
Weihnachtsessen gehören zu den heikelsten familiären Veranstaltungen überhaupt. Läuft es gut, tauscht man sich entspannt über Urlaubserlebnisse, die hervorragenden Schulnoten der Kinder oder die Herkunft der Weihnachtsgans aus. Läuft es weniger gut, kreist das Gespräch bald um allerlei kleinere und größere Gebrechen, um Lebensmittelunverträglichkeiten wie Laktoseintoleranz etwa oder Allergien (Sellerie, Tomaten, Paprika etc.), weshalb früher oder später jeder am Tisch die Verdauungsprobleme seiner Sitznachbarn kennt. Für all jene, die unter Misophonie, sprich, dem Hass auf Geräusche, leiden, läuft es so oder so katastrophal. Bezieht sich diese Geräuschintoleranz auf das Ticken von Uhren, lässt sich die Sache zwar noch handhaben, indem man die Uhr des Gastgebers von der Wand montieren – zu Irritationen wird ein solcher Schritt jedoch allemal führen. Wer hingegen Kaugeräusche, Schmatzen, Schlürfen, Kieferknacken und Zähneklappern hasst, für den ist ein Weihnachtsessen der wahr gewordene Alptraum.
Betrachtet man die Ergebnisse einer Studie, die 2014 im Journal of Clinical Psychology veröffentlich wurde, findet dieser Alptraum womöglich in mehr Haushalten als gedacht statt. Jeder Fünfte der insgesamt 483 Studienteilnehmer litt unter Misophonie, jeder zehnte sogar stark. Die Neurowissenschaftler Pawel und Margaret Jastreboff gelten als Pioniere auf diesem Gebiet und forschen seit den neunziger Jahren zum Thema. „Betroffene Personen”, schreiben sie, “sind unfähig, alltägliche Geräusche zu tolerieren, die bei anderen Menschen normalerweise keine Reaktionen hervorrufen.“ Kaugeräusche eben. Wenn Ihr Sitznachbar also seltsam verkrampft sein sollte, könnte es daran liegen, wie Sie hörbar die Gans in Ihrem Mund zerteilen. Diese Kaugeräusche können sogar regelrechte körperliche Qualen verursachen, bis hin zu Panikattacken. In milderen Fällen bittet ein Misophoniker seinen Sitznachbarn einfach darum, etwas leiser zu essen.
Meine Oma sprach bei dieser Gelegenheit uns Enkeln gegenüber gerne von Tischmanieren und hob mahnend den Finger. Ein Diagnoseverfahren, das Guy Fitzmaurice vom Misophonia Zentrum in London entwickelt hat, hätte ihr wohl eine Misophonie vierten Grades bescheinigt.
Gezählt wird von Null bis Zehn. Stufe vier bedeutet: „Die betroffene Person zeigt eine minimale Reaktion, beispielsweise indem sie die störende Person bittet, etwas leiser zu sein, sich diskret ein Ohr zuhält oder sich entfernt.“
Ungewöhnlich finde ich das ja eigentlich nicht. Auf Zugfahrten beispielsweise wechsle ich durchaus den Sitzplatz, wenn Mitreisende munter den Inhalt ihres Kühlschrankes vor dem Verderben retten. Das macht einen noch längst nicht zum Misophoniker, redete ich mir ein – und wollte innerlich abwinken. Interessehalber las ich doch weiter und erschrak bei Stufe Sieben: „ mögliches Auftreten unerwünschten sexuellen Begehrens und wiederholte Gedanken an Trigger-Person sowie an das störende Geräusch bzw. die Umgebung, auch noch nach Jahren.“ Augenblicklich fiel mir ein Ereignis ein, das fünfzehn Jahre zurückliegt, aber offensichtlich Spuren bei mir hinterlassen hat. Und zwar buchte ich im Internet einen zweiwöchigen Segelurlaub in Griechenland. Herrlich hätte es sein können, wäre da nicht dieser Sportlehrer aus Berlin mit derselben Idee gewesen. Dummerweise kaute er den ganzen Tag Kaugummi. Und war völlig immun gegenüber meiner Bitte, es doch wenigstens für die Dauer eines gemeinsamen Ausflugs im Schlauchboot zu unterlassen. Sein Schmatzen war so laut, dass es sogar das sanfte Plätschern an der Bordwand übertönte. Kaugummi kauende Menschen sind mir seitdem ein Graus.
Erinnern Sie sich an den Film Harry und Sally? Man könnte mit dem Wissen über Misophonie die berühmteste Szene ganz neu interpretieren. Möglicherweise leidet Sally unter Misophonie und beginnt nur deshalb im Restaurant laut zu stöhnen, weil Harry in sein Pastrami Sandwich beißt, als sei er ein Löwe, der eine Antilope reißt. Immerhin hört er auf zu schmatzen, als Sally von heftiger Erregung geschüttelt mit beiden Händen auf den Tisch trommelt.
Gut möglich, dass das Schmatzen das ein oder andere Paar endgültig auseinander treibt. Wer seinen Partner nicht verlieren und den quälenden Geräuschen dennoch ein Ende setzen will, muss sich selbst ändern. Laut Arjan Schröder, Kognitionswissenschaftler an der Universität Amsterdam, handelt es sich bei Misophonie um einen Lernprozess, eine (Fehl-) Verknüpfung zwischen einem neutralen Geräusch und einer aversiven Emotion. Wer anfange, Situationen zu meiden, mache alles nur noch schlimmer. Das ist ehrlich gesagt schwer vorstellbar. Dem Kaugummikauer und mir hätte es sehr gut getan, sich aus dem Weg zu gehen, was aber schwierig ist, wenn man gemeinsam in einem Boot sitzt. Das ist wie beim Weihnachtsessen – da kann man sich auch nicht so leicht ausklinken.
wenn das essen so still ist
dass man Kaugeräusche hört, sind sie der schlechteste und langweiligste Tischnachbar aller Zeiten.
Platz ist in der kleinsten Hütte...
aber eben Platz, kein (Seelen-)Frieden für jeden persönlich.
Den “Unfähigkeitsatz” möchte ich anders interpretieren.
Die evolutionbedingte (Sehn-)Such(e)(t) und Verwirklichung der
Seele nach persönlichem Frieden, Geborgenheit, ist entsprechend
dem persönlichen Reife-Status-Quo verschieden ausgeprägt.
Die/Eine wachsende Geräuschempfindlichkeit deutet für mich auf das
evolutionäre beenden der…
“dicht zusammengepferchten Herdentiergesellschaften-Systeme-Aera”
hin.
Die Psychologie legt willkürlich “Norm(al)grenzen” fest
und alles was nicht innerhalb, sondern außerhalb liegt, wird
entsprechend der “Entfernung” als “krank” bezeichnet.
Jegliche Betrachtung von Reifung, Reifeweg, fehlt.
Ich habe es erlebt zu Beginn meiner Transzendenz…
aber das ist eine andere Geschichte.
Am “Ende”(der Hochgeschwindigkeitlebensära) werden die heute
als gesund geltenden “Lärmer”(Seelenbetäubten, Wahrnehmungsunreiferen) die “Kranken” sein und umgekehrt
die Anderen die “Gesunden”.
Wahrnehmungsreife und auch geldreiche Menschen “suchen” nicht
von ungefähr ihren möglichst großen persönlichen Verwirklichungs(t)raum…weltweiter “Ruheraum” ist Evolutionweg.
Solange Wahrnehmungsreife(nde) von “Lärmern”, die als “Normal”
gelten, auch “krankgelärmt” werden dürfen weil sie in der Überzahl
sind, muß es wohl hingenommen werden.
Nur “Abstand” von “öffentlicher” Gesellschaft heute hilft.
Die öffentliche Gesellschaft morgen…s.o.
Alle bekannten und wohl auch unbekannten “Weise”, “Denker”,…
haben kontemplativ gelebt, sage ich jetzt der Kürze wegen.
Stetig kontemplativ reifend wachsendes Einzel und Gesellschaftleben
kommt.
Der Human-Reifeprozess geht in diese Richtung,
da bin ich mir sicher.
Frohe Festtage wünsche ich:=)
P.S. …je komplexer das System Mensch, desto “störanfälliger”?
“reifer”?…rücksichtlose, zumutende Einzelpersonen, rücksichtlose,
zumutende Gesellschaften…
Zumutung=Seelenfriedenreifestörung?…
Selbstverwirklichung der Seele?
Nachsatz
Der Mensch ist nicht krank weil/wenn er sensibler wird, sondern
weil/wenn er “normal” zu unsensibel (inhuman) ist…s. Weltgeschehen.