
Die ärztliche Diagnose bestätigte, was Maltes Eltern längst befürchtet hatten. Sie auszusprechen, fällt dem Vater dennoch nicht leicht. „Die anderen denken, du willst dich damit rausreden“, sagt er. ADHS das sei ja quasi der Krankenschein fürs Mist bauen, eine öffentlich geduldete Entschuldigung. Die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung ist eine psychiatrische Erkrankung, unter anderem medikamentös behandelbar. Der Arzt, der Malte Methylphenidat verschreibt, ist ein Spezialist, der dritte, den die Familie konsultiert, weit entfernt vom Heimatdorf in Niedersachsen. Das idyllische Fachwerkhaus der Familie steht inmitten eines Gartens mit vielen Bäumen, auf denen Malte einst gerne herumkletterte. Mit dem Medikament aber kommt erst die Antriebslosigkeit, dann die Depression, woraufhin es die Eltern eigenmächtig absetzen. Ein Jahr ohne Methylphenidat, ohne Verhaltenstherapie, dafür mit dem unbändigen Wunsch die Krankheit zu überwinden. Malte ist oft unerträglich, schläft kaum, schwänzt die Schule, streitet mit den Geschwistern. Nachts hat er Heißhungerattacken. Er giert nach Süßem und Fettigem.
Dr. Christina Clement, Ökotrophologin vom Universitätsklinikum Freiburg, hört häufig Geschichten wie diese. Sie untersucht den Einfluss der Ernährung auf den Krankheitsverlauf. Auffallend häufig zeigt sich, dass Kinder mit ADHS gleichzeitig auch an Allergien, Asthma oder Neurodermitis leiden. Mittels einer speziellen Diät werden in Freiburg gezielt unverträgliche Lebensmittel eliminiert. Dadurch sollen sich die Symptome von ADHS verbessern oder sogar ganz verschwinden.
Es ist nicht neu, dass bestimmte Lebensmittel Hyperaktivität begünstigen. Im Jahr 2007 zeigte eine Untersuchung, dass Farbstoffe beispielsweise auch bei gesunden Kindern hyperaktives Verhalten auslösen können. Seit 2010 existiert daher ein Gesetz, wonach Lebensmittel eine gesonderte Kennzeichnung erfordern. „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen” muss seitdem auf Gummibärchen, Limonaden, Knabbereien und Süßigkeiten gewarnt werden, wenn sie bestimmte Farbstoffe enthalten. Eine halbherzige Lösung, wie die Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv findet. Allein deshalb weil sich viele Kinder ihre Süßigkeiten selbst kaufen.
Doch was ist mit den täglichen Grundnahrungsmitteln, der Kuhmilch, dem Weizen, dem Fruchtzucker? „Die Wege wie Lebensmittel im Körper wirken, sind noch kaum erforscht“, sagt Christina Clement im Interview mit dieser Zeitung. Von Bedeutung sei unter anderem die bakterielle Besiedelung im Darm. „Mikroben produzieren beispielsweise Botenstoffe, die auch im Gehirn vorkommen. Allein eine Veränderung der Mikrobenpopulation hat bereits Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden.“ So ernähren sich krankmachende Mikroben hauptsächlich von Einfachzuckern. Gesunderhaltende Bifidobakterien dagegen von Oligosacchariden. Die sind bereits in der Muttermilch enthalten und fördern die Ausbreitung gesunderhaltender Darmbakterien. Der Mikrobiologe Zac Lewis von der Universität von Kalifornien in Davis erforscht, welche Rolle sie für die Entwicklung der Darmflora spielen. Er vermutet, dass Mikroben sogar das Verhalten von Säuglingen manipulieren könnten: „Es gibt Studien an Ratten, die solche Effekte zeigen. Wir nennen es das Bauchgehirn. Es gibt Neurorezeptoren im Darm, die von Signalstoffen der Bakterien beeinflusst werden. Darüber könnten sie das Verhalten der Kinder verändern.”
oligoantigene Diät verbessert ADHS Symptomatik deutlich
Für jene fünfzig Kinder jedenfalls, die an der Freiburger Ernährungsstudie teilnehmen, kommt hauptsächlich frisches Gemüse und Geflügel auf den Tisch. Mit erstaunlichem Erfolg, wie Christina Clement berichtet. Der Großteil der Kinder reagiert durchweg positiv auf die Ernährungsumstellung. Der Körper wird vermutlich durch die Eliminierung bestimmter Lebensmittel, die häufig Unverträglichkeiten oder gar Allergien auslösen, in einen Erholungsmodus versetzt. Gleichzeitig beobachten die Freiburger Forscher, dass sich die ADHS Symptomatik in einer vierwöchigen oligoantigenen Diät deutlich verbessert. In einer anschließenden Testphase wird für jedes Kind individuell geprüft, welches Nahrungsmittel die ADHS Symptome verstärkt.
Die Austestung, aus der eine persönliche Diätempfehlung resultiert, ist aufwendig und erfordert eine enge medizinische Begleitung. In Zusammenarbeit mit Prof. Christian Fleischhaker von der Kinder- und Jugendpsychiatrie werde daher intensiv an der Praxistauglichkeit gearbeitet. Auch wenn das Interesse der betroffenen Eltern verständlicherweise groß ist, wichtig sei zuvor in jedem Fall, Ressourcen zu prüfen und Möglichkeiten zu sichern, den Patienten zu begleiten, sagt Clement. „Ein Medikament hat immer einen sofortigen Effekt. Um Stress rauszunehmen, braucht man das. Die langfristige Umsetzung einer diätischen Maßnahme dagegen erfordert genügend Kapazität, auf Seiten der Eltern und der Kinder. Die Ernährung sollte kein zusätzlicher Stressfaktor sein, sondern eine Selbstverständlichkeit, die durchaus auch mit Genuss verbunden bleibt.“ Gelingt das, soll mit der individuell erstellten Ernährungsempfehlung zukünftig eine weitere Behandlungsmethode für ADHS etabliert werden, hofft Christina Clement. Erste Ergebnisse der Studie werden im November auf dem DGPPN Psychiatriekongress in Berlin vorgestellt.
Ob Malte davon profitiert? Sein Leben und das seiner Eltern besteht derzeit weiterhin aus Arztbesuchen, Therapien und diagnostischen Verfahren. Es lässt sich nur erahnen, was für ein Trost da Chips und Gummibärchen sind.
Mit gesunder Ernährung gegen AD(H)S
Es wäre wirklich schön wenn die AD(H)S durch eine bewusste und gesunde Ernährung geheilt oder zumindest eingedämmt werden könnte.
Das würde nicht nur vielen Menschen den Gang zum Psychotherapeuten
und den Griff zu Methylphenidat oder Amphetaminen ersparen. Sondern es würde die Zahl der psychisch Kranken erheblich vermindern.
Nun lässt sich eine ADS aber nicht auf die Symptome reduzieren die mit viel Sport, frischer Luft, Selbstdisziplin und gesunder Ernährung bekämpft werden können. Das Spektrum ist dermaßen weit gefächert dass selbst die Experten noch immer vor Rätseln stehen. Daher ist es meines Erachtens utopisch zu glauben dass man mit einer Diät etwas erreichen könnte.
Frau Dr. Clement vom Universitätsklinikum in Freiburg untersucht den Zusammenhang zwischen Lebensmittelunverträglichkeiten und ADHS. Erste Ergebnisse ihrer Studie wurden in diesem Artikel dokumentiert.
Die rindviehhaltende und milcherzeugende Kultur auf dem Prüfstand
Vergleichbare Beobachtungen wurden auch bei autistischen Kindern (Erkrankung im autistischen Spektrum) gemacht. Kürzlich erst begleitete eine Fernsehreihe auf ARTE, die diesbezüglichen Forschungen in Norwegen und Kanada. Im Fokus: der Weizenkleber Gluten und der sog. Milchkleber Kasein. Diese Stoffe scheinen eine pathologische Darmflora zu erzeugen. Weitere Erkrankungen, wie Schizophrenie stehen schon in der Warteschleife. So gelangen jetzt die diesbezüglichen überraschenden, nämlich unbeabsichtigten Heilerfolge bei Schizophrenen in der Sowjetunion der 30er Jahre nach Fastenkuren in das Blickfeld des Westens. Nun endlich kommt die komplexe Beziehung unseres Mikrokosmos in Darm wie Gehirn, im Verhältnis zu liebgewordenen und offensichtlich schädlichen Ernährungsgewohnheiten (nicht erst durch Industrienahrung) auf den Prüfstand. Eine ganze Ernährungskultur wird in Frage gestellt: die rindviehhaltende und milcherzeugende. Also die Kultur, die unsere Lebensweise zur herrschenden gemacht hat -https://blog.herold-binsack.eu/2010/01/selbstdomestizierung-des-%e2%80%9ewestlich-weis-mannlichen%e2%80%9c-rindviehhaltersubjekts/. Neueste Studien bringen nämlich noch einen anderen Aspekt ins Gespräch: Neben dem roten Fleisch (vor allem vom westlichen domestizierten Rind) – und das wissen wir schon länger -, wird nun auch die Kuhmilch als verdächtig erkannt, und zwar in Bezug auf Darm- und Brustkrebs – aus anderen Gründen, hier sind’s Viren: https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/krebs/mamma-karzinom/article/896722/brust-darmkrebs-erreger-fleisch-verdacht.html?sh=1&h=573799402.
Vielen Dank für die wertvollen ergänzenden Informationen!
An der amerikanischen Westküste wusste man das schon in den achtziger Jahren
Wir haben unsere Kinder in den achtziger Jahren in Vancouver nach der damaligen amerikanischen Westküstenmanier bezüglich aufgeklärter Ernährung aufgezogen. Da wurde man schon damals darauf aufmerksam gemacht, dass künstliche Farbstoffe und Zucker Kinder zum Zappeln bringen. Stattdessen waren Karotten, Stangensellerie, Hühnchenbeine und Erdnussbuttersandwich im Lunchpacket erwünscht. Amerika ist offensichtlich nicht nur ein Clorhühnchenland sondern bietet auch sehr gesunde Lebensmittelaspekte.