Formfrei

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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Der Geist ist nicht in der Maschine – sondern drumherum

| 11 Lesermeinungen

In Kürze soll also wieder Strom fließen. Wenn alles klappt. Dann wird Fukushima 1 wieder mit Strom versorgt. Eine Anlage, deren Errichtungszweck bekanntlich...

In Kürze soll also wieder Strom fließen. Wenn alles klappt. Dann wird Fukushima 1 wieder mit Strom versorgt. Eine Anlage, deren Errichtungszweck bekanntlich darin bestand, Strom zu produzieren. Das ist bei Kraftwerken so: Sie sollen Strom produzieren. Nicht konsumieren. Sollte man zumindest glauben. Aber bei der Atomtechnik ist das offenkundig anders: Wenn da kein Strom hineinfließt, in so ein Kraftwerk, dann kommt nicht nur kein Strom heraus; vielmehr kippt gleich die Geschäftsgrundlage des ganzen Vorhabens: Statt weiterhin friedlich vor sich hinzusurren und seine Megawatt abzuliefern, entwickelt sich das Atomkraftwerk zur Höllenmaschine. Energie fließt dann zwar reichlich, aber keinesfalls mehr so, wie sich die Errichter das vorgestellt haben. Unkontrolliert. Nicht mehr steuerbar. Die ganze schöne Anlage, nach „menschlichem Ermessen“ für sicher befunden, fliegt einem um die Ohren. 

Eigentlich ein Treppenwitz. Über den man lachen könnte, wenn der Anlass nicht so traurig wäre: Ein Stromkraftwerk, das explodiert und in einem riesigen Umkreis alles für Jahrzehnte verseucht, wenn es nicht ständig von außen mit Strom versorgt wird. Ja, so etwas nennt man zurecht paradox.

Aber im Grunde ist das charakteristisch für unsere heutige Hochtechnologie: Ihre Prozesse sind so kompliziert und potenziell gefährlich, dass sie unter perfekt kontrollierbaren Bedingungen ablaufen müssen. Das setzt voraus, dass so wenig Variablen wie möglich ins Spiel kommen. Und schon gar keine Unbekannten. Weil unsere Umwelt aber in der Produktion von stets neuen Unbekannten ein wahrer Weltmeister ist, weil vom menschlichen Versagen über den unglücklichen Zufall bis zum heimtückischen Terroranschlag alles Mögliche passieren kann, was so einen hochtechnologischen Prozess aus der Bahn wirft, darf der nicht ohne zusätzliche Vorkehrungen ablaufen. Vorkehrungen, die ihn vor allen Eventualitäten abschirmen. Ihn quasi in eine Schutzkapsel packen. Im Fall eines Atomkraftwerks wie Fukushima bestehen diese Zusatzvorkehrungen zum Beispiel aus dicken Reaktorwänden, erdbebensicheren Betonwannen, der Abschaltautomatik, den Notstromaggregaten oder den Ersatzbatterien. In seiner Kapsel kann der Prozess ungestört ablaufen, da mag draußen passieren was will. Alle schädlichen Einflüsse prallen an den Schutzvorkehrungen ab. Sie kompensieren die Variabilität der äußeren Umgebung und halten damit die Prozessbedingungen an ihrer Innenseite konstant. So zumindest die Idee.

Der Haken dabei: umso komplizierter der Prozess im Inneren, umso höher die Anforderungen an die Zusatzvorkehrungen. Denn die müssen ja immer alles Mögliche vorwegnehmen und ausgleichen können, was auf jeden einzelnen Parameter des Prozesses von außen einwirken könnte. Und umso mehr Parameter der Prozess mit sich bringt, umso mehr Risiken störender Umwelteinflüsse, umso mehr Kombinationsmöglichkeiten von Faktoren, die alles zum Scheitern bringen können (Insider nennen das wohl „Interferenzeffekte“). So zum Beispiel in Fukushima: Ein Reaktor in einem Erdbebengebiet sollte automatisch heruntergefahren werden können – das haben die Ingenieure erkannt. Und ein auf diese Weise heruntergefahrener Reaktor braucht neben einem erdbebensicheren Gebäude natürlich auch eine erdbebensichere Kühlung – das haben die Ingenieure auch erkannt. Und eine solche Kühlung muss natürlich auch dann aufrecht bleiben, wenn wegen des Erdbebens die Hauptstromversorgung ausfällt – auch das wurde richtig erkannt. Und so eine Notstromversorgung muss auch dann noch laufen, wenn alles andere nicht mehr läuft (an dieser Stelle beginnt das Problem bereits paradox zu werden bzw erkennt man die sich abzeichnenden Umrisse des Super-GAUs: Wenn nämlich alles andere abgeschaltet bleibt, für lange Zeit, die Notstromversorgung aber trotzdem aufrecht bleiben muss). Aber OK: Man plant auch das alles ein. Dieselaggregate und eine ganze Ladung Batterien – schon ist man wieder auf der sicheren Seite. Aber funktionieren diese Dieselaggregate auch nach einem Tsunami? Nein, tun sie nicht, wie wir jetzt wissen. Die reale Umwelt war komplexer, als die Zusatzvorkehrungen von Fukushima bewältigen konnten: Die Konstanz der Prozessbedingungen im Inneren der Reaktoren konnte damit nicht mehr aufrecht erhalten werden. Game over.

Wenn man das Ganze weiterdenkt, dann gelangt man bald an den Punkt, wo die Komplexität der Zusatzvorkehrungen höher ist als die des eigentlichen Prozesses. Und damit in der Regel auch die Kosten. Zumindest müssten sie es, wenn man die Zusatzvorkehrungen so auslegt, dass sie tatsächlich alle Arten von Störfaktoren abwehren können, in allen nur erdenklichen Situationen. Aber das tut man natürlich nicht. Stattdessen werden diese Kosten über Risikoverteilungen externalisiert, sprich: der Allgemeinheit aufs Auge gedrückt. „Nach menschlichem Ermessen“ heißt nichts anderes, als dass die Zusatzvorkehrungen um die Reaktoren herum für eine ganze Reihe von möglichen Szenarien nicht ausgelegt sind. Die nennt man dann „unwahrscheinlich“. Sie passieren nur alle 250.000 Jahre, so versichern uns das Experten. Experten, von denen leider kein einziger 250.000 Jahre alt ist und es daher aus eigener Erfahrung wüßte.

In Anlagen wie Fukushima (und natürlich auch unseren „sicheren deutschen Atomkraftwerken“, wie Frau Merkel sie zu nennen pflegt) befindet sich der „Geist in der Maschine“ damit in Wahrheit nicht mehr in der Maschine selbst sondern um sie herum, in den Zusatzvorkehrungen. Der Prozess, um den es eigentlich geht, bei der Atomkraft also die Kernspaltung, wird zu einer „Trivialen Maschine im Inneren einer nicht-trivialen Maschine“, wie Niklas Luhmann das im Anschluss an Heinz von Förster nennt. Und das Schlimmste ist: Im Notfall kann man noch nicht einmal „den Stecker ziehen“, wie es der Hausverstand bei allen anderen Arten von Gerätschaften nahelegen würde. Das wäre der direkte Weg ins Disaster. Die Zusatzvorkehrungen müssen im Gegenteil so ausgelegt werden, dass sie immer weiterlaufen – egal was passiert. Während herkömmliche Techniksemantik also davon ausgeht, dass gefährliche Apparaturen abgeschaltet werden können und etwaige Gefahren damit gebannt sind, ist es bei der Atomkraft (und diversen anderen Hochtechnologien) genau umgekehrt: Hier MUSS angeschaltet bleiben, um jeden Preis! Es wird Erfolg geschuldet: die Technik muss unbedingt funktionieren, damit die Technik funktioniert. Bei Versagen: Super GAU!

Klingt das vertrauenserweckend? Während wir uns also weiterhin ruhig auf die Schulter klopfen dürfen, dass wir den Prozess der Atomspaltung beherrschen, lautet die entscheidende Frage ganz anders: Beherrschen wir die Umweltkomplexität, welcher der industrielle Prozess der Atomspaltung ausgesetzt ist? Und die Antwort lautet, nicht nur unter dem Eindruck von Fukushima sondern auch mit Blick auf die vielen atomaren Störfälle in Deutschland und dem Rest der Welt: Nein, tun wir nicht.

 


11 Lesermeinungen

  1. neuling sagt:

    Einfach zu verstehen - ich...
    Einfach zu verstehen – ich möchte um keinen Lohn der Erde ein Kernkraftwerk betreiben (müssen).

  2. colorcraze sagt:

    "Während herkömmliche...
    „Während herkömmliche Techniksemantik also davon ausgeht, dass gefährliche Apparaturen abgeschaltet werden können und etwaige Gefahren damit gebannt sind, ist es bei der Atomkraft (und diversen anderen Hochtechnologien) genau umgekehrt: Hier MUSS angeschaltet bleiben, um jeden Preis!“
    Das ist durchaus gut beobachtet. Nur: so ist es nicht nur mit AKWs (dabei allerdings besonders gefährlich), sondern auch mit Industrieanlagen, aber – noch viel, viel schlimmer: mit gewöhnlicher Haustechnik. Nämlich mit der Wasserversorgung.
    Es ist nämlich so: ein Haus, das Wasserleitungen hat – also Röhren, die fließend Wasser zuleiten – kann man nicht einfach mal so auskühlen lassen im Winter, indem es alle Menschen verlassen und keiner heizt. Sonst platzen nämlich die Rohre, und der Schaden ist immens.
    Man könnte das vermeiden, indem man an der Austrittsstelle der Wasserzuleitung im Erdreich, das hoffentlich nicht einfriert, ein Ventil anbringt, wo man das Wasser absperren kann – und dann die Leitungen im Haus vollständig entleert.
    Wenn jedoch auch das Erdreich sehr auskühlt, kann es bei der Zuleitung dort auch zu Schäden kommen, weil die Wasserbewegung durch Abzapfen fehlt, die sonst das Zufrieren meist einige Zeit verhindert.
    Wenn etwas eingespielt läuft – das Haus geheizt wird, Bewohner Wasser abzapfen – ist das Wetter selten ein Problem.
    Wenn jedoch die Nutzung des Hauses sehr volatil wird (nennen wir es „das Hoteloptimierungsproblem“), stellt sich irgendwann die Frage nach „lieber durchheizen oder die Mühe auf sich nehmen, alles zu leeren und dann 2 Tage zu brauchen, es wieder zu füllen“.
    Bei einem Ferienhaus, das nur im Sommer benutzt wird, ist das keine Frage: letzteres natürlich. Aber was, wenn nun auch um Weihnachten herum unbedingt Leute ankommen wollen und drin wohnen, die fließend Wasser brauchen? und vielleicht zu Ostern, wenn es auch noch kalt ist? Und auch noch zwischendurch? Nur wenn man die Nachfrage der Gäste im vornherein abschätzen kann, wird man ein Ferienhaus mit fließend Wasser auch zu Weihnachten parat haben. Und dabei kann man sich verschätzen: man heizt 2 von 10 durch, weil man damit rechnet, daß da wer kommt, aber es kommt erstmal lange keiner, und dann soviele, daß alle 10 Häuser gebraucht werden, und die Gäste schimpfen, weil in 5 Häusern es nicht rechtzeitig geschafft wurde, auch Heizung und fließend Wasser in Gang zu bringen.
    Dies nur zur Verdeutlichung des Schwunds und des von der Aufrechterhaltung der Infrastruktur benötigten Energieaufwands, bzw. der notwendigen Steuerungsentscheidungen, die nur durch einen Überfluß an Bereithaltung zum Matchen mit den Bedürfnissen bzw. der Nachfrage zu bringen sind.
    Dies ist ein grundsätzliches Problem, wie Ihnen mit „Hightech“ schon schwante. Nur ist „Hightech“ vielleicht die falsche Adresse, da es auch Lowtech betrifft (zugefrorene platzende Wasserleitungen gab es wohl schon in Antike und Mittelalter). Man müßte vielleicht eher von – das ist jetzt sehr aus der Lameng – „autarkierbar“ und „verbunden“ sprechen.

  3. keiner sagt:

    Beherrschen wir die...
    Beherrschen wir die Finanprodukte, die sich einige ausgedacht haben?
    Kennen wir die Sicherheit von Chemikalien, die wir zu Millionen Tonnen produzieren?
    Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, aber was hilft’s? Der Mensch lernt nichts. Niemals. Immer die selbe Geschichte, seit 1000enden von Jahren, nur die Spielzeuge sind größer geworden, der Verstand leider nicht wirklich.

  4. staff aureus sagt:

    Unendliches exponentielles...
    Unendliches exponentielles Wachstum ist möglich.
    Nutzt aber nichts, wegen der „Komplexität der Zusatzvorkehrungen „:
    es endet bestenfalls in einer `Schwanenhalsfunktion´.
    sig(t)=1/(1+e^-t)
    Und schlechtestenfalls kommt der Schwarze Schwan.
    Ökostrom aus Wasserkraft ? Hoffentlich hält der Damm der Dixence.
    Der Bruch der Druckleitung kostete drei Menschenleben.

  5. sol1 sagt:

    Eine nützliche Unterscheidung...
    Eine nützliche Unterscheidung habe ich eben auf den ScienceBlogs gefunden:
    „klauszwingenberger 14.03.11 · 14:23 Uhr
    (…)
    Mein Grundbedenken gegen die Reaktortechnik liegt in folgendem:
    Es gibt zwei Arten der Energieerzeugung, ich nenne sie das Prinzip Lagerfeuer und das Prinzip Staudamm. Beim Prinzip Lagerfeuer muss ich aktiv nachlegen, wenn ich den Prozess am Laufen halten will. Höre ich damit auf, geht das Feuer aus. Beim Prinzip Staudamm muss ich dagegen ständig so viel abschöpfen, dass mir nichts überläuft oder bricht.
    Ein Kernreaktor gehorcht dem Prinzip Staudamm. Hier wird von einer eigentlich recht gleichmäßig verstreut vorkommenden Substanz örtlich so viel angehäuft, dass eine enorme potentielle Energie akkumuliert wird. Energie gewinnt man beim Prinzip Staudamm letztlich dadurch, dass man den Apparat am Durchgehen hindert. Genau das ist das Funktionsprinzip eines Atomreaktors. Trotzdem verstehen viele Menschen nicht auf Anhieb, was so haarsträubend ist, wenn irgendwo von Störungen im Kühlmittelkreislauf die Rede ist – es ist das A und O der Reaktortechnik und Reaktorsicherheit. Das, nämlich die Energieerzeugung durch Unfallvermeidung, ist ein Prinzip, bei dem mir grundsätzlich unwohl ist.“
    https://www.scienceblogs.de/frischer-wind/2011/03/zwei-untaugliche-argumente-zur-fukushimadebatte.php

  6. mylli sagt:

    Die Wechselkursschwankungen,...
    Die Wechselkursschwankungen, die LTCM gekillt haben, sollten ja angeblich nicht ein einziges Mal innerhalb der (bisherigen) Lebensdauer unserers Universums stattfinden, oder? Leider war keiner der Finanzheinis alt genug, um das zu überprüfen.
    Und dass mir jetzt keiner behaupte, Weltwirtschaftskrisen fordern keine Todesopfer.

  7. dieser Text ist wirklich...
    dieser Text ist wirklich gelungen. Die von anderen erwähnten ähnlichen komplexitäten unterscheiden sich durchaus in ihren unmittelbaren nicht mehr steuerbaren tödlichen langanhaltenden große gebiete und viele lebewesen betreffenden auswirkung. doch wen hast du gewählt? ja – wem hast du den auftrag erteilt eine lebenswerte und sichere umgebung zu schaffen? was war/ist dir wirklich wichtig? das tragische ist ja der angeblich so kostengünstige atomstrom ist auch ohne solche ereignisse der teuerste! wie es soweit kommen konnte, dass angeblich aufgeklärte und mündige bürger es sich gefallen lassen die gewinne den wenigen zu überlassen und die kosten an alle zu verteilen?
    ach ja sie glauben sie hätten ein besseres leben und im kommunismus (staatskapitalismus) wars ja auch nicht besser…

  8. zdago sagt:

    @Aber bei der Atomtechnik ist...
    @Aber bei der Atomtechnik ist das offenkundig anders:
    ist das richtig – oder nur bei diesen kraftwerken so?
    Ich meine schon vor jahren gelesen zu haben, daß man Atomkraftwerke auch so bauen kann, dassie ohne gutes Zureden nichts tun – und bei dieser Auslegung gäbe es das Problem einfach nicht.
    Dazu gehört natürlich auch Forschen und Entwickeln – wer das allerdings nciht will!
    Nun ja – gebratene tauben fliegen einem nur im Schlaraffenland von selbst in den Mund!
    mfg zdago

  9. colorcraze sagt:

    @sol1: diese Unterscheidung in...
    @sol1: diese Unterscheidung in „Lagerfeuer“ und „Staudamm“ finde ich recht anschaulich.
    @zdago: man muß halt immer auch die Entwicklungskosten aufbringen und jemand finden, der es entwickelt haben will…

  10. zdago sagt:

    @colorcraze die...
    @colorcraze die Entwicklungskosten aufbringen
    stimmt schon – selbst als die Steinzeitmenschen den Weg aus der Höhle fanden und die ersten Häuser entwickelten
    – immer ist es die Zielvorstellung der führenden Personen. Heute müssen sie diese Personen erst einmal identifizieren – und dann analysieren, wie deren Zielvorstellungen aussehen – und dann können sie erkennen, was und warum entwickelt oder nicht entwickelt wird.
    (Als Lese- und Denkstoff zu diesem Thema würde ich die Georgia Guidestones empfehlen – das wäre ein passender Anfang für kopfschmerzen)
    mfg zdago

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