
Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit, sagt der Volksmund, beginnen wir also mit dem Gemecker der neunjährigen O., und zwar im O-Ton.: „Nudeln, Reis, Kartoffeln, Nudeln, Reis, Kartoffeln … – ich will auch mal was anderes essen!“
In dem Wissen, dass O. am Ende garantiert nichts anderes essen wird als Nudelnreiskartoffeln, begeben wir uns zum “Store-Check” in den Bio-Supermarkt und unterziehen das erstaunlich reichhaltige Angebot einer genaueren Sichtprüfung. Da stehen sie alle, die Alternativen, auf fünf Meter Breite und zwei Meter Höhe: Bulgur, Grünkern, Amaranth, Linsen, Quinoa, Couscous, Hirse, Buchweizen, Bergerbsen, Polenta, Canihua, Gerstengraupe, Kamut, Emmer, Einkorn und Nackthafer, abgepackt in 500-Gramm-Beuteln, die zwischen 2,99 und 6,99 Euro kosten. Ist das viel? Ein Bier beim Hamburger SV, das der mobile Kellner aus einer Art Ghostbuster-Fass zapft, das er auf seinem Rücken trägt, kostet 4,20 Euro. Immer wieder ist im viel zitierten Internet zu lesen, dass die Deutschen im internationalen Vergleich einen sehr, um nicht zu sagen: zu geringen Anteil ihres verfügbaren Nettoeinkommens für Lebensmittel ausgeben. Wie also lassen sich 4,99 Euro sinnvoller ausgeben als für 500 Gramm Nackthafer? Die Zubereitung ist denkbar einfach: bisschen Wasser, bisschen Salz, bisschen warten – fertig. Und das gilt für fast alle Nudelreiskartoffelalternativen.
Doch das interessiert Kinder wie O. nicht. Kindern geht es zunächst einmal um den Namen. Canihua? Klingt wie ein Hund bei Yakari, also eigentlich ganz sympathisch, doch wenn Erwachsene es einem als Nahrungsmittel verkaufen wollen, ist dieser Name verdächtig, wenn nicht gefährlich. Einkorn, das könnte aufgrund der Ähnlichkeit zum positiv konnotierten Einhorn funktionieren. Tut es aber nicht. Bohnen, Linsen … zu Unrecht schlecht beleumundet in Deutschland, das bekommen auch Kinder mit, keine Chance. Gerstengraupe? Undenkbar, welches Kind würde sich einen Löffel Raupen in den Mund schieben? Couscous, das könnte klappen, das klingt wie Kuss-Kuss – klappt aber nicht, obwohl es sich um geschmacklich gänzlich harmlosen Weizenmatsch handelt. Das Matschige ist dann genau das Problem, denn auch und gerade das Kinderauge isst mit.
In Kinderohren klingt nichts besser als das Wort Kichererbsen. Wer Kichererbsen auf den Tisch bringen will, muss eine Planungszeit ansetzen, die die für eine Polarexpedition noch übersteigt. Mindestens zwei Stunden, lieber aber eine ganze Nacht weichen die anfangs steinharten Kichererbsen ein, dann erst werden sie gekocht, nicht aber Basmati-erprobte zwanzig Minuten, das wäre zu einfach: geschlagene neunzig Minuten. Die Kochseite Mamas-Rezepte.de empfiehlt: „Am Abend vor dem Kochen die getrockneten Kichererbsen in einen Kochtopf geben und mit etwa der dreifachen Höhe von den eingefüllten Kichererbsen mit kaltem Wasser begießen. Auf diese Weise die Kichererbsen 12 Stunden oder länger einweichen. Vor dem Kochen rechtzeitig die Kichererbsen durch ein Sieb abseihen (Hinweis des Verfassers: das Verb „abseihen“ bei Bedarf googeln), das Einweichwasser dann wegschütten. Die Kichererbsen wiederum in den Kochtopf geben und mit frischem, leicht gesalzenem Wasser begießen. Den Topfinhalt einmal aufkochen, dabei bildet sich ein weißer Schaum an der Oberfläche, diesen abschöpfen und entsorgen (unbedingt außer Sichtweite des Kindes, sonst ist alles vorbei, bevor es überhaupt begonnen hat). Die Kichererbsen bei etwas zurückgedrehter Heizstufe zugedeckt mit einem Deckel etwa neunzig Minuten kochen.“ Auf der Seiten essen-und-trinken.de hört es sich ganz ähnlich an: „Getrocknete Kichererbsen müssen zunächst für mindestens 12 Stunden eingeweicht werden. Das Einweichwasser sollte entsorgt werden (Anmerkung, nicht Hinweis des Verfassers: man denkt bei diesem Wort an Gorleben, an Giftmüll). Vor dem Kochen werden die Kichererbsen noch einmal gründlich gespült. Die Kochzeit beträgt dann etwa noch zwei Stunden. Wenn Sie die Kichererbsen 24 Stunden einweichen, verkürzt sich diese Zeit auf etwa 30-40 Minuten.“ Wann das Mittagessen fertig ist? Man weiß es nicht. Tage später. Gegessen werden die Kichererbsen vom Kind dann eh nicht, es ist also egal.
Nach zwei Wochen ein weiterer, b.a.w. letzter Anlauf, diesmal beginnend mit Nackthafer, der einen irritierenderweise an Jürgen Drews denken lässt. Beim Kind kurze Freude über den Namen, dann lustloses Gestocher mit spitzer Gabel – und am Ende gibt es Pfannkuchen, den Nackthafer essen die Erwachsenen. Die weitere Versuchsanordnung ist schnell erzählt: Quinoa, Amaranth, Buchweizen, Polenta, Hirse, Kamut … alles abgelehnt, gefordert werden Reis, Nudeln, Kartoffeln. „Aber du wolltest doch mal was anderes essen!“ „Aber doch nicht sowas!“
Da stehen sie nun alle, die angebrochenen, zurückgewiesenen Nudelreiskartoffelalternativen. Zum Glück halten sie sehr lange. „Und du darfst eines nicht vergessen“, wie Wolf Haas seinen namenlosen Ich-Erzähler in den Brenner-Romanen gelegentlich sagen lässt: Kochst du deinen Gästen Reis oder Nudeln als Beilage, wirst du leicht mit den ganzen Mikrowellenbenutzern in einen Topf geworfen. Drapierst du hingegen Emmer oder Canihua auf den großen weißen Tellern, giltst du ganz sicher als Koch.
[…] Immer nur Nudeln, Reis, Kartoffeln als Beilage? Das muss nicht sein, es gibt viele Alternativen. Doch die muss man nicht nur kennen – sie müssen auch noch gegessen werden. […]
[…] Immer nur Nudeln, Reis, Kartoffeln als Beilage? Das muss nicht sein, es gibt viele Alternativen. Doch die muss man nicht nur kennen – sie müssen auch noch gegessen werden. […]