Food Affair

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Wie wir intelligenter essen

Landleben light

| 10 Lesermeinungen

###Noch ist das Kaninchen glücklich                                                   Foto Interfoto

 

Wenn vom Selbstversorger die Rede ist, dann ist der Begriff Trend nicht weit, wobei der moderne Selbstversorger mittlerweile urban farmer heißt und urban gardening betreibt, also dem Motto grow your own folgt. Das kann beispielsweise bedeuten, dass er Kresse auf einem Wattebausch züchtet und auf seinem Fenstersims ein kleiner Tomatenstrauch steht. Zumindest die Frage, woher die Kresse und die Tomaten kommen und wie beides Erntereife erlangt hat, wäre bei dieser Version der Selbstversorgung geklärt. Aber was ist mit den Eiern im Kühlschrank? Hatten die Hühner genügend Platz, Sitzstangen zum Ruhen und Einstreu zum Scharren? Wie oft bekamen sie Antibiotika verabreicht? Und was ist mit dem Obst und Gemüse? Ist es so pestizidbelastet, dass die Gesundheit in Gefahr ist?


Der Reiz der Selbstversorgung liegt in den beruhigenden Antworten auf solche Fragen. Geerntet wird, was man gesät hat. John Seymor, Brite und Apostel der Selbstversorgung, beschrieb diese in seinem Bestseller „Das große Buch vom Leben auf dem Lande“ (1974) als „Vorstoß zu einer neuen und besseren Lebensweise, einem Leben mit mehr Freude als dem überspezialisierten Kreislauf des Büros oder der Fabrik, ein Leben, das Herausforderung, tägliche Initiative, Abwechslung, gelegentlich großen Erfolg, aber auch bodenlosen Misserfolg bei der Arbeit bringt.“ […]Selbstversorgung sei kein Rückschritt zu niedrigerem Lebensstandard, es sei vielmehr ein Wetteifern um einen höheren Lebensstandard, nach guter, frischer, biologisch gewachsener Nahrung, nach gutem Leben in angenehmer Umgebung, einem gesunden Körper und Seelenruhe.
Die Seelenruhe von der Seymour spricht, stellt sich beim Blättern durch die nur minimal veränderte Neuauflage von 2010 mit ihren hübschen Illustrationen, die dem Landleben jene Idylle verleihen, nach der sich der ausgebrannte Städter sehnt, schnell ein. „Das neue Buch vom Leben auf dem Lande“ ist ein Wohlfühl- und Wegträumbuch, in dem es nur so wächst und gedeiht und selbst auf einem „Ein-Morgen–Land-Anwesen“ reichlich Platz für Kühe, Schweine und Hühner ist. Auch Rosenkohl, Spinat, Futterrüben, Erbsen, Kletterbohnen, Himbeeren und Sellerie können freilich problemlos angebaut werden. Bei Hugendubel in Frankfurt ist das Buch jedenfalls stapelweise vorrätig und prominent plaziert.
Nicht vorrätig ist hingegen eine ganz andere, aktuelle „Anleitung für Selbstversorger“, in der es deutlicher rauher als bei Seymour zugeht und in der das Kaninchen als günstiger Fleischlieferant gepriesen wird, das idealerweise dann auf die Schlachtbank kommt, wenn es besonders niedlich in die Welt guckt. Um das Tier zu töten setzt man das Bolzenschussgerät vor den Ohren mitten auf den Schädel, drückt es fest an und betätigt den Auslöser. Der Bolzen schnellt durch die Schädeldecke ins Gehirn, das Tier fällt um. Es ist allerdings nur betäubt, nicht tot. Als nächstes „kommt ein beherzter Kehlschnitt, der die Halsschlagader öffnet und das Blut hinauspulsieren lässt. Das Tier stirbt erst jetzt, und der Körper blutet vollständig aus. Zum Aufhängen des Körpers benötigen Sie S-Haken, die es in passenden Größen für kleine und große Tiere gibt.“
Die Zeilen stammen von dem Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben und seiner Frau Miriam. Wohlleben hat dieses Jahr nicht nur ein schönes Buch über Bäume geschrieben, das seit Monaten auf der Bestsellerliste steht, sondern gemeinsam mit seiner Frau auch ein schonungsloses für Selbstversorger: „Meine kleine Farm“. Statt harmlosen Illustrationen zeigt das Buch Fotos aus dem Alltag eines Haushalts, in dem auch geschlachtet wird. Auf einem der Fotos kauert ein weißes Kaninchen, das von einer Männerhand am Nacken gepackt wird, während die andere das Bolzenschussgerät anlegt. Man muss weder Vegetarier noch Veganer sein, um bei der Vorstellung des Schlachtens ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Wir kennen das Tier auf dem Teller als verarbeitetes Stück Fleisch, beschrieben als Wiener Schnitzel, Filetspitzen Stroganoff, Boeuf Bourguignon und so weiter.

Sinnstiftende Produktivität in frischer Luft?

Im Gegensatz zu den Bäumen hat es „Meine kleine Farm“ nicht auf die Bestsellerliste geschafft. Dafür buchstabiert es das Selbstversorger-Leben für den manufactumaffinen Städter wohl allzu ungeschönt aus, dem der Appetit und die Landlust vergehen dürfte. Mit sinnvermittelnder Produktivität in frischer Luft hat die Selbstversorgung hier nichts zu tun. Die Sehnsucht des Städters aber nach dem echten, naturverbundenen, besseren Leben, vielleicht sogar mit einem Schaf und ein paar Hühnern im Garten, speist sich eher aus Hochglanzbroschüren als der Realität. Da können die Wohllebens noch so viel Salat, Gemüse und Kräuter ernten – die Fotos des Kaninchens und der Wühlmaus, deren Genick die in den Mäusegang gestellte Topcat-Falle zuverlässig gebrochen hat, prägen sich ein.
Das eigentliche Nadelöhr sei die Zeit, und das Idealziel einer hundertprozentigen Unabhängigkeit nichts anderes als Utopie, heißt es im Buch: „Denn das würde bedeuten, täglich rund zehn Stunden Arbeitszeit für jede zu versorgende Person zu investieren.“ Einer bezahlten Arbeit nachzugehen wäre damit unmöglich. Zwei Stunden Arbeit täglich investieren Peter und Miriam Wohlleben in die Selbstversorgung, wodurch sie auf maximal zwanzig Prozent Eigenproduktion ihrer Nahrung kommen.
Wen diese direkten Schilderungen nicht davon abhalten, vom ländlichen Glück zu träumen, der sollte zu Alice Herdan-Zuckmayers 1949 erschienen, durchaus amüsantem Buch „Die Farm in den grünen Bergen“ greifen, in dem die Vermonter Winter brutal und die Nutztiere oft krank sind. In dem Wachsein arbeiten bedeutet und die Ratten Killerinstinkt haben: „Der Schaden, den die Ratten im ersten Sommer ihres Auftauchens auf unsrer Farm anrichteten, war schrecklich. Ihr erster Angriff erfolgte in Form eines Blitzkrieges, und sie erbeuteten 32 kleine Enten, 8 Kücken und 3 neugeborene Gänse.“ Es dauerte, bis die Zuckmayers der Rattenplage einigermaßen Herr wurden. Unglücklich waren die Exilanten trotz aller Härte und Entbehrungen dennoch nicht. Nach einigen Jahren verkauften sie die Backwoodsfarm trotzdem wieder.

Werde ein Ackerheld!

Beim urban farming müssen praktischerweise weder Ratten totgeschlagen noch Tiere geschlachtet werden. Im Mittelpunkt steht der Spaß, den zum Beispiel das Unternehmen „Die Ackerhelden“ garantiert: „Du möchtest wissen, wo die Dinge herkommen, die du täglich isst? Dann fang mit deinem Gemüse an und werde ein Ackerheld!“ Hinter den Ackerhelden verbergen sich die Geschäftsleute Birger Brock und Tobias Paulert, die die Firma 2012 gründeten und nun deutschlandweit Bio-Gemüseäcker vermieten. Um es dem Hobbyfarmer, der keinesfalls entmutigt werden darf, so einfach wie möglich zu machen, wurde jede Acker-Parzelle mit etwa zwanzig Gemüsesorten vorbepflanzt. Ernten ohne Säen also. Nur jäten und bewässern muss man sein Gemüse selbst, sonst könnte man ja gleich entspannt Felderdbeeren pflücken gehen.
Der Mietpreis für einen vierzig Quadratmeter großen Gemüseacker beträgt für die Saison, die von Mai bis November dauert, etwa 249 Euro. Benötigt man gärtnerische Vorerfahrung? „Nein, auch absolut unerfahrene Gemüsegärtner können bei uns strahlende Ackerhelden werden.“ Wem das Ernten zu anstrengend ist, der kauft sich das Buch „Ackerhelden – Biogärtnern für Einsteiger“, das im Januar erscheint, und malt sich das Ackerheldendasein eben aus.


10 Lesermeinungen

  1. Syntax sagt:

    @Fred Meier
    Bedeutet Evolution..Einmal Fleisch”fresser”, immer “Fleisch”fresser”?
    Oder kann es Menschentwicklung sein…aus der Notwendigkeit geboren..
    Vom Fleisch”fresser” zum Vegetarier, o.ä…aber prinzipieller
    Evolutionsweg…Fleisch-Entwöhnung gekoppelt auch an
    humangeistiger Reifung, die “Fleisch essen müssen aus Überleben-Not”,
    eliminiert? Die Nutzung der Erde auch für fleischlose Ernährung der
    gesamten Menschheit als Vernunft-Folge humaner Reife?
    Die Beobachtung der Evolution insgesamt spricht nicht für…
    Wenn einmal Überleben-Not-wendig, dann immer notwendig.

  2. […] Wenn vom Selbstversorger die Rede ist, dann ist der Begriff Trend nicht weit, wobei der moderne Selbstversorger mittlerweile urban farmer heißt und urban gardening betreibt, also dem Motto grow your own folgt. Das kann beispielsweise bedeuten, dass er Kresse auf einem Wattebausch züchtet und auf seinem Fenstersims ein kleiner Tomatenstrauch steht. Zumindest die Frage, woher die Kresse und die Tomaten kommen und wie beides Erntereife erlangt hat, wäre bei dieser Version der Selbstversorgung geklärt. Aber was ist mit den Eiern im Kühlschrank? Hatten die Hühner genügend Platz, Sitzstangen zum Ruhen und Einstreu zum Scharren? Wie oft bekamen sie Antibiotika verabreicht? Und was ist mit dem Obst und Gemüse? Ist es so pestizidbelastet, dass die Gesundheit in Gefahr ist?  […]

  3. Lloretta sagt:

    Gut
    Gut ist, dass mit Beschreibung und Bildern der Tötung harmloser Kaninchen nicht eine Seite Buch verkauft. Selbstversorgung kann man auch betreiben, wenn man die Kaninchen am Leben lässt.

    • Sikasuu sagt:

      Wer isst denn lebende Karnickel;-))
      Zitat:…..Selbstversorgung kann man auch betreiben, wenn man die Kaninchen am Leben lässt.
      ###
      Wir (der homo sapiens) ist nun mal ein “Allesfresser”. Mit reiner Pflanzenkost wären wir in der Evoution nicht so weit gekommen. Fleisch ist nun mal als Futter sehr viel energiereicher als “Grünzeug”!
      .
      Unter Lebens- und Produktionsbedingungen “Selbstversorger” ist es kaum möglich genügend “Grünzeug” an zu bauen um davon leben zu können. Wenigstens in den gemässigten Zonen mit langer Vegitationspause im Winter. Da wären dann weite Bereiche dieser Welt nicht mehr bewohnbar.
      .
      Heute hier in Mitteleuropa Vegetarisch, gar Vegan zu leben, geht nur, weil die Umwelt, fast alle anderen Mitmenschen darauf verzichten und eine Kultur, Infrastruktur schaffen, die einzelnen, kleinen Gruppen das o.a., diesen Lebenstil ermöglicht.
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      Konsequent vegetarisch hiesse mMn. auch, auf sämtliche Produkte zu verzichten, an denen ein “Fleischfresser” mitgearbeitet hat. Versuch das mal:-))
      .
      Wenn meine, zum vegetarischen Leben NÖTIGE Lebensumwelt, nur dann funktioniert, wenn Andere Tiere (gleich ob als Nahrung oder als Produkte) nutzen, ist das ein wenig ausbeuterisch.
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      Ich finde persönlich Massentierhaltung schlimm, Fleischkonsum von artgerecht gehaltenen Tieren aber in vielen Lebensbereichen nicht ersetzbar.

      Vegan,vegetarisch Leben HIER ist mMn. so ähnlich wie Sklaven- Leibeigenenbefreiung! Nominal hatte die keine “Herren” mehr, aber ausgebeutet wurden und werden die noch heute auf andere Art&Weise:-((
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      Gruss
      Sikasuu

  4. Sikasuu sagt:

    Des Städters Traum vom Landleben.....
    …. hat immer eine gehörige Portion “Schäferspiel” aus dem vorletzen Jahrhundert:-)
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    Wenn dann die Mücken dazu kommen, der Staub beim Heumachen, Stall ausmisten…… ist dieser Traum schnell vorbei:-))
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    Ein paar Std auf nem Trecker mit Ballenpresse hinten dran ist auch ziemlich anstrengend:-) Wenn dann das Heu nicht sofort auf den Hänger geht, sondern man das noch mit der Gabel hochsteckt……. ist Landleben ganz
    idyllisch:-)). Körperliche Bewegung an frischer Luft, besser als Mukkibude :-))
    .
    “Selbstversorgung” ist mMn. das was füher(tm) der selbsgestrickte Pullover, das gebastelte Puppenhaus war. Ein netter Versuch auf Hobbyebene Produkte zu schaffen auf die man/Frau stolz ist.
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    Das trifft auch mMn. auf alle Arten von “Sonderernährung” usw zu. Viele Dinge, Ideen, Lebenstile usw. können sich viele Gruppen HIER nur deswegen leisten, weil weltweit für jeden von UNS eine Menge Menschen knapp am Existenzminimum für UNS arbeiten. Ohne Maschinen und industralisierten Landbau und “Ausbeutung” der Umwelt, von Tieren, Mitmenschen…. ist es schwer möglich auch bei optimalen Bedingungen genügend Nahrungsmittel aus eigener Arbeitskraft zu erzeugen, um davon Leben zu können.
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    Selbstverorger = Selbsterzeugte Lebensmittel sind TREND und im Laden wird dann der Apfel der nicht EU-Norm entspricht liegen gelassen :-((
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    So und jetzt hole ich den Braten vom handgestreicheltem, ganzjahrig mit wenig Beifutter auf der Wiese gestandenem Galloway aus der Truhe, schau mal was die “Biokiste” noch an Gemüse hergibt, im Keller oder der Truhe noch als Gemüse liegt und bereite für Morgen einen Niederigtemperaturbraten vor. Kommen ein paar Leute zum Essen :-))
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    Gruss
    Sikasuu
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    Ps. Ans Karnikel-, Hühnerschlachten muss man/Frau sich gewöhnen, aber eine bessere Art dieses Fleisch auf zu bewahren als “lebend im Stall” kenn ich nicht:-))

    • Melanie Mühl sagt:

      Dann guten Appetit!
      Ich war mal einige Tage auf einer Alp in der Schweiz, das war unheimlich spannend und zeigte überdeutlich, wie hart, wie entbehrungsreich ein solches Leben ist. Selten aber habe ich besseres Fleisch bzw. besseren Käse gegessen!

    • Sikasuu sagt:

      Ja spannend ist es, das zuschauen:-))
      Mit 1-200 Schafen aus der Weide oder eine entsprechenden Anzahl Großvieh…. ist das noch Nebenerwerb. Leben kannst du davon nicht.
      .
      Ist so der “Kressesamen auf Watte” auf dem Lande. Der Eine hat die Schafe, der Andere die Galloways, der Dritte die paar Bentheimer, irgendwer die Hühner oder Karnickel, ….. man tauscht halt dann, weil….. und da hast du RECHT…. solche DINGE schmecken ganz anders als aus dem Supermarkt!
      .
      Das ist aber nicht was Städter oder die angesprochenen Autoren unter Selbstversorgung verstehen. Es gibt auf dem Land oft viele “Brachflächen” die bei der Flurbereinigung rausfielen und nicht rentabel zu bewirtschaften sind. Die nutzt man halt für so was:-))
      .
      Das sind Reste mMn. noch von Subsistenzwirtschaft und wenn man da einmal Kontakte geknüpft hat, gibt es das eine, andere Leckerchen:-))
      .
      Jetz muss ich aber kochen :-))

  5. Syntax sagt:

    Hochglanzlandleben und Hochglanzindustrieleben...Hochglanzerfolg...Hochglanzgesundheit.
    „Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“
    Georg Christoph Lichtenberg

    …ich möchte für “besser” eher das Wort “human(vernünftig)er” einsetzen…um grenzenloses Hochglanz-Wachstum-Erfolgsdenken
    im Gigantismus…s. Gegenwartgeschehen…ebenso zu begegnen
    wie Micro…nismus?…vom Regen in die Traufe, oder von einem
    Extrem ins andere Extrem ist weder gut noch besser…
    aber mit wachsender humaner Vernunftreife wächst auf jeden Fall die notwendige, Humannot wendende, Bescheidenheit und die ist ebenso klar heilend wirkend wie glänzendes (ratio-)light:=)
    Es ist nicht alles Gold was wir Menschen für glänzend halten.
    Das humanvernünftige (Gesellschaft-)Maß zu finden ist wohl eins der schwierigsten.
    Das “Zauberwort” heißt Gleichgewicht, sowohl in Person, als auch
    in Gesellschaft(en), d.h. auch zwischen Ego-Person und
    Ego-Gesellschaft(en). Zwischen Ego-Gesellschaften und Ego-Natur…
    zw. Ego-Human u. Ego-Erde…Ego-Intelligenz u. Ego-Emotion…
    Golden (ratio-)balanceflow?

  6. donferrando sagt:

    Landleben
    Vielen Dank für den Beitrag.
    Ja, echte Selbstversorgung, wenn auch nur partiell, ist nicht ganz so idyllisch und hochglanz, wie man sich das vorstellt.

    Ich starte gerade ein kleines Projekt:

    https://foroboario.blogger.de/stories/2525378/

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