Food Affair

Food Affair

Wie wir intelligenter essen

Die Low-Carb Falle

Schwarzwälder Kirschtorte im Glas. Foto Rainer Wohlfahrt

Ein Nachtisch geht immer, oder?                                              Foto Rainer Wohlfahrt

Frau Schling, warum mögen wir eigentlich Schokolade?

Schokolade ist sehr energiereich aufgrund ihres Gehalts an Kohlenhydraten und Fett, ihr Konsum aktiviert unser körpereigenes Belohnungssystem. Alles was uns eine Extraportion Energie in Form von Zucker und Fett zur Verfügung stellt hat dieselbe Wirkung. Wir werden satt und zufrieden.

Macht Schokolade glücklich?

Unser Gehirn reagiert auf energiereiches Essen, wozu Schokolade gehört, positiv, es schüttet das Glückshormon Dopamin aus, das für den Antrieb sorgt, ein weiteres Mal zuzugreifen. Weiterhin gibt es das Serotonin, das durch Schokolade ausgeschüttet wird und für Zufriedenheit sorgt. Dieses braucht allerdings ständig einen Vorläufer, das Tryptophan, im Blut. Fehlt der Eiweißbaustein Tryptophan, kann kein Serotonin produziert werden.

Welche Nahrungsmittel enthalten Tryptophan?

Alles was Proteine enthält liefert Tryptophan: Hülsenfrüchte, Soja, Milchprodukte. Man braucht jedoch nicht Unmengen an Tryptophan, sondern lediglich einen konstanten Nachschub, man muss es kontinuierlich zuführen.

Proteine allein genügen nicht, wir brauchen auch Fett und Kohlenhydrate?

Nur Eiweiße zu essen, wäre nicht gut. Denn neben dem Tryptophan wollen auch andere Aminosäuren über die Blut-Hirn Schranke ins Gehirn und es kann dort eine regelrechte Drängelei geben. Jetzt kommt wieder die Schokolade ins Spiel: Sobald ich etwas Süßes zu mir nehme, wandern die Konkurrenten des Tryptophans in Richtung Muskeln und das Tryptophan kann problemlos seinen Weg ins Gehirn finden.

Plädieren Sie für etwas Süßes zum Dessert?

Etwas Süßes zum Dessert ist durchaus sinnvoll. Ernährung sollte immer ausgewogen sein. Schokolade soll nicht die Grundbedürfnisse decken, sondern lediglich als kleines Extra gedacht sein.

Was ist mit den Inhaltsstoffen der Kakaobohne, gibt es da weitere Glücksbotenstoffe?

Ja, allerdings müsst man 20 bis 30 Kilogramm Schokolade essen, um da einen Effekt zu spüren. Anders als beim Kaffee beispielsweise, da spüren wir bereits nach einer Tasse einen aufputschenden Effekt.

Macht Schokolade eher wach oder müde?

Das kommt darauf an. Bei Tageslicht gegessen, stimuliert es die Serotonin Produktion, im Dunklen dagegen die Produktion des Einschlafhormons Melatonin.

Petra Schling PortraitPetra Schling               Foto privat

Schokolade hilft beim Einschlafen?

Wahrscheinlich ja. Ein Betthupferl im Dunkeln genossen lässt vielleicht mehr Melatonin entstehen.

Warum essen wir eigentlich mehr als uns gut tut?

Es gibt zum einen ein Sättigungssignal, das uns signalisiert, wann der Magen ist voll, bzw. ausreichend Nährstoffe über die Darmwand aufgenommen wurden. Allerdings haben wir immer noch Kapazität für eine kleine Süßigkeit – der klassische Nachtisch eben, den wir mögen, obwohl wir ja eigentlich schon satt sind. Eine kleine Süßigkeit geht immer. Dafür werden wir sogar von unserem Gehirn belohnt. Magen und Darm sind satt, aber unser Gehirn sagt uns, da geht noch was.

Das Gehirn überlistet den Magen?

In gewisser Weise ja, über das dopaminerge System sorgt es für den Ansporn, noch ein Stück Schokolade zu essen. Dieses Signal ist stärker als das reine Sättigungssignal aus dem Verdauungstrakt.

Jeder kennt diesen Moment, wenn aus dem Vergnügen plötzlich eine Qual wird: das Tiramisu war köstlich, aber mehr davon geht nun wirklich nicht.

Genau. Allerdings gibt es da große individuelle Unterschiede. Die einen können ein halbes Stück Kuchen auf dem Teller liegenlassen, weil sie sagen ich bin jetzt satt, ich kann jetzt wirklich nichts mehr essen. Bei anderen ist diese Grenze weicher, die können noch, obwohl sie eigentlich satt sind. Deshalb gibt es ja auch schlanke Leute, obwohl wir soviel Nahrung zur Verfügung haben und solche die deutlich dicker werden.

Kann man diesen Sättigungsmechanismus trainieren?

Ich wüsste nicht wie. Man kann sich vielleicht ablenken, also über das Essen hinaus andere Wohlfühlquellen finden. Wohingegen das Essverhalten zu kontrollieren, eine unheimliche Anstrengung kostet.

Warum ist die bewusste Kontrolle so schwierig?

Weil das Bewusstsein nur über eine ganz kleine Rechenkapazität verfügt und sehr schnell überlastet ist. Faktisch können wir nur wenige Sachen in unserem Leben bewusst steuern. Solange wir unser Essverhalten steuern, bleibt keine Kapazität mehr übrig für andere wichtige Dinge.

Jeder weiß, dass es unmöglich ist, einen spannenden Film zu schauen und gleichzeitig den Griff zur Schokolade bewusst zu verhindern.

Richtig, das geschieht dann unbewusst, wie die allermeisten Dinge, die uns zur Gewohnheit geworden sind. Wobei man das nicht verteufeln sollte. Im Grunde ist das ja der Normalzustand. Essen ist eigentlich so etwas Banales. Es sollte nichts sein, worüber wir ständig nachdenken müssen. So wie wir unseren Herzschlag ja auch nicht in jeder Minute bewusst kontrollieren, obwohl das theoretisch ginge, aber wer möchte das schon.

Trotzdem denken wir ständig über unser Essen nach

Das ist vermutlich ein Grund, warum wir heute so gestresst sind. Früher hat man gegessen was da war. Heute machen wir uns permanent Gedanken und haben Warnschilder im Kopf. Das sind alles Stressfaktoren, die man sich selber aufbürdet, oft völlig zu Unrecht. Wir wären vermutlich glücklicher, wenn wir uns nicht so viele Gedanken ums Essen machen würden.

 Süßes zu verteufeln würde also eher unglücklich machen?

Ja, es gibt diese Warnzentren im Gehirn, die vom Bewusstsein alarmiert werden und damit das Dopamin und Serotonin hemmen. Aber das ist ganz klar ein erlernter Mechanismus. Kein Baby würde sich eine solche Vorstellung machen. Süßes zu mögen, ist natürlich. Menschen, die Ihr Essen auf Schritt und tritt kontrollieren, setzen sich Zusatzbelastungen aus. Weil man weiß, dass dieser Dauerstress in jedem Fall schadet, ist es vermutlich gesünder ein paar Kilo mehr zu wiegen, solange man gleichzeitig sportlich aktiv ist oder andere Sachen hat die man gerne macht, neben Essen.

Dr. Petra Schling ist Biochemikern und Dozentin an der Universität Heidelberg

Das Buch zum Blog:

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-kunst-des-klugen-essens/978-3-446-44875-9/

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