
„Du musst mehr Vitamin C zu dir nehmen!“ „Dir fehlt Vitamin E, du musst …“ „Du musst den Tag mit einem Apfel beginnen!“ „Du musst dir jeden Morgen ein Ingwer-Zitronenwasser machen!“ „Du leidest vermutlich an Eisenmangel, du musst …“ – gar nichts. Abgesehen davon, dass Sätze, die mit den Worten „Du musst“ beginnen, meist ungehört verhallen, ist jeder Organismus anders, ist jeder Mensch anders. Und bei vielen geht der Winter-Blues direkt in die Frühjahrsmüdigkeit über.
An wärmeres Wetter muss sich der Körper immer wieder gewöhnen, jedes Jahr neu. Die Blutgefäße weiten sich, der Blutdruck sackt ab, wir fühlen uns müde. Hinzu kommt der oft chronische Vitaminmangel, der durchaus als Massenphänomen bezeichnet werden kann. Ausgesprochen einig ist sich die sonst oft so uneinige Medizin darin, dass Vitaminmangel eine sehr häufige Ursache für diverse Krankheiten ist – und für Müdigkeit und mangelnde Fitness sowieso. Um den täglichen Vitaminbedarf zu decken, gilt die Faustregel, dass man vier bis fünf Mal am Tag Obst oder Gemüse zu sich nehmen sollte. Das schafft so gut wie niemand, fast der gesamte Tag müsste sich dann ums Essen drehen, abgesehen von der Frage, welches Obst und welches Gemüse man essen sollte. Man mag ja auch nicht alles.
Wo welche Vitamine drin stecken, lässt sich – wie fast alles auf der Welt – mit einer kurzen Frage an Siri oder Siris elektronische Schwestern blitzschnell herausfinden – und doch bleibt offen, ob ein gegen Schädlingsbefall gespritzter Apfel möglicherweise sogar mehr schadet als nützt. Bio, ja, doch zusätzlich und hauptsächlich geht es um eine vielseitige und abwechslungsreiche Ernährung, die insbesondere aus Obst, Gemüse und Vollkornprodukten bestehen sollte. Je vielseitiger, desto besser. So und nur so kommt man regelmäßig an die 13 Vitamine, die für uns Menschen lebenswichtig sind. Wie wäre es zum Beispiel mit der Maßnahme, ganz bewusst und ausschließlich andere Lebensmittel zu kaufen als sonst? Geschmacklich etwas zu „riskieren“, dem Körper etwas anderes als das Gewohnte anzubieten? Wenn Sie innerhalb Ihres „Food Radius“ Geschäfte aufsuchen, die Sie bislang – aus welchen Gründen auch immer – gemieden haben, wird sich diese Gelegenheit fast von allein ergeben.
Was kann man noch tun, wenn die Tage wieder länger und wärmer werden und wenn man einfach nicht müde sein will? Sie müssen … Sie könnten … Sie sollten vielleicht … testweise für drei, vier Wochen komplett auf Zucker und Milchprodukte verzichten. Möglicherweise haben beide mit Ihrer Müdigkeit nichts zu tun, möglicherweise aber auch viel. Wer seinem Körper nicht mehrmals am Tag Zucker zuführt, wer seinen Körper nicht nach kurzzeitigem Wohlbefinden nach immer neuen Zuckerschüben gieren lässt (und genau das ist das Prinzip, man kann es nicht aushebeln), merkt bereits nach wenigen Tagen, dass es auch ohne geht, dass es besser ohne geht. Dass man ohne Zucker fitter ist, wacher, frischer, konzentrierter.
Und Sie müssen … Sie könnten … Sie sollten … viel rausgehen, wandern, in der Natur unterwegs sein. Gerade im Frühling bietet sich ein gedankliches Experiment an, das auf den Schriftsteller Vladimir Nabokov zurückgeht, der von der „Wirklichkeit“ immer nur in Anführungszeichen sprach, da es sich bei ihr seiner Ansicht nach um eine höchst subjektive Angelegenheit handelte: „Man kann der Wirklichkeit immer näher kommen, aber man kommt ihr niemals nahe genug, denn die Wirklichkeit ist eine endlose Folge von Stufen, Wahrnehmungsebenen, Doppelbödigkeiten und infolgedessen unermesslich, ungreifbar“ (Quelle: „Deutliche Worte“, Rowohlt 1993). Gehen Sie zum Beispiel mal 90 Minuten durch einen Wald und stellen Sie sich für jeweils eine halbe Stunde vor, dass Sie
- ein Kind auf der Suche nach Abenteuern
- eine Biologin auf der Suche nach Käfern, Würmern und Ameisen und
- ein Förster sind, der den Baumbestand inspiziert.
Jede der drei Figuren befindet sich in einer komplett eigenen Wirklichkeit. Sie werden am Ende des Spaziergangs feststellen, dass Sie vermutlich nie müder nach Hause gekommen sind. Angenehm frühjahrsmüde.