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An dieser Stelle bloggt Publizist und FAZ-Autor Thomas Strobl über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Mal kurz und knapp. Mal mit vielen

Pokémon oder: Warum mir die Japaner so nahe sind

| 10 Lesermeinungen

Ganz ehrlich? Wenn ich auch angesichts der grausigen Bilder aus Japan eine gehörige Portion Mitgefühl für die Japaner aufbringe, mit ihnen hoffe und bange, so gut das aus sicherer Entfernung eben geht, so sind sie mir im Grunde doch immer fremd geblieben. Mit Ausnahme einer japanischen Firma und ihres Videospiel-Bestsellers.

Ganz ehrlich? Wenn ich auch angesichts der grausigen Bilder aus Japan eine gehörige Portion Mitgefühl für die Japaner aufbringe, mit ihnen hoffe und bange, so gut das aus sicherer Entfernung eben geht, so sind sie mir im Grunde doch immer fremd geblieben. Ich bin zweifellos viel herumgekommen in meinem Leben, habe mal da gelebt und mal dort, mit Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen gearbeitet, darunter auch viele Asiaten. Aber Japan? Neee – keine Ahnung und auch kein Interesse. Zumindest für nichts, was über Sushi und Sashimi hinausgeht. Nennt mich einen Banausen, aber da halte ich es ganz mit Danny DeVito in diesem berühmten Dialog aus „Other Peoples‘ Money“, wo er von der Dame seines Begehrens beim Essen gefragt wird: „Mögen Sie die Japaner?“ und darauf trocken antwortet: „Sony hätte ich gerne.“ Ob er als aalglatter Investor, den er im Film spielt, den Elektronikkonzern aus Tokio heute auch noch wollte, angesichts dessen zwischenzeitlich eingetretener miserabler Verfassung, scheint mir zwar fraglich; dafür hätte er aber wohl ein Auge auf einen Konkurrenten von Sony geworfen, die Firma, welche seit geraumer Zeit meine innigste Verbindung zu Japan darstellt, über seine erfolgreichste Kreation: Die Rede ist von Nintendo und ihren Pokémon.

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Wer die Pokémon nicht kennt, hat vom wahren Leben eigentlich gar keine Ahnung. Im Ernst. Mir ist kein Spiel bekannt, das einerseits so subtil ist und einen andererseits so in seinen Bann schlagen kann. Dabei spreche ich natürlich nicht über mich selbst, sondern über meine Kinder und deren Kameraden. Die sind im Pokémon-Fieber. Und schlimmer: Einige laufen definitiv Gefahr, in der Pokémon-Welt zu versinken. Auch bei uns zu Hause, seit nunmehr über zwei Jahren: Pokémon nach dem Aufstehen, Pokémon vor dem Einschlafen. Und dazwischen natürlich: Pokémon. Würde Tennessee Williams seine „Glass Menagerie“ heute abfassen, seine Laura würde sich nicht in eine Welt aus Glasfigürchen fürchten, sondern auf ihrem Gameboy Pokémon spielen. Am Anfang lachte ich noch darüber. Dass speziell mein Sohn ein Faible für Computerspiele hat, war mir zwar schon lange klar, spätestens seit ich ihm „Supermario Galaxy“ eines Abends von einer Geschäftsreise mitbrachte und ihn vertröstete: „Wenn ich morgen abend nach Hause komme, dann zeige ich dir, wie das Spiel geht, OK?“. Gesagt, getan. Nur hatte er am Abend des nächsten Tages die ersten 5 Galaxien schon erfolgreich hinter sich gebracht – im Alleingang. Papas Einführung war da zwar nett gemeint, aber bereits völlig nutzlos. Papa störte im Grunde nur noch.

Danach folgten noch eine Reihe weiterer Computerspiele, jedes für sich genommen sehr bunt und sehr aufregend, mit tollen Grafiken und einer – wie ich als Erwachsener fand – für Kinder unterhaltsamen Handlung: Supermario und seine Kumpels in allen Lebenslagen, Spongebob in einer wildgewordenen Spielzeugfabrik, Renn-Igel Sonic im Wettstreit mit Nuckles und Silver, und so weiter und so fort. Und weil natürlich eine Nintendo Wii irgendwann nicht mehr gut genug war, kam auch eine XBox ins Haus, auf der konnte man dann mit bloßen Körperbewegungen alles steuern – das machte auch Erwachsenen Spaß. Aber das ist alles nichts, nichts, nichts gegen diese unscheinbaren Pokémon auf diesen winzigen Bildschirmchen der mobilen Nintendo-Konsolen. Die Nintendo Wii verstaubt im Wohnzimmer und die XBox auch, seit es vor 2 Jahren zum Geburtstag eine Nintendo DS mit einem Pokémon-Spiel gab. Einem Spiel, das dem äußeren Anschein wie auch seiner Beschreibung nach nicht mal ansatzweise an die oben Aufgezählten heranreichte – dachten zumindest meine Frau und ich. Aber was wussten wir schon? Nichts wussten wir! Ein Virus erfasste unsere Kinder, ein Virus, den wir selbst eingeschleppt hatten. Seither ist Pokémon ein integraler Bestandteil des Familienalltags. Und nicht nur bei uns. „Shiny“ Pokémons sind gut, „legendäre“ Pokémons sind besser, lustige Namen haben sie alle miteinander, und worum es bei dem ganzen Spiel letzten Endes geht, habe ich ehrlich gesagt bis heute nicht begriffen.

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Dumm wie wir nun einmal sind, wir Eltern meine ich, verschlimmern wir das Ganze auch noch: in dem wir versuchen, die Malaise zu unserem Vorteil zu nutzen. Als kürzlich die Schulnoten meines Sohnes zu wünschen übrig ließen, ein Lapsus, der zeitgleich mit der Einführung der neuen Pokémon-Edition „Schwarz und Weiß“ zusammenfiel, lautete die Ansage natürlich: „Hör mal zu, mein Lieber: An diese neuen Pokémon brauchst du nicht einmal zu denken, wenn deine Noten nicht schlagartig besser werden!“ … Muss ich erwähnen, dass die folgenden 3 Klausuren jeweils mit null Fehler absolviert wurden? Tja: Versprochen ist aber nun mal versprochen, das ist das ganze Geheimnis der Motivation. Also am folgenden Samstagnachmittag auf in den nächsten Mediamarkt und das eisern gesparte Taschengeld in zwei weitere Ausgaben des Daddelspaßes Made in Japan investiert. Und damit nicht genug: Weil dieses merkwürdige Spiel mittlerweile einen Komplexitätsgrad erreicht hat, den selbst seriöse Amateur-Daddler nicht mehr aus dem Stand beherrschen, gibt es jetzt ein „Pokémon Lösungsbuch“, so dick wie das Telefonbuch einer mittleren Großstadt. „Band 1“ steht auf dem Buchdeckel, womit wohl feststehen dürfte, dass in Kürze ein ebenso voluminöser „Band 2“ die Regale bevölkert.

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Aber gut: Wenigstens lesen sie dann nebenher auch was, so mein Gedanke. Man muss da halt in seinen pädagogischen Überzeugungen auch ein wenig mit der Zeit gehen. Pokémon sind cross-medial, das versteht sich heutzutage eigentlich eh von selbst. Und wenn ich erst an das Internet denke… aber fangen wir damit besser erst gar nicht an. Das Internet ist die Pokémon-Hölle. Oder der Himmel, je nachdem, wie man das sieht. Kostprobe gefällig? Auf Youtube einfach mal „Pokemon“ eingeben … Ja, Herrschaften: genau das dachte ich auch. Aber andererseits: Sich gemeinsam mit den Kids einen 8-minütigen Clip anzusehen, der 493 Pokémons hintereinander zeigt, jeweils als „Shiny“, was unter Pokémon-Eingeweihten ähnliche Wertschätzung genießt, wie unter Christen die Marienerscheinung von Lourdes, ist ja auch was Schönes.

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Na jedenfalls: Denke ich an Japan, denke ich an Pokémon. Und schöpfe daraus Optimismus: Ein Volk, dass ein so dermaßen verworrenes Spiel hervorbringen kann, sollte auch mit der Komplexität eines Atomkraftwerks fertig werden.

 

(Credits: Bilder 1-3: Nintendo, Das offizielle Lösungsbuch, Band 1, Pokémon Schwarze und Weiße Edition, Bild 4: Screenshot Youtube)


10 Lesermeinungen

  1. Dr. Glumanda sagt:

    Wirklich seltsam... Es ist mir...
    Wirklich seltsam… Es ist mir schleierhaft, was den Erfolg von Pokemon ausmacht, der ja eigentlich von anderen japanischen Manga-Welten bisher nicht wirklich übertroffen wurde, zumindest bei uns nicht.

  2. Reinhard sagt:

    Gibt es bezüglich Fukushima...
    Gibt es bezüglich Fukushima auch einen älteren Savegame-Stand, den man bei Nichtgefallen der derzeitigen Entwicklung einfach laden kann? Nein? Dann sollte man solche (ich muss mich für die Wortwahl entschuldigen) selten dämlichen Vergleiche auch unterlassen …
    Und ja, mir ist bez. dieses Themas in der Tat der Humor abhanden gekommen.

  3. stroblt sagt:

    @Reinhard
    .
    Man sollte sich...

    @Reinhard
    .
    Man sollte sich über das Schicksal der Japaner nicht lustig machen, da stimme ich Ihnen zu. Andererseits ist aber auch niemandem damit geholfen, wenn wir deshalb alles nur noch mit bierernster Miene und fürchterlich erhabenem Ton kommentieren.

  4. stroblt sagt:

    @Dr. Glumanda
    .
    In der Tat....

    @Dr. Glumanda
    .
    In der Tat. The Next Best Thing nach Pokemon scheinen mir entweder „Bakugan“ oder „Naruto“ zu sein. Soweit es meine Familie betrifft, herrscht in dieser Frage Unentschiedenheit. Obwohl der Vergleich hinkt, weil ich Sohn wie Tochter wegen des doch eher martialischen Kontexts der letzteren Beiden versuche, sie von diesen freizuhalten.

  5. mylli sagt:

    kleiner Lapsus, dein...
    kleiner Lapsus, dein Korrekturprogramm besteht den TuringTest noch nicht: „Welt aus Glasfigürchen fLü!chten, sondern“
    So kann man auch Kausalitäten konstruieren: „Ein Volk, dass ein so dermaßen verworrenes Spiel hervorbringen kann, sollte auch mit der Komplexität eines Atomkraftwerks fertig werden.“

  6. Sammelmappe sagt:

    Im Moment sieht es nicht so...
    Im Moment sieht es nicht so aus, als hätten sie ihre AKWs im Griff.

  7. Also ich bin 30 und spiele...
    Also ich bin 30 und spiele auch dieses Pokemon, seit dem die ersten 150 vor 12 Jahren erstmals über den kleinen Bildschirm des damaligen Gameboys wuselten, immer mal wieder.
    Wenn man Videospiele mag kommt man auch um dieses vermeintliche Kinderspiel nicht drumherum. Auch wenn ein Blick in die Fanforen zeigt, dass mir viele junge Spieler meilenweit voraus sind.
    Falls es andere FAZ.net Leser gibt, die selber spielen, das ist mein Freundescode für Schwarz/Weiß: 0432 7743 4130

  8. stroblt sagt:

    @Thomas Television
    .
    Habe...

    @Thomas Television
    .
    Habe ihren Code an meinen Sohn weitergegeben.

  9. Ich suche eher Spieler in...
    Ich suche eher Spieler in meinem Alter. Deswegen habe ich den Code hier gepostet. Trotzdem Danke.

  10. Moritz sagt:

    Pokemon ist eine gekonnte...
    Pokemon ist eine gekonnte Kombination aus allem was Kinder ab dem Grundschulalter glücklich macht:
    Sammelkarten, niedliche Tiere, Wettkämpfe, Eine Welt zum Erkunden, …
    Es ist wie Zelda (Computerspiel), Magic (Kartenspiel+Sammelkarten+Quartett), Beanie Baby(plüsch-tier), …
    Als ich in der Grundschule war, gab es diese kleinen Textilaufkleber von Tieren die man sammeln sollte/konnte; ich weiß nicht wie man die nennt.

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