussehen. Bio oder nicht. […]
Des Geringeren Distinktionsgewinn
Gesunde Ernährung war schon immer ein Klassenprivileg im Kapitalismus. Nur wussten bislang die betreffenden Subjekte nicht immer, was gesund ist. Der „feiste Bourgeois“ war daher nicht nur einer klassenkämpferischen Überzeichnung geschuldet. Er war schon Realität. Und auch der Facharzt für Herz- und Kreislauferkrankungen, der selber aussieht, als wäre er sein eigener Patient, kommt mir immer wieder als paradoxe Erscheinung in den Sinn. Manches konnte der gute und reichliche Stoff über den fetten Leib kaschieren. Doch bei der heutigen knappen Jugendmode bleibt der Distinktionsgewinn, gleich wie teuer die Kluft auch immer ist, bei allzu mächtigen Körpern, eher gering. Jetzt endlich kommt das Klassenprivileg der Ernährung zum Zug. Lieber weniger scheint bei vielen eh besser. Zumal wir wissen, dass die Dicken nicht die besser, denn schlechter Genährten sind. Das Fastfood sichtbar als billige Energiereserve um den Leib geschnürt. Doch wo gesund aussehen nicht gesund sein bedeuten muss, leistet sich eine Gesellschaft, in der die Verpackung wichtiger scheint als der Inhalt, eine Antinomie: Das Aussehen macht’s. Wenn man schon nicht aussieht, als würde man gut essen, sollte man wenigstens dort essen, wo man gut aussieht! Richard David Precht hat schon Recht, wenn er sagt, dass der Intellektuelle „schlecht essen“ muss (vgl. mein: https://blog.herold-binsack.eu/2015/10/dort-wo-die-angst-sitzt/). Was er nicht sagt, aber vielleicht meint: dass er auch schlecht aussehen sollte. Precht unterschlägt hier, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt, denn sich kann er damit nicht gemeint haben, dass gutes Essen im Kapitalismus eh Glücksache ist. Und, dass gutes Aussehen sehr davon abhängt, wie wir essen, und bei dem „was“, wieviel davon. Wer das Essen als Glück und Lust empfindet, kommt mit geringeren Mengen aus. Und das ist vielleicht des Geringeren „Distinktionsgewinn“. Denn weniger ist nicht nur besser; es lässt auch besser aussehen. Bio oder nicht.
Schön beobachtet - der Geldbeutel hat Wirkung
Mittlerweile habe ich es aufgegeben, meine Umwelt auf hochqualitative Lebensmittel einzuschwören. Rechne teilweise den Preis eines artgerechten Kapauns gegen ein KZ-Hühnchen auf, um zu zeigen, dass da nur 1-2 € Unterschied pro kg sind. Bringt nichts, denn der Mensch ist beim Konsum der Lebensmittel doch ein ziemliches Herdentier – wenn der Nachbar ein schönes Einfamilienhaus hat, die Kinder Roller fahren, das Auto blinkt, dann sind das die naheliegenden Konsumwünsche. Die Qualität des Essens ist eher was für feine Zungen – wer hat schon Zeit, dass Essen zu schmecken, wenn die Glotze läuft. Dann wird die Rechnung lieber beim Aldi beglichen, dort lässt sich das Leben finanziell optimieren, auch wenn das Tier aus unschöner Massenhaltung kommt. Sieht man nicht, kräht keiner nach. Und letztlich braucht man seine Bemühungen auch deswegen einzustellen, weil man als wirkliche feine Zunge einfach zugeben muss, dass sehr gutes Essen einfach teuer ist. Das war immer so, dass wird immer so bleiben. Es nützt nichts, über den deutschen Verbraucher zu ätzen, er will sich weder zum e-Auto noch zum Biohuhn freiwillig bekehren. Da ich libertär gegen Zwang bin, muss ich schlicht auf meine eigene Pfanne achten – und die Moral über andere besser dorthin tun, wo sie hingehört – in den Lokus.
Fein beobachtet :-).
Der Mensch ändert sein Verhalten grosso modo nur durch Zwang. Und der entsteht heutzutage über schwere Gesundheitsgefahren, den Preis oder über Gesetze. Alles andere sind Sonntagspredigten.
Gruss,
Thorsten Haupts
Eine der Lebensmittel-Lebenslügen im Vorübergehen aufgespiesst:
“zahlt mitunter so viel” … Wirklich handwerklich (nicht industriell) hergestellte Lebensmittel aus der Region kosten ein Mehrfaches (nicht: 30% mehr) der Grossbetriebs-Ware. Heisst nicht, dass die nicht auch die Bo herstellen könnten – aber bezahlbar wird das nur bleiben, wenn es weiterhin industriell gemacht wird.
Gruss,
Thorsten Haupts